PETER SAGAN IST DER TOP-FAVORIT FÜR DIE FLANDERN-RUNDFAHRT
Bei Gent-Wevelgem ist ihm endlich der erste Sieg geglückt. Ein Knoten ist da sicher nirgends geplatzt, denn Sagan fährt schon eine Weile auf absolutem Top-Niveau. Dass er beim Omloop gegen Greg van Avermaet im Sprint unterlag, bei E3-Harelbeke gegen Kwiatkowski verlor und er bei der Strade Bianche gegen Zdenek Stybar und Fabian Cancellara das Nachsehen hatte, lag an der Stärke der Gegner und seiner offensiven Fahrweise. Peter Sagan hat bei all diesen Rennen die Initiative ergriffen und viel Arbeit geleistet. Verstecken kommt für den Weltmeister nicht in Frage. Ob er sich bei dem einen, oder anderen Rennen hätte cleverer verhalten können, um erfolgreicher zu sein, kann wohl nur er selbst beantworten.
Peter Sagan war bei all diesen Rennen an den Anstiegen der stärkste Fahrer – bei der Strade Bianche, am Kwaremont bei E3-Harelbeke und auch am Sonntag am Kemmelberg. Da kommt ihm der hügeligste der Pflaster-Klassiker gerade recht. Sagan ist an den Anstiegen so stark, dass sich sogar Fabian Cancellara keine Lücke zum Hinterrad des Weltmeisters leisten kann. Für die 100. Ronde gilt: Wer am Kwaremont und Paterberg bei Sagan bleiben kann, der hat gute Chancen auf das Siegerpodest.
FABIAN CANCELLARA IST BEREIT FÜR DEN GANZ GROßEN ABGANG
Wir sind uns jetzt schon sicher: Wenn Fabian Cancellara die Radschuhe an den Nagel hängt, wird sich ein Gefühl von Wehmut einstellen. Er ist einer der ganz Großen. In seiner letzten Saison ist er so stark wie früher und bereit, sich mit einem ganz großen Sieg von den Frühjahrsklassikern zu verabschieden. Druck macht er sich nur selbst. Die Form stimmt, wie seine Siege bei der Strade Bianche und auch Tirreno-Adriatico beweisen. Cancellara ist tempohart, was ihm vor allem auf den langen Pflastertücken von Paris-Roubaix entgegen kommt. Spartacus ist in Top-Form, mental entspannt und voll fokussiert – wer gegen ihn gewinnen will, braucht mindestens einen perfekten Tag.
TIESJ BENOOT IST SCHON JETZT LOTTO-SOUDAL-KAPITÄN
Vermutlich hat bereits jeder Radsportjournalist dem 22-jährigen Belgier eine große Zukunft prognostiziert. Tiesj Benoot macht es Spaß zuzuschauen. Er greift an, er lässt nicht locker. Er scheint mit der Unbekümmertheit eines Neo-Profis (aktuell sein 2. Profi-Jahr) und der Lockerheit eines Außenseiters die Hellinge hinaufzufliegen. Hoffentlich kann er sich das bewahren. In seinem Team Lotto-Soudal ist er bereits jetzt der Stärkste und wohl auch der Kapitän für die Flandern-Rundfahrt. Jedes Rennen bringt ihm Erfahrung und er darf sich selbst nicht zu viel Druck machen. Große Schritte braucht er nicht mehr, um ganz vorn landen zu können. In den nächsten Jahren wird er zu den großen Favoriten gehören. So wie er Rennen fährt, hat er längst die Herzen der Flamen erobert.
ETIXX-QUICKSTEP – IN DER BREITE STARK, IN DER SPITZE NICHT SIEGFÄHIG
Das Team von Patrick Lefevere ist auch in diesem Jahr extrem erfolgreich. Keine World-Tour-Equipe hat mehr Siege eingefahren. Die belgische Mannschaft ist vor allem für die Klassiker gemacht, dort soll sie glänzen. Ein Sieg ist bislang nicht gelungen, die Mannschaft hinterlässt auf den flandrischen Straßen jedoch immer einen starken Eindruck. Egal wie klein die Gruppe ist – die größte Zahl der Fahrer kommen meist aus dem Team Etixx-Quickstep. Auch bei Gent-Wevelgem waren gleich sechs Fahrer in der ersten Gruppe. Doch am Ende musste man sich mit Rang Sechs begnügen. Auch wenn Jungster Fernando Gaviria eine sehr positive Überraschung ist, bei den bisherigen Rennen war es meist das gleiche Bild: Etixx-Quickstep kontrollierte das Rennen, machte die Arbeit, stand am Ende aber mit leeren Händen da.
Das Team ist geschlossen stark, doch es reicht nicht für Siege. Immer wenn die Post abgeht und die entscheidenden Attacken gefahren werden, ist kein Etixx-Fahrer dabei. Das liegt nicht an schlechter Taktik, denn es ist sicher jedem klar, dass man mit muss, wenn Sagan oder Cancellara attackieren. Sie sind einfach nicht stark genug. Matteo Trentin fehlten bei Gent Wevelgem nur wenige Meter, dann hätte er es in die Vanmarcke-Sagan-Cancellara-Gruppe geschafft. Doch eben diese Meter fehlten bei jedem Rennen. Es fehlt ein Top-Fahrer, der auf diesem Niveau mitfahren kann. Tom Boonen scheint noch nicht in der Verfassung zu sein, Niki Terpstra ebenso. Zdenek Stybar war bei der Strade Binache superstark, doch irgendwie klemmts auch bei ihm. Doch wer weiß, sollte das bei der Ronde oder Roubaix anders laufen, sind Omloop, E3 und Gent-Wevelgem Schnee von gestern – und bei Etixx weiß man nie!
AUSSENSEITERCHANCEN AUFS PODIUM – FRÜH WEGFAHREN, DANN DRANBLEIBEN
Es gibt kaum mehr als eine Handvoll Fahrer im Peloton, die stark genug sind, die Ronde oder Paris-Roubaix zu gewinnen. Doch das bedeutet nicht, dass sich der Rest einen Podestplatz abschminken kann. Viacheslav Kuznetsov hat bei Gent-Wevelgem vorgemacht, wie es gehen kann. Er hat sich vor dem Finale aus dem Staub gemacht und ist dann mit den Favoriten bis ins Ziel „gerollt“. Auf die gleiche Art und Weise hat Jurgen Roelandts 2013 seinen dritten Platz bei der Ronde van Vlaanderen eingefahren.
Doch man muss schon sehr stark sein, und aufpassen, nicht vor dem letzten Anstieg eingeholt zu werden. So gilt wohl für die Ronde, dass man vor der letzten Paterberg-Passage mindesten 30 Sekunden vor den Favoriten liegen muss, um danach noch dranbleiben zu können. Diese Gedanken haben sicher einige Fahrer im Peloton und so könnte es ein spannendes Finale geben. Vielleicht schickt auch Etixx-Quickstep einen Fahrer in eine solche Gruppe mit, dann wären Trek-Segafredo und Tinkoff schon vor der letzten Kwaremont-Passage ordentlich gefordert. Alles Theorie, klar – aber wer abwartet, wird Sagan, Cancellara & Co. erst geduscht im Ziel wiedersehen.