Mit acht Saisonsiegen im Gepäck ist Marcel Kittel wieder dort angekommen, wo er 2014 aufgehört hat. Der endschnelle Deutsche, der seit diesem Jahr Sprintkapitän beim belgischen Team Etixx-QuickStep ist, machte die Saison 2015 vergessen und kehrte bei seinem neuen Arbeitgeber zur alten Stärke zurück. Der 27-jährige Kittel ist an Siegen gemessen der beste Sprinter des laufenden Jahres, doch erst bei dem am Freitag beginnenden Giro d’Italia wartet die echte Prüfung auf den Erfurter.

Ist Kittel wieder der beste Sprinter der Welt? Danach sieht aus, doch die Antwort wird das erste Giro-Wochenende geben. Der Kurs der 99. Ausgabe des Giro d’Italia ist wie immer nicht besonders sprinterfreundlich, anders als in den letzten Jahren haben die endschnellen Fahrer aber gute Chancen in der ersten Woche. Vor allem die Etappen zwei und drei, die in den Niederlanden ausgetragen werden, gelten als wie gemacht für Kittel und seine Kollegen. Dies ist gerade deswegen wichtig, weil sicher nicht alle Top-Sprinter vorhaben, die Italien-Rundfahrt zu Ende zu fahren.

 

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Sieben Chancen für die Sprinter – Duell Kittel vs. Greipel?

Insgesamt sind es sieben Etappen, die mit einem Sprint enden könnten. Es gibt also genügend Chancen für das Duell der besten Sprinter der letzten Jahre. Doch ob es wirklich zum deutschen Duell Marcel Kittel vs. André Greipel kommt, bleibt abzuwarten. Denn Greipels Rippenverletzung, eine Folgeverletzung seines Sturzes bei der Algarve-Rundfahrt im Februar, hat seine Vorbereitung gestört. Es ist Greipels vierter Giro d’Italia, und bislang hat er bei jeder Teilnahme eine Etappe gewonnen. Im letzten Jahr hat Greipel den Giro als Vorbereitung zur Tour de France genutzt und der Plan ging auf. Was er im vergangenen Jahr in Italien zeigte, war weit entfernt von seiner Leistung im Sommer. Vor allem angesichts des relativen schwachen Sprintfeldes beim letztjährigen Giro.

Doch Kittel und Greipel werden die Siege nicht einfach unter sich ausmachen können. Einer der Konkurrenten ist Arnaud Demaré aus der französischen FDJ-Mannschaft. Der 24-jährige Franzose konnte lange trotz seines unumstrittenen Talents keine großen Akzente setzen, doch spätestens seit seinem Sieg beim Mailand-Sanremo ist alles anders. Außerdem gewann Demaré in diesem Jahr Etappen bei Paris-Nizza und der Mittelmeer-Rundfahrt. Eine gute Nachricht für ihn: Es gibt durchaus Sprintetappen, die mit einem späten Berg dem Franzosen nahezu perfekt liegen.

Mindestens vier Italiener hoffen bei der Heim-Rundfahrt auf Sprint-Etappensiege. Im letzten Jahr gewann Elia Viviani (Sky) die erste Giro-Etappe in Genua, bei der diesjährigen Ausgabe würde er dieses Ergebnis sehr gerne toppen. Giacomo Nizzolo (Trek–Segafredo) war im letzten Jahr sein größter Konkurrent in der Punktewertung, die Nizzolo letztendlich gewann. Was ihm aber gleichzeitig fehlte ist ein Etappensieg, den der Italiener diesmal anpeilt. Diesbezüglich gibt es gute Vorzeichen: Sowohl er als auch sein Sprintzug zeigten in der laufenden Saison gute Leistungen. Unter anderem konnte Nizzolo mehrfach Mark Cavendish im Direktduell schlagen.

Es kann gut sein, dass Viviani und Nizzolo wieder um die Punktwertung kämpfen. Wer sonst? Natürlich Sacha Modolo vom Lampre – Merida, der im letzten Jahr zwei Siege feiern durfte. Außerdem will auch Kristian Sbaragli (Dimension Data) seinen letztjährigen Etappensieg bei der Vuelta bestätigen. Schließlich ist die Sprintkonkurrenz bei der südafrikanischen Mannschaft rund um Mark Cavendish sehr groß, jeder Sprinter muss sich immer beweisen. Ebenso wie Demaré liegen Sbaragli ziemlich viele Teilstücke. Und es gibt außer Viviani, Nizzolo, Modolo und Sbaragli noch eine italienische Hoffnung: der in Polen geborene Jakub Mareczko. Gesundheitlich läuft die Saison nicht perfekt für den jungen Italiener aus der Southeast-Mannschaft, an seinem Talent zweifelt jedoch niemand.

Ein richtiger Geheimfavorit, um Kittel herauszufordern, kommt allerdings nicht aus Italien, sondern aus Australien. Der 21-jährige Caleb Ewan (Orica-GreenEdge) konnte im letzten Jahr eine Vuelta-Etappe für sich entscheiden, der Start beim Giro d’Italia ist nun der nächste Schritt für das australische Supertalent. In diesem Jahr gewann er schon zwei Etappen der Tour Down Under. Außerdem könnte der andere Australier, Leigh Howard vom IAM, in den Sprints mitmischen – zusammen mit dem Italiener Matteo Pelucchi ist das Team aus der Schweiz gut für die endschnelle Entscheidungen besetzt.

Außer Kittel und Greipel setzen die deutschen Fans ihre Hoffnungen aus den 24-jährigen Nikias Arndt vom Team Giant-Alpecin, das in diesem Jahr noch keinen einzigen Sieg einfahren konnte. Falls der Kapitän Tom Dumoulin nicht wie erwartet beim Auftakt-Einzelzeitfahren liefert, wird Arndt, zum ersten Mal Sprintkapitän seines Teams, beim ganz großen Rennen unter Druck stehen. Mit Bert de Backer und Albert Timmer hat er erfahrene Helfer im Aufgebot, es ist aber eher unwahrscheinlich, dass Arndt sich wirklich mit seinen erfolgreichen Landsleuten messen kann.

Es ist auf jeden Fall eine harte Konkurrenz, die Marcel Kittel schlagen muss, um sich beim kommenden Giro zu behaupten. Bei seiner letzten Teilnahme im Jahr 2014 gewann der Deutsche zwei Etappen, musste allerdings früh aus gesundheitlichen Gründen aussteigen. Mit der Arbeit seines Teams wird Kittel auf jeden Fall keine Probleme haben. Etixx-QuickStep ist beim Giro fast komplett auf den Deutschen ausgerichtet, mit Fabio Sabatini hat Kittel auch seinen starken Anfahrer gefunden. Kittel braucht außerdem ein wenig Glück – seine Konkurrenten allerdings auch.