PARIS-ROUBAIX 2015
Immer im Bilde: John Degenkolb (Foto: Roth & Roth; Roth-Foto.de)

Im Sprint ist John Degenkolb der Schnellste gewesen. Eine Überraschung war das nicht. Dass die sechs Konkurrenten, die mit ihm ins Veldodrom in Roubaix eingebogen waren, ihn im Schlussspurt nicht besiegen würden, war klar. Degenkolb wird ja manchmal noch als Sprinter bezeichnet, obwohl er weit mehr ist als das. Er selbst nennt sich einen schnellen Klassikerfahrer. Und wenn es dafür noch eines Beweises bedurfte, dann war es dieser Sieg bei Paris-Roubaix.

Konkurrenz überrumpelt

Natürlich hatte er am Ende die schnellsten Beine, aber was Degenkolb auf den 253 Kilometern zuvor ablieferte war eine taktische Meisterleistung und der entscheidende Moment war deshalb eben nicht jener im Velodrom, als der 26-Jährige als Erster über die Ziellinie sprintete. Entscheidend war, das Degenkolb schon vorher jene Konkurrenten überrumpelte, die ihm im Schlussspurt hätten gefährlich werden können. Als sich Greg van Avermaert (BMC) und Yves Lampaert (Etixx-Quick Step) rund 20 Kilometer vor dem Ziel absetzten, schickte Degenkolb zunächst seinen Teamkollegen Bert De Backer in die Verfolgung, um kurz darauf selbst hinterher zu springen.

Eine Doppelattacke, die die Konkurrenz auf dem falschen Fuß erwischte. Eine Weile noch konnte De Baker seinen Kapitän danach aus dem Wind halten, doch dann fuhr Degenkolb alleine die Lücke zu Van Avermaert und Lampaert zu. Dass später mit Zdenek Stybar ein weiterer Etixx-Quick-Step-Fahrer aufschließen konnte und auch Lars Boom (Astana), Martin Elmiger (IAM) und Jens Keukeleire (Orica-GreenEdge) noch einmal herankamen, war nicht mehr entscheidend. Denn die ebenfalls endschnellen Alexander Kristoff (Katusha) und Peter Sagan (Tinkoff-Saxo) waren abgeschüttelt.

Eine Frage der Erfahrung

Dass Degenkolb die Attacke von Van Avermaert und Lampaert als vorentscheidend erkannte, resultiert aus der Erfahrungen, die er im vergangenen Jahr gemacht hatte, als er in Roubaix schon Zweiter geworden war. Damals war der spätere Sieger Niki Terpstra auf den letzten Kilometern davon gefahren. Taktische Fehler habe er damals gemacht und es so versäumt das Loch zu Terpstra zu schließen, hatte Degenkolb im Vorfeld  der diesjährigen Ausgabe von Paris-Roubaix erklärt. „Diesen Fehler wollten wir nicht wieder machen“, sagte Degenkolb nun nach seinem Triumph.

Erfahrung ist eine entscheidende Komponente um Rennen wie Paris-Roubaix zu gewinnen. „Jahrelang habe ich für diesen Moment gearbeitet“, sagte Degenkolb nach seinem Sieg in Roubaix. „Alles, was ich dafür gegeben habe, hat sich heute ausgezahlt“. Es ist eine Sache zu wissen, in welcher Position man sich wann befinden muss. Eine andere Sache ist es, im Rennen dann tatsächlich in der richtigen Position zu sein.

In diesem Sinne ist John Degenkolb am Sonntag ein perfektes Rennen gefahren. Er und sein Team waren in allen entscheidenden Situationen immer im Bilde. Den gefürchteten Wald von Arenberg durchquerte er an dritter Position. Als die Equipe Etixx-Quick Step später auf dem Pavé-Sektor Tilloy to Sars-et-Rosières 72 Kilometer vor dem Ziel aufs Tempo drückte, um die Windkante am Ausgang der Passage zu nutzen, war Degenkolb ebenfalls vorne dabei und in der vorderen Gruppe platziert, als das Feld der Favoriten kurzzeitig in drei Teile zerfiel.

Degenkolb hat mit 26 Jahren eine taktische Reife erreicht, die ihn nun nach Mailand-Sanremo schon das zweite Monumente des Radsports hat gewinnen lassen. Dass der richtige Fahrer am Ende einer spannenden 113. Auflage von Paris-Roubaix gewonnen hat, daran zweifelte am Ende niemand. Und das eben nicht, weil Degenkolb auf den letzten 500 Metern der Schnellste war.