Peto sorgt für Ruhe

Peter Sagan ist Weltmeister, hat vier Mal das Grüne Trikot der Tour de France gewonnen, den E3-Prijs gewonnen, war Gent-Wevelgem-Sieger, hat Polen-Rundfahrt und Tour of California gewonnen … sein Palmares würde nur auf einen Tandem-Rahmen passen. Dennoch war es immer zu hören, dieses (teils neidvolle) „er hat noch kein Monument gewonnen„-Murren. Es wurde lauter, als Sagan erst bei der Strade-Bianche, dann beim Omloop und schließlich bei E3-Harelbeke nicht gewann. Doch in jedem Rennen war er stark, fuhr offensiv und hatte kein Glück. So auch bei Mailand-Sanremo, als er aufgehalten wurde. Bei Gent-Wevelgem siegte er dann, aber das „kein Monument-Murren“ blieb. Bis zum Wheelie in Oudenaarde. Ohne markige Worte oder divenhaftes Auftreten, sondern einfach mit Leistung hat sich Peter Sagan selbst ins oberste Regal der Radsporthelden gestellt. Der Kerl ist erst 26 Jahre alt, irre.

 

Tom Boonen – ein echter Champion

Tom Boonen hat fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Er ist Nationalheld. Superstar. So wie er die letzten 10 Jahre über das Pflaster geflogen ist, wäre es kein Wunder, hätte er längst den Kontakt zur Erde verloren. Doch „Tornado-Tom“ scheint mehr als nur geerdet. Klar, Ferrari, Affären, Koks-Affäre – es gab wohl auch ein paar wildere Jahre, als daheim mit den Kids. Aber wie sich der Belgier auf dem Rad und bei den Rennen zeigt, ist mehr als „professionell“.

Am Sonntag im Pressezentrum von Roubaix saß ein Champion, der seine Enttäuschung nicht zu verbergen versuchte. Boonen schaute auf ein Rennen zurück, dass er so gern gewonnen hätte. Er hatte alles gegeben, hätte mit dem 5. Stein ewige Geschichte schreiben können und hat knapp verloren. „Wir haben alles reingeworfen. Keiner hat vom anderen profitiert. Es war ein echtes, hartes Rennen. Racing, wie ich es mag“, sagte Boonen ruhig und gratulierte noch einmal fair dem Sieger. „Er ist ein feiner Kerl„, sagen nicht wenige Kollegen. Er nimmt sich die Zeit für die Fans und kommt im Umgang mit der Presse ohne Attitüden aus. Ein echter Champion – wenn man ihn in der Niederlage erlebt, gönnt man ihm den Erfolg.

 

Du kannst ein Rennen nicht vorhersehen, und das ist gut so.

Ich muss zugeben, es macht mir großen Spaß, vor den Klassikern über den Ausgang zu spekulieren. Treffe ich vor Ort Ex-Profis oder sportliche Leiter, frage ich sie nach ihrem Tipp, wie denn das Rennen laufen wird. So auch am Sonntag in Compiegne. Doch was sich dann ereignete, hatte keiner in seiner mit Fachwissen polierten Glaskugel gesehen. „So ein Paris-Roubaix hab ich noch nicht erlebt“, sagte Bora-Manager Ralph Denk. Es ging einigen so und gerade deshalb war es ein Riesen-Fest.

Das Niveau ist hoch, die Unterschiede gering. Es ist nicht mehr wie früher, als einige Ausnahmeerscheinungen 3-Minuten-Löcher in eineinhalb Sektoren zufahren konnten. Es war von Beginn an Würze drin und die Vorentscheidung fiel weit vor dem Ziel. Es ging nicht die obligatorische Gruppe und die Favoriten warteten nicht ab. Ein großartiges Rennen, dass keine Pause hatte. Auf den Spruch, „mir blieb nicht mal Zeit aufs Klo zu gehen“, antwortete Nikias Arndt „frag mich mal“. Das war erstklassige Werbung für den schönsten Sport der Welt und wir werden vielleicht in Zukunft noch häufiger Rennen sehen, die von Kilometer „0“ an übertragen werden.

 

Der verdiente Abschied, ohne großen Sieg

Es war ein toller Moment, als sich Fabian Cancellara bei der Ronde van Vlaanderen von den Zuschauern verabschiedete. Es hat nicht geklappt, mit dem vierten Sieg und dem neuen Rekord, aber er hat auf höchstem Niveau die große Bühne verlassen und wird den Flamen lange im Gedächtnis bleiben. Bei Paris-Roubaix hatte Cancellara Pech, stürzte und verlor die Chance auf den Sieg. Er war in diesem Frühjahr neben Sagan der überragende Fahrer, doch es sollte nicht sein.

Dennoch war auch im Velodrome von Roubaix zu spüren, welche Postion der Schweizer in der Radsportwelt hat und welche Sympathien er genießt. Einige Profis sagten nach dem Rennen: „Schade, ich hätte es Fabian gegönnt.“ Auch wenn der letzte große Sieg nicht gelungen ist, war es ein würdiger Abschied. Und gerade weil es nicht gelungen ist, obwohl er wohl der stärkste Fahrer war – lässt es die anderen großen Erfolge etwas heller leuchten.

 

Ein großes Radsport-Fest, trotz schwieriger Zeiten

Nach der Flandern-Rundfahrt bekam ich eine Frage sehr häufig gestellt: „Und, wie war es, in Belgien?“. Nach dem Anschlag in Brüssel hatten Einige sorgenvoll auf die 100. Ronde geblickt. Klar, unzählige Menschen an der Strecke, viele Millionen weltweit vor den TV-Geräten, da können ungute Gedanken aufkommen.

Doch die 100. Ronde war ein großes Fest. Schon am Vorabend war in Brügge eine tolle Stimmung. Auf dem Markt gab es ein Konzert bis in die späten Abendstunden. Wie immer. Am Renntag gab es zwar Kontrollen, aber die Zuschauer hatten sich offenbar mehrheitlich an die Empfehlung gehalten, keine Rucksäcke mitzubringen. Als Journalist musste man seine Tasche öffnen, ehe man auf den Teamparkplatz durfte. Doch alle waren ruhig und freundlich – keine Übertreibung, keine Hektik. Eine belgische Lösung. Man kann eh nicht unter jede Jacke schauen, geschweige denn in die Köpfe.

Ich habe die Frage, wie es in Belgien war, mit „Wie immer, toll“ beantwortet, denn es war ein Radsportfest, wie es sein sollte, auch weil in Belgien jeder Starter mit Applaus und Respekt empfangen wird. So ist das eben, in einer Radsportnation.

 

Vorfreude aufs nächste Jahr

Ja, es ist irgendwie komisch, nach einem Rennen, dass ein 37-Jähriger gewonnen hat, die „jungen Wilden“ zu preisen. Doch auch wenn bei Paris-Roubaix neben Mathew Hayman vor allem Tom Boonen und Fabian Cancellara im Rampenlicht standen, darf man sich durchaus aufs nächste Jahr freuen. Jasper Stuyven, Tiesj Benoot, Peter Sagan, Sep Vanmarcke, Mike Teunissen, Luke Rowe, Dylan van Baarle, Fernando Gaviria und hoffentlich auch wieder John Degenkolb sind heiß auf Siege – es wird alles, nur nicht langweilig!