Niki Terpstra und Alexander Kristoff
Niki Terpstra und Alexander Kristoff (Foto: Roth & Roth; Roth-Foto.de)
Niki Terpstra und Alexander Kristoff
Niki Terpstra und Alexander Kristoff (Foto: Roth & Roth; Roth-Foto.de)

Zu früh! Das war der erste Gedanke, der Alexander Kristoff in den Kopf schoss, als der Augenblick gekommen war, der sich später als der entscheidende Moment des Rennens entpuppen sollte. Aber auf der anderen Seite – es half ja nichts. Also mitgehen. „Ich habe gedacht: Das ist ein bisschen früh, aber ich wollte ihn nicht alleine ziehen lassen“, schildert Kristoff später jene Szene als Niki Terpstra am Kruisberg attackierte und nur der Norweger am Hinterrad blieb.

Rechnung Kwaremont geht nicht auf

25 Kilometer waren es da noch bis ins Ziel und nicht einmal unter den anderen Favoriten war man sich darüber im klaren, dass hier gerade die Flandernrundfahrt 2015 zumindest vorentschieden wurde. Die Erfahrung der letzten Jahre war ja auch eine andere. Erst bei der dritten Passage des Oude Kwaremonts war da die Entscheidung gefallen. „Ich habe gedacht, es ist gut, dass da vorne zwei Starke sind, die jetzt ihre Körner verballern“, sagte John Degenkolb nach dem Rennen zu cyclingmagazine.de.

Doch diesmal ging diese Rechnung nicht auf. Dass Kristoff den Moment anders als die Konkurrenten richtig einschätzte, war kein Zufall. „Wir haben ihm vorher gesagt, er soll ein Auge auf Terpstra haben“, sagte der Sportliche Leiter des Katusha-Teams Torsten Schmidt. In der Tat ist Terpstra ein Mann für die überraschenden Angriffe. So hat er im vergangenen Jahr Paris-Roubaix und in diesem gewonnen. „Er hat die Konkurrenz schon öfter auf dem falschen Fuß erwischt, aber er kommt immer wieder damit durch“, wunderte sich Rolf Aldag, Sportdirektor beim Team Etixx-Quick Step.

Zwei Szenarien für Terpstra

Die belgische Equipe lebt für die Kopfsteinklassiker. Auf Flanderns Straßen im Frühjahr zählen nur Siege. Und 2015 ist die Ausbeute bislang mager. Dass es auch bei der Ronde nicht klappte, lag in erster Linie an Kristoffs Stärke, der alle taktischen Überlegungen zunichte machte. Nachdem Terpstra und der Norweger sich abgesetzt hatten, gab es zwei Szenarien die Etixx-Quick Step den Sieg hätten bringen können. Erstens: Terpstra wird Kristoff los. „Wir haben gehofft, dass Niki ihn am Paterberg würde abschütteln können“, sagte Terpstras Sportlicher Leiter Wilfried Peters später im Ziel. Doch Kristoff zeigte keine Schwäche – im Gegenteil. „Da hatte er sogar noch mehr PS als Niki“, sagte Aldag.

Danach hätte das zweite Szenario greifen können: Die Konkurrenz fährt Zdenek Stybar, Terpstras Teamkollegen an das Spitzenduo heran. „Dann hätten wir spielen können“, sagte Aldag. Doch auch dieser Plan ging nicht auf, weil Stybar nicht mitkam, als sich Greg Van Avermaert und Peter Sagan sich am Kwaremont schließlich auf die Verfolgung des Duos an der Spitze machten. Gleiches galt für das Team Sky, das den ganzen Tag über das Rennen zu kontrollieren versuchte, um Geraint Thomas zum Sieger in Oudenaarde zu machen. Vergeblich.

Nicht nur ein Sprinter

Alexander Kristoff wird auf dem Podium geküsst
Küsschen für Kristoff (Foto: Roth & Roth; Roth-Foto.de)

So stand Terpstra plötzlich vor der Wahl, Kristoff mit seinen Sprintqualitäten zum Ziel zu fahren oder zu riskieren, dass Van Avermaert und Sagan aufschließen und es am Ende nicht einmal mehr aufs Podium zu schaffen. Fünf Kilometer vor dem Ziel stellte Terpstra die Führungsarbeit ein. „Ich habe ihm gesagt, dass er den zweiten Platz nicht leichtfertig hergeben soll“, schilderte Kristoff später die Konversation zwischen den beiden. In der Tat hatte der spätere Sieger weniger zu verlieren als Terpstra. Denn selbst wenn die beiden Verfolger kurz vor Schluss noch aufgeschlossen hätten, wäre Kristoff in seiner derzeitigen Form nur schwer zu bezwingen gewesen. „Ich habe darauf vertraut, dass mein Sprint auch dann stark genug gewesen wäre“, sagte er.

Sieben Sekunden Vorsprung rettete Kristoff, der Terpstra ohne Mühe im Sprint besiegte, schließlich vor dem Dritten Van Avermaet ins Ziel. Und bewies damit endgültig, dass er mehr ist als ein Sprinter. „Ich will ein guter Klassiker-Fahrer sein, nicht nur ein Sprinter“, sagte der Norweger. Daher gelte es, innerlich  immer auch auf Attacken eingestellt zu sein. Am Ende war das der Grund, dass er den entscheidenden Moment nicht verpasste.