Giro Ausreißergruppe

Laut italienischer Medien haben sich die Veranstalter der großen Landesrundfahrten an die UCI gewandt, damit man ausnahmsweise die Zahl der teilnehmenden Mannschaften auf 23 erhöhen darf. Erlaubt sind aktuell nur 22 Teams bei den GrandTours. Warum man die Zahl der Teams für 2021 anheben möchte, wird schnell klar – denn so hätten die Organisatoren die Möglichkeit, eine weitere Mannschaft einzuladen.

Gegen die Idee jedoch spricht, dass die UCI erst vor wenigen Jahren die Zahl der Fahrer je Team von neun auf acht Fahrer reduzierte. Dies hatte man getan, um das Peloton zu verkleinern und so für mehr Sicherheit zu sorgen. So wurde das Feld auf 176 Fahrer in den Rennen begrenzt, lässt man nun ein weiteres Team zu, sind es 184.

Kosten & Einladungen

Will man verstehen, warum die Veranstalter nun das Peloton gern wieder größer machen möchten, muss man etwas genauer hinschauen. Denn es ist natürlich nicht nur so, dass ein kleineres Starterfeld nur den Vorteil von mehr Sicherheit hätte (wenn man diese Wirkung überhaupt messen und belegen kann). Denn mit einem Fahrer weniger je Team lässt sich Geld sparen: an Hotelzimmern, am Betreuerstab, an Reisekosten. Als Fan mag man diesen Punkt nicht für übermäßig relevant halten, in Rad-Teams und bei Veranstaltern wird dies aber stets diskutiert.

Dennoch will man gern ein weiteres Team einladen können. Denn aktuell bleibt den Veranstaltern nur die Chance auf zwei Einladungen! Die 19 WorldTour-Teams sind ohnehin verpflichtend startberechtigt und das beste ProTeam des Jahres 2020 hat ebenso eine Startberechtigung. Das ist 2021 Alpecin-Fenix. So bleiben den Veranstaltern der großen Rundfahrten nur noch zwei Einladungen zur freien Verfügung.

Nationale Probleme

Schaut man sich das für den Giro d’Italia an, wird das nationale Dilemma offensichtlich. Weil es keine italienische WorldTour-Mannschaft gibt, kann man nur über Einladungen einheimische Teams zum größten italienischen Rennen bringen. Neben Androni Giocattoli-Sidermec, Bardiani-CSF-Faizanè, und Vini Zabù – Brado – KTM gibt es im zuletzt arg gebeutelten italienischen Radsport mit dem Team EOLO-Kometa endlich wieder einen Hoffnungsschimmer, vor allem für den Nachwuchs. Aber nur zwei dieser Teams können sich aktuell Hoffnungen machen. Dazu hätte das Team Gazprom-RusVelo natürlich auch gern eine Einladung, engagierte sich der Hauptsponsor in den vergangenen Jahren doch sehr für den italienischen Radsport.

Nun könnte man anführen, dass dies im vergangenen Jahr doch ganz ähnlich war. Doch 2021 ist es gleich auf mehreren Ebenen deutlich komplexer, als etwa 2020. Denn während Total Direct Energie im vergangenen Jahr noch bereitwillig auf einen Start beim Giro verzichtet hatte, hat Alpecin-Fenix offenbar den Plan, bei allen drei Grand Tours zu starten.

Stets offensiv – WildCard-Teams (hier bei Tirreno-Adriatico)

Corona-Auswirkungen

Die Pandemie wirkt hier gleich an mehreren Stellen. Zum einen kämpfen die meisten Teams ohnehin mit den ökonomischen Folgen, zum anderen sind es vor allem die kleineren Rennen, die ausfallen. So wird ein Giro d’Italia oder eine Spanien-Rundfahrt umso wichtiger. Können sich die Teams nicht einem breiten Publikum zeigen, ziehen die Sponsoren den Stecker raus. So einfach, so hart.

Analog zum Giro gilt das Thema nationale Mannschaften auch für die Vuelta, denn auch wenn in Spanien der Radsport eine große Tradition hat, spielt nur Movistar in der ersten Radsport-Liga. Die Tour de France ist als absolutes Radsport-Highlight mit unfassbarer ökonomischer Bedeutung natürlich noch einmal eine ganz andere Nummer.

Abwägen

Wie bedeutend ein Start bei der heimischen Grand Tour für ein ProTeam ist, dürfte jedem klar sein. In Zeiten, wo die Mannschaften ums Überleben kämpfen, noch mehr. Aber auch für die Rundfahrten ist jeder Sponsor, der sich im eigenen Land engagiert, ein potenzieller Geldgeber für das Rennen. Auch wenn aktuell die Auswirkungen eines neuen Sponsoren-Engagements auf den Radsport in Italien oder Spanien vielleicht nicht so groß sein werden, wie damals das Engagement der Deutschen Telekom in den 90ern in Deutschland, sollte man dies nicht unterschätzen. Denn um ihre Werbeinvestitionen optimal zu „aktivieren“, wird viel breiter angesetzt, als nur beim Sponsoring eines Teams oder eines Rennens. Es werden Werbemittel produziert, VIPs eingeladen, Aktionsstände bei Rennen aufgebaut, Fan-Aktionen unterstützt, Jedermann-Events organisiert … und vieles mehr.

Es sind kurzfristig ökonomische Gründe, die für ein zusätzliches Team sprechen. Doch diese wirken ganz sicher langfristig, gerade in der aktuellen Corona-Krise. Denn noch immer sind es einige junge Talente, die über ein ProTeam den Weg in die Weltspitze nehmen. Bekommen diese Teams Probleme, verliert der Profiradsport eine wichtige Säule.
Welchen positiven sportlichen Input die WildCard-Teams auf das Rennen haben können, sei hier mal gänzlich ausgeklammert.

Es gilt also abzuwägen, wie verkraftbar das größere Sicherheitsrisiko und die höheren Kosten durch ein zusätzliches Team sind. In der Zeit der Pandemie, wo fast täglich kleinere Rennen abgesagt werden, wäre ein weiteres Team bei einer Grand Tour durchaus ein positives Signal – für Teams, Sponsoren und auch den Nachwuchs.