Enrico Poitschke
Herr Poitschke, ihr Team ist mit sehr ambitionierten Zielen in die Saison gestartet – das Grüne Trikot der Tour, ein Sieg bei einem Monument und zwei Top-5-Plätze bei GrandTours waren vor der Saison ausgegeben. All diese Ziele wurden nicht erreicht – waren die Ziele zu hoch gesteckt?

Nein. Die Ziele waren mit dieser Mannschaft nicht zu hoch gesteckt. Natürlich hat es Gründe, warum wir diese Ziele nicht erreicht haben, aber es lag nicht daran, dass wir nicht das Leistungsvermögen hatten. Ein Grund ist, dass Leopold König, einer unserer Kapitäne, wegen einer langwierigen Verletzung gar nicht an den großen Rennen teilnehmen konnte. So einen Ausfall zu kompensieren ist kaum möglich. 

Zudem hatten wir bei der Tour mit Rafal Majka einen klaren Leader, der in einer sehr guten Form war. Aber leider ist er auf der neunten Etappe dann so schwer gestürzt, dass er das Rennen beenden musste. So waren dann auch bei der Tour unsere Gesamtklassement-Ambitionen schnell beendet.

Wir haben immer gesagt, dass wir kein Glück brauchen.

So ähnlich lief es leider auch bei den Monumenten. Wir hatten mit Peter Sagan durchaus das Leistungsvermögen, aber einfach Pech. Wenn ich mich da an die Flandern-Rundfahrt erinnere, der Sturz mit der Jacke – sowas ist eben nicht zu vermeiden. Oder eine Woche später, bei Paris-Roubaix – da hatte Peter zwei Mal in Führung liegend einen Reifenschaden. 

Insgesamt lag es nicht daran, dass wir nicht die Leistung bringen konnten, oder das Team nicht funktionierte, sondern es waren in unseren Augen einfach andere Umstände. So auch die aus unserer Sicht ungerechtfertigte Disqualifikation von Peter bei der Tour – so kann man das Grüne Trikot dann eben auch nicht gewinnen.

 

Einfach kein Glück?

Wir haben immer gesagt, dass wir kein Glück brauchen. Wir waren stark genug, die Mannschaft war super vorbereitet, aber wir hatten einfach viel Pech. Aber, wir wollen uns immer weiter verbessern, haben den Kader jetzt weiter verstärkt – auch, um dann im nächsten Jahr das Glück vielleicht zu erzwingen.

 

Ist Ihnen in dieser Saison erst so richtig bewusst geworden, welche Rolle Glück & Pech im Radsport spielen?

Es war uns auch vorher schon in gewissem Maße bewusst. Wir sind alle selbst Radsportler gewesen und haben Höhen und Tiefen erlebt. Aber so verstärkt und akut es uns in diesem Jahr erwischt hat, das tut schon weh. Vor allem dann, wenn man wirklich immer dabei ist, nimmt man es noch einmal ganz anders wahr, als vor dem Fernseher. Das kostet extrem viel Kraft und zieht einen runter, aber die Mannschaft hat immer wieder Moral bewiesen und Leistung gezeigt.

Peter ist ein Kapitän, der alle mitziehen kann

Auch Peter, was man an der fantastischen Leistung bei der WM sehen konnte. Dabei war er vor allem auch im Kopf stark. Ihm war immer bewusst, dass sich das Rad weiterdreht und das Glück, oder besser gesagt das „nicht Pech“, zurückkehrt. Das war sicher auch ein wichtiger Baustein für seinen dritten WM-Sieg.

Hat das Team irgendwas Spezielles getan, um aus dem mentalen Loch rauszukommen? Zusammen in den Klettergarten, oder ein Hotel-Zimmer zerlegt?

(lacht) Nein, nein. Das wäre vielleicht ein Weg, aber wir haben einfach versucht über Gespräche und Motivation den Fahrern zu zeigen, dass sie eine gute Arbeit machen und wir auch stark genug sind Rennen zu gewinnen. Einfach nach vorne schauen, motiviert bleiben, dann wird sich das Blatt wenden – so haben wir nach jedem Rückschlag versucht die Mannschaft zu motivieren. 

 

Es gab aber auch große Erfolge, beispielsweise beim Giro d’Italia.

Absolut. Gerade die jungen Fahrer, von denen wir gar nicht unbedingt solch eine tolle Leistung erwarteten, haben uns überrascht. Aber wir hatten schon zu Beginn der Saison gemerkt, dass wir ein super motiviertes Team haben und wirklich alle heiß sind. Auch da spielt Peter eine große Rolle, denn er ist ein Kapitän, der alle mitziehen kann. Und natürlich haben es uns diese Erfolge auch leichter gemacht, mit den Niederlagen umzugehen.

 

Die sportlichen Voraussetzungen waren in diesem Jahr für das Team ganz neu. Gerade bei den Klassikern war man mit Peter Sagan immer einer der Top-Favoriten. Das bedeutet auch Druck für die Helfer. Haben Sie da versucht einzugreifen und gegenzusteuern, um gerade den jungen Sportlern den Druck zu nehmen?

Das ist für viele Fahrer natürlich schon eine besondere Situation gewesen, jetzt diesen Druck zu haben und auch in der Verantwortung zu sein, die Rennen zu gestalten. Aber das ist natürlich auch der besondere Reiz, den so ein Team ausmacht. Gerade mit so einem Leader. Der eine Fahrer spürt da vielleicht etwas mehr Druck, manche haben da gar keine Probleme mit. Wir als sportliche Leitung haben einfach immer versucht eine gute Balance zu finden und keinen zu großen Druck aufzubauen. Ich bin der Meinung, dass uns das sehr gut gelungen ist.

 

Wie ist es für den Sportdirektor – macht es mehr Spaß mit einen Fahrer wie Peter Sagen hinten im Auto, oder nervt es auch mal, wenn Peter sich im Rennen vielleicht nichts sagen lässt?

Nerven tut es nicht, das auf keinen Fall. Natürlich ist es auch für den Sportdirektor besonders herausfordernd und anstrengend, aber auch eine besondere Motivation. Bei so großen Rennen um den Sieg mitfahren zu können, das ist genau das, was man als Sportdirektor will. Wir fahren Radrennen um zu gewinnen, haben immer das Ziel, so gut wie möglich abzuschneiden. Nicht immer hat man das Team um zu gewinnen, aber wenn man mit Peter fährt, dann ist das sehr oft der Fall – das ist auch ein besonderer Spaß.

Auch wenn das oft so rüber kommt, dass Peter Sachen macht, die nicht so abgesprochen waren, ist das tatsächlich ganz, ganz selten der Fall. Man entscheidet einfach ganz viele Sachen zusammen, auch in den Rennen.

Wenn wir in Deutschland nicht das Potenzial sehen, müssen wir auf Fahrer aus anderen Ländern zurückgreifen.

Zur Saison 2017 ist das Bora-hansgrohe-Team nicht nur in die WorldTour aufgestiegen, sondern, auch dank Peter, direkt in die Weltspitze durchgestartet. Aber wo ist das aktuelle Team noch immer die gleiche Mannschaft, wie vor 2–3 Jahren?

Ich glaube, dass gerade im Umgang mit den Fahrern, oder im ganzen Zusammenwirken im Team noch ganz viel NetApp oder Bora-Argon18 steckt. Wir haben da eine Struktur, die schon viele Jahre alt ist. Dazu gehört auch, dass wir uns die Nähe, aber auch die Frische und den Spaß der letzten Jahre bewahrt haben. Ich denke, dass es in den wenigsten großen Teams so familiär und angenehm zugeht, wie bei uns.

 

Sie gehen mit sieben deutschen Rennfahrern in die Saison 2018 – die Fans wünschen sich vom deutschen Vorzeige-Rennstall natürlich noch mehr einheimische Sportler – warum lässt sich der Wunsch nicht erfüllen?

Es ist natürlich so, dass wir immer auch die Struktur und die Wünsche der Sponsoren erfüllen wollen, und müssen. Wir sind ganz sicher ein deutsches Team, aber die Ausrichtung der Sponsoren ist international. Es war auch vom ersten Tag an klar, als wir das Team vor nahezu neun Jahren gegründet haben, dass wir eine internationale Ausrichtung haben wollen.

Trotzdem ist es uns wichtig, deutsche Talente ins Team zu holen und zu fördern. Das ist uns in den vergangenen Jahren schon besser gelungen, als 2018, aber wir stehen natürlich auch unter einem viel größeren Leistungsdruck. Deswegen müssen wir auch Fahrer verpflichten, die uns sportlich das meiste bringen. Wenn wir in Deutschland nicht das Potenzial sehen, müssen wir auf Fahrer aus anderen Ländern zurückgreifen.

Aber die Philosophie des Teams wird auch in den nächsten Jahren so sein, dass wir versuchen die besten deutschen Fahrer in die Mannschaft zu holen. Das haben wir auch im letzten Jahr versucht. Warum dann die besten deutschen Fahrer nicht zu uns ins Team gekommen sind, ist eine andere Geschichte, aber es ist beispielsweise nicht so, dass wir nicht mit jedem gesprochen hätten. 

 

Eines der größten Rundfahrt-Talente ist sicher der Italiener Davide Formolo, der ab 2018 in Ihrem Team fährt. Ist seine Verpflichtung auch ein wenig eine Reaktion auf die Probleme in diesem Jahr, auch mit Leopold König?

Auf jeden Fall. Wir haben in dieser Saison schmerzlich spüren müssen, wie der Ausfall eines so wichtigen Fahrers die Teambilanz drücken kann. Wir haben natürlich auch Rennfahrer, die das Potenzial haben bei einer GrandTour unter die Top 10 zu fahren. Aber unser Anspruch ist es, unter die Top 5 zu fahren und da haben wir im Team neben Rafal Majka niemanden gesehen, der das Ziel in den nächsten 1–2 Jahren erreichen kann. Deshalb haben wir uns in diesem Bereich auch noch einmal verstärkt.

Aber natürlich hoffen wir, dass Leopold im nächsten Jahr wieder gesund ist und sein Leistungspotenzial abrufen kann. Auch die jüngeren Fahrer wie Patrick Konrad oder Emanuel Buchmann haben ein großes Entwicklungspotenzial, aber wir wollen ihnen bewusst etwas Zeit geben sich zu entwickeln und nicht schon im nächsten Jahr so viel von ihnen verlangen.

 

Das bedeutet, Formolo ist schon soweit, diese Ziele zu erreichen?

Wir denken schon, dass er in den nächsten 1–2 Jahren eine Top-5-Platzierung bei einer GrandTour erreichen kann. Dass er in die Top 10 fahren kann, hat er ja schon gezeigt. Aber natürlich ist uns klar, dass er noch jung ist und wir wollen da jetzt auch nicht zu sehr Druck aufbauen. Wenn das nicht sofort klappt, ist es auch nicht schlimm.

 

Zum Abschluss: Warum wird 2018 besser als 2017?

Weil wir das Team noch stärker aufgestellt haben und weil wir glauben, dass das viele Pech nicht noch einmal so zuschlagen wird. Wenn wir nächstes Jahr genau so konzentriert und gut vorbereitet in die Rennen gehen, dann gibt es nur die eine Möglichkeit – dass wir noch mehr Erfolg haben.