Lennard Kämna


Nüchtern betrachtet, muss man festhalten, hat die deutsche Vorzeigemannschaft die gesteckten Ziele verpasst. Von Rang eins in der Weltrangliste ist man weit entfernt, bei keiner Grand Tour konnte man die angepeilte Top-5-Platzierung einfahren, kein Grün bei der Tour und bei den Monumenten war der erhoffte Tri­umph ebenfalls unerreichbar.

Dennoch war es eine erfolgreiche Saison. Denn das Team von Ralph Denk zeigte etwas, was nur ganz große Mannschaften in Krisen schaffen – Charakter.

Aufstehen, Brechstange auspacken

Als kurz vor der Tour de France Emanuel Buchmann bei der Dauphine schwer stürzte und dann auch noch Maximilian Schachmann bei der Lombardei-Rundfahrt von einem Auto umgefahren wurde, nahm das Unheil seinen Lauf. Schachmann und Buchmann starteten bei der Tour, mussten aber die Grenzen ihres Körpers akzeptieren.

Peter Sagan war aus der Pause nicht so stark gekommen, wie gehofft. In den Sprints chancenlos gegen Sam Bennett und Caleb Ewan musste man taktisch anders agieren. So packte Bora-hansgrohe einfach bei jeder Gelegenheit die Brechstange aus. Der Kampf um Grün wurde so zu einem Unterhaltungselement der Tour.

Zudem musste man im Team die grundsätzliche Strategie umstellen – weg vom GC-Kampf mit Buchmann, ging man täglich auf Etappenjagd. Diese Umstellung gelang sehr gut und man wurde mit dem Etappensieg von Lennard Kämna belohnt.

Keine Klassiker, dafür Giro

Als der Saisonplan noch Corona-frei erstellt wurde, sagte man Peter Sagans Start beim Giro zu. Nach dem Neustart der Saison bedeutete dies, dass man ohne den dreifachen Weltmeister die Klassiker bestreiten muss. So waren kaum Top-Ergebnisse möglich.

Beim Giro dagegen holte sich Sagan seinen Etappensieg und Patrick Konrad wurde Achter. Dazu zeigte auch Neuzugang Matteo Fabbro ein gutes Rennen. Bei der Vuelta holte sich Pascal Ackermann dann nach vielen verpassten Chancen in den Rennen davor „seinen Sieg“ und geht mit einem positiven Erlebnis nach einer durchwachsenen Saison in die Winterpause. Dass Felix Großschartner mit überschaubarer Teamunterstützung, abgesehen vom beindruckend stark fahrenden Neo-Profi Ide Schelling, bei der Vuelta in die Top-10 fuhr, zeigt sein Rundfahr-Talent.

Abhaken, angreifen

So stehen am Ende einer sehr schwierigen Saison dennoch 21 Siege und starke Auftritte zu buche. Schade, dass der Paris-Nizza-Sieg von Maximilian Schachmann aus dem Frühjahr in der Corona-Saison fast etwas untergegangen ist.

Bora-hansgrohe hat wohl die schwierigste Saison der jüngeren Teamgeschichte hinter sich. Es lief oft nicht alles glatt, aber man hielt dagegen. Nachdem man im vergangenen Jahr scheinbar mühelos von Sieg zu Sieg eilte, musste man nun wieder hart um jedes Erfolgserlebnis kämpfen und sich auf das besinnen, was den Weg an die Spitze erst möglich machte – die Stärke aus der Gemeinschaft.

Was die Zukunft bringt, bleibt abzuwarten. Mit Rafal Majka, Jempy Drucker und Oscar Gatto verlassen erfahrene Männer das Team. Gregor Mühlberger wechselt nach sechs Jahren beim Team von Ralph Denk zu Movistar. Zudem wird Peter Sagan 2021 vielleicht seine letzte Saison im Bora-Dress fahren.

Mit Nils Politt hat man einen Top-Klassikerfahrer für die nächsten Jahre verpflichtet, der nach einer schwierigen Saison bei Israel Start-Up Nation im neuen Umfeld zurück zu alter Stärke finden will. Dazu kommen neben Giovanni Aleotti mit Jordi Meeus und Matthew Walls gleich mehrere Sprint-Talente ins Team. Als Berg-Helfer stößt Wilco Kelderman zum Team, der für Emanuel Buchmann im Hochgebirge sicher eine wertvolle Stütze sein kann. Das erhofft man sich auch von Ex-Mountainbiker Ben Zwiehoff. Der 19-jährige Allrounder Frederik Wandahl ist ganz sicher in Kategorie „hoffnungsvolles Talent“ einzusortieren.