Marcel Kittel

Es war ein katastrophales Jahr für das Team Katusha-Alpecin. Nur fünf Siege gelangen der in der Schweiz lizensierten Mannschaft. Kein anderes World-Tour-Team hatte weniger Erfolg. Top-Star Marcel Kittel wurde vor der Saison als neuer Kapitän verpflichtet und sollte nach seiner grandiosen Saison 2017 nun im roten Katusha-Alpecin-Trikot von Sieg zu Sieg eilen. Doch der Großverdiener kam im neuen Team nicht in Schwung und sein Sprintzug funktionierte auch nicht. Das gesamte Team blieb bei den Rennen bis auf wenige Ausnahmen blass.

 

Tiefpunkt Tour de France

Zunächst beruhigte man mit „wird schon noch“-Parolen Fans, Sponsoren und sich selbst, doch als der Saisonhöhepunkt Tour de France immer näher kam, verlor man die Nerven. Kittel war weit von der Form des Vorjahrs (als er für Quick-Step satte fünf Tour-Etappen gewann) entfernt und dem gesamten Katusha-Team war die Anspannung anzumerken. Die Erfolge blieben auch bei der Tour aus und als der Sportliche Leiter Dimitri Konyschev via Sportzeitung L’Equipe auf Kittel losging, eskalierte die Situation. „Wir bezahlen ihm eine Menge, aber er ist nur an sich selbst interessiert“, hatte Konyschev Kittel vorgeworfen. Was eine solche Aussage bei einem Sportler in der ersten Tourwoche bewirkt, kann man sich leicht vorstellen. 

Dem Team gelang es weder, Ruhe reinzubringen, noch mit positiven Schlagzeilen abzulenken. Kittels Manager kam zur Tour gereist und suchte den Dialog. Es habe eine Aussprache gegeben, hieß es, aber von großer Eintracht im Team war wenig zu spüren. Eher kein Paradebeispiel für gute Krisen-PR. 

Als dann auch noch Ilnur Zakarin, der Kapitän für die Gesamtwertung, in den Bergen der Tour hinterher fuhr, war das Tour-Desaster perfekt. Doch die Mannschaft hat nicht nur bei der Tour schwach ausgesehen, sondern während der gesamten Saison. Eine positive Ausnahme ist Klassikertalent Nils Politt. Auch Nathan Haas konnte phasenweise glänzen.


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Probleme auf allen Ebenen

Dem Team Katusha-Alpecin gelang es während der gesamten Saison höchstens bei einer handvoll Rennen wirklich Akzente zu setzen. Wo die Gründe genau liegen, ist von außen schwer auszumachen. Doch betrachtet man Team und Entwicklung etwas näher, fallen einige Probleme sofort auf.

Zum einen ist das Team seit Jahren im Dauer-Umbruch. Zunächst war Andrej Tschmil der General Manager. Er wurde 2011 abgesetzt und durch Hans-Michael Holczer ersetzt. Doch der Ex-Gerolsteiner-Chef wurde ebenfalls schnell ausgetauscht. Nach nur zehn Monaten ersetzte man in durch Wjatscheslaw Jekimow. Immer wieder sorgte das Team, hinter dem Oligarch Igor Makarov steht, in der Vergangenheit mit Dopingfällen für Aufsehen. Der Ruf war lange Zeit miserabel. Mit dem Schweizer Anwalt Alexis Schoeb, der 2012 dem Team vor dem CAS die Lizenz rettete, wollte man die Neugestaltung des Teams angehen. Mit dem Rückhalt Makarovs entwickelte Schoeb ein Konzept. Neue Fahrer wurden verpflichtet, die Lizenz in der Schweiz gelöst, eine Klamotten-Kollektion als Stütze für die Marke entwickelt. Ex-Armstrong-Helfer Jekimow setzte man als General Manager ab, wohl auch um ein Zeichen zu setzen.

Doch dieser Umbruch ging nicht geräuschlos von statten und mit dem neuen Manager José Azevedo hat man wieder einen Ex-Armstrong-Helfer an der Spitze. Der russische Einfluss scheint weiterhin sehr groß und auch das Personal ist in Teilen erhalten geblieben. Mit dem Einstieg von Alpecin schien das Team den nächsten Schritt zum internationalen Rennstall gemacht zu haben. Kittels Verpflichtung war zudem positiv fürs Image. Doch die Strukturen im Hintergrund haben sich weniger stark verändert. Es scheint so, als wäre das Team mit dem permanenten Veränderungsprozess überfordert und als würden beim Veränderungsprozess nicht alle im Team an einem Strang ziehen. 

 

Race to win

Auch auf rein sportlicher Ebene lief einiges schief. „Race to win“ ist der Slogan, Erfolg um jeden Preis wird gelebt. Mit Alexander Kristoff holte man in der Vergangenheit große Siege, als diese ausblieben kam es zum großen Krach.

Mit Kittel wurde der beste Sprinter der Welt geholt, doch kein Anfahrer mitverpflichtet. Als Marco Haller nach einem Unfall ausfiel, war der Sprintzug ohne Steuerelement. Rick Zabel sollte in eine neue Rolle wachsen, war damit aber überfordert. Als die Erfolge ausblieben, stieg der Druck, vor allem auf Kittel. Doch Kopfmensch-Kittel braucht neben einer guten Form auch Vertrauen und ein gewissen Maß an Wohlfühlatmosphäre, um über sich hinauszuwachsen. 

Dass der Druck bis zur Tour ins Unermessliche stieg, lag auch an der ungeschickten Saisonplanung. Bei den Klassikern fuhr man ohne Kristoff ordentlich, landete mit Nils Politt auf Rang sieben bei Paris-Roubaix. In anderen Teams würde man die Geschichte des neuen Helden spielen, doch bei „race to win“ ist Rang sieben zu wenig. Kapitän Tony Martin konnte bei den Klassikern erneut nicht überzeugen.

 

Doppelspitze zur Tour

Obwohl bei der Tour nur acht Fahrer starten dürfen, ging man mit Kittel und Zakarin in die Rundfahrt. Statt Zakarin zum Giro zu schicken, wo er schon gezeigt hat, wie stark er sein kann, konzentrierte sich auch der Russe voll auf die Tour. Hätte „Zak“ beim Giro eine Etappe geholt und wäre in die Top-5 gefahren, hätte man schon etwas auf der Habenseite gehabt. So aber ging man mit schlappen vier Siegen in die Tour und somit hohes Risiko. Zudem schien es so, als sei die Mannschaft durch das sportliche Doppelziel zusätzlich gespalten. Schließlich konnten beide Kapitäne nicht liefern.

 

Probleme erkannt, Lösungen gefunden?

Profiradsport ist ein sensibles Geflecht mit vielen Faktoren. Kaderplanung, Training, die sportliche Leitung, Personalführung und Motivationsfähigkeit der Teamleitung sind wichtige Faktoren. Bei Katusha-Alpecin glaubt man, die Problemstellen erkannt zu haben. Der sehr erfahrene Sportliche Leiter Torsten Schmidt muss das Team verlassen und auch der neue Trainer muss gehen. Um Kittel und Konyschev wurde es still. Kittel kommunizierte, er brauche eine Pause, nachdem er sich körperlich nicht richtig fit fühlte und sich auch untersuchen ließ. Er beendete früh die Saison, startete aber dennoch beim Saitama Criterium. Für 2019 soll alles besser werden, Top-Star Kittel zurück in die Spur finden.

Neben den Veränderungen im Umfeld werden acht Fahrer das Team verlassen. Verpflichtet wurde sechs Profis. Darunter die Routiniers Daniel Navarro (35), Enrico Battaglin (29) und Jens Debusschere (29). Zudem kommen mit Ruben Guerreiro, Dmitry Strakhov und Harry Tanfield drei junge Fahrer. Ein großer Umbruch scheint dies nicht zu sein, vielmehr vertraut man offenbar darauf, dass die Veränderungen im Umfeld greifen und die Fahrer in Zukunft ihr volles Potenzial ausschöpfen können.

Man darf gespannt sein, ob es wirklich einen Schritt nach vorn gibt und ob es tatsächlich harmonisch bleibt. Denn Kittel und auch Konyschev gehören weiterhin zum Team. Konyschev hatte im Sommer mit der Aussage „ich habe ihn nicht ausgesucht“ angedeutet, dass er nicht hinter den Verpflichtung des Topstars stand und steht. In anderen Sportarten undenkbar, dass nach einem solchen Konflikt keine personellen Konsequenzen folgen. 

Dieses Team zurück in die Erfolgsspur zu führen, dürfte keine leichte Aufgabe werden. Wenn man wirklich die richtigen Problemstellen gefunden hat und es nun tatsächlich gelingt, große Erfolge einzufahren, muss man der Teamleitung ein Kompliment aussprechen. 


Saisonbilanz der Teams 2018 – alle Folgen:

Folge 1 – Die Bilanz der WorldTour-Teams | Das beste Team der Welt

Folge 2 – Team Sky im Soll

Folge 3 – Bora-hansgrohe – mehr als Sagan

Folge 4 – BMC auf Abschiedstour

Folge 5 – Mitchelton-Scott – Yates & Yates + X

Folge 6 – Astana – konstant erfolgreich

Folge 7 – Bahrain-Merida – trotz Pech erfolgreich

Folge 8 – Movistar – fast zu wenig für ein Top-Team

Folge 9 – Sunweb – wenig Siege, aber starke Grand Tours

Folge 10 – LottoNL-Jumbo – Roglic & Groenewegen als Erfolgsgaranten

Folge 11 – AG2R – da geht viel mehr

Folge 12 – mäßiges Jahr für UAE Team Emirates  

Folge 13 – Trek-Segafredo – Degenkolb sorgt für Highlight

Folge 14 – Groupama-FDJ – gutes Frühjahr, solider Sommer, starker Herbst

Folge 15 – Lotto-Soudal – Greipel-Zoff & solide Ergebnisse 

Folge 16 – EF-Drapac – zu wenig Siege

Folge 17 – ein katastrophales Jahr für Katusha-Alpecin

Folge 18 – Dimension-Data – ein verkorkstes Jahr