Chris Froome startet als Titelverteidiger in die 103. Tour de France. Der Brite ist in guter Form, hat eine extrem starke Mannschaft an seiner Seite und will unbedingt seinen dritten Toursieg einfahren. Doch die Konkurrenz ist stark wie lange nicht mehr. Vor allem Nairo Quintana will endlich den ersten Sieg bei der großen Schleife für Kolumbien einfahren und ist mit atemberaubender Form aus dem Trainingslager in seiner Heimat zurückgekehrt. Dazu sollte man Altmeister Alberto Contador und Kletterkünstler Fabio Aru nicht außer Acht lassen.

Mit Thibaut Pinot und Romain Bardet sind gleich zwei Franzosen am Start, die sich keine Chance auf einen Angriff entgehen lassen. Und dann stellt sich noch die Frage, wer die große Überraschung der Tour 2016 sein wird? Es wird ein spannendes Rennen – hier die Favoriten und Außenseiter.

Die Favoriten

Chris Froome (Sky) – im Bild oben im Gelben Trikot der Dauphine

Berg: 10/10 – Er ist neben Quintana der Stärkste, wenn es richtig steil wird.
Zeitfahren: 9/10 – Sowohl im flachen, als auch beim bergigen Zeitfahren gehört Chris Froome zu den Besten. Hier will er sich vor den Alpen ein kleines Polster auf die Konkurrenz verschaffen.
Form: 10/10 – Mit seinem souveränen Sieg beim Criterium du Dauphiné hat der Brite gezeigt, dass er in absoluter Top-Form ist.
Team: 9/10 – Viel Erfahrung, extrem starke Bergfahrer und unkaputtbare Tretviecher.
Taktisches Vermögen: 7/10 – Individuelle Fehler sieht man bei ihm selten, doch die letzte Woche der Tour hält viele taktische Möglichkeiten bereit. Dort wird er clever agieren müssen.

Bonus: Neben der Physis und dem starken Team die große Erfahrung. Chris Froome hat die Tour bereits zwei Mal gewonnen, er weiß, dass er es drauf hat, verspürt aber nicht den Druck wie in den letzten Jahren.

Schwäche: Auf der Windkante, oder in technisch anspruchsvollen Abfahrten fühlt er sich nicht so wohl. Sollte es regnen, wäre eine rutschige Abfahrt eine gute Chance für die Konkurrenz, Froome in Bedrängnis zu bringen.

 

Nairo Quintana (Team Movistar)

Nairo Quintana vor Chris Froome (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Nairo Quintana vor Chris Froome (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)

Berg: 10/10 – Er ist wohl aktuell der stärkste Bergfahrer im Peloton.
Zeitfahren: 8/10 – Der Kolumbianer ist ein guter Zeitfahrer, dass hat er mit seinem Sieg vor wenigen Tagen bei der Route du Sud bewiesen. In flachem Terrain hat das Leichtgewicht dennoch Nachteile, doch beim Bergzeitfahren wird Quintana kaum Zeit verlieren.
Form: 10/10 – Nairo Quintana hat sich in seiner Heimat auf die Tour vorbereitet und kam erst zur Route du Sud wieder nach Europa. Doch wie er dort das Rennen dominierte macht klar, er ist in absoluter Top-Form.
Team: 10/10 – Für die Berge hat er mit Valverde, Moreno, Anacona und Co ohnehin starke Helfer, aber auch für die flachen Passagen sind mit Izagirre und Ervit tempofeste Fahrer dabei.
Taktisches Vermögen: 7/10 – Manchmal scheint es so, als würde Nairo Quintana zu lange abwarten, ehe er angreift.

Bonus: Poker Face – am Limit, oder bereit für die Attacke, bei Quintana weiß man das nie, als hätte er bei „Sphinx“ Pavel Tonkov gelernt.

Schwäche: Auf der Windkante könnte es für den Kolumbianer schwierig werden, trotz starker Mannschaft.

 

Alberto Contador (Tinkoff)

Alberto Contador (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Alberto Contador (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)

Berg: 9/10 – Contador ist am Berg kaum abzuhängen, zu Froome und Quintana fehlt nicht viel. Doch der Routinier hat etwas von der Spritzigkeit eingebüßt, die ihn früher zum stärksten Kletterer machte.
Zeitfahren: 8/10 – Contador wird den Rückstand zu Froome in Grenzen halten können.
Form: 7/10 – Beim Criterium du Dauphiné war Contador noch nicht in der Verfassung bei Froome mithalten zu können.
Team: 9/10 – Für jedes Terrain hat Contador starke Helfer mit viel Erfahrung an seiner Seite.
Taktisches Vermögen: 10/10 – Der Spanier hat in seiner Karriere schon alles erlebt und mehrfach seine Cleverness unter Beweis gestellt. Er ist ein echter Taktikfuchs, der keine Gelegenheit zur Attacke auslässt.

Bonus: Alberto Contador hat alle Eigenschaften, die man für einen Grand-Tour-Sieg braucht. Was ihn von den anderen Fahrern abhebt, ist seine Coolness, auch in brenzligen Situationen.

Schwäche: Phu, schwierig was zu finden. Contador hat einiges von seiner Spritzigkeit eingebüßt, doch das darf man nicht als „Schwäche“ bezeichnen.

 

 

Die Herausforderer

Fabio Aru (Astana)

Fabio Aru (Roth&Roth Roth-Foto.de)
Fabio Aru (Roth&Roth Roth-Foto.de)

Berg: 9/10 – Ist Aru in Topform, fehlt nicht viel zu Froome und Quintana.
Zeitfahren: 6/10 – Das ist nicht seine Lieblingsdisziplin und er wird im flachen Zeitfahren einiges an Zeit einbüßen.
Form: ?/10 – Bei seinem Etappensieg beim Criterium du Dauphiné zeigte der Italiener eine beeindruckende Leistung. Doch zwei Tage später musste er in den Bergen früh reißen lassen und fuhr nur hinterher. Es ist gut möglich, dass Aru zu Beginn der Tour die Form fehlt, doch es kann auch sein, dass er plötzlich wie ein Moped fährt. Wir warten ab und schauen kritisch hin.
Team: 10/10 – Das Astana-Team ist immer extrem stark. Rosa, Tiralongo, Fuglsang, Kangert, Nibali – mit dieser Kletter-Truppe bleiben sogar Bergziegen lieber im Tal. Dazu noch die Kurbel-Bieger Grivko, Sanchez und Lutsenko.
Taktisches Vermögen: 8/10 – Aru hat ein gutes taktisches Gespür und scheut die Attacke nicht.

Bonus: Fabio Aru ist noch jung, er kann sich die Tour in diesem Jahr erstmal anschauen und im nächsten Jahr mit Siegambitionen zurückkehren. Kann er den Druck fernhalten und frei attackieren, ist er schwer zu kontrollieren.

Schwäche: Der Kampf gegen die Uhr und keine Tour-Erfahrung.

 

Tejay van Garderen (BMC)

Tejay van Gardeten (Foto: Roth&Roth)
Tejay van Gardeten (Foto: Roth&Roth)

Berg: 8/10 – Der Amerikaner ist stark am Berg und lag im letzten Jahr bis zu seinem Ausscheiden auf Podest-Kurs. Mit seinem Sieg am Rettenbachferner hat er gezeigt, dass die Kletterform da ist.
Zeitfahren: 8/10 – Van Garderen ist ein starker Zeitfahrer, er wird wenig Zeit auf Froome verlieren, aber vielleicht etwas gegen die besten Kletterer zurückholen können.
Form: 8/10 – Bei der Tour de Suisse fehlte dem Amerikaner noch einiges zur Top-Form, auch wenn das extrem schlechte Wetter sicher eine Rolle gespielt hat, war er nicht konstant auf Top-Niveau.
Team: 9/10 – Das BMC-Team hat starke und sehr erfahrende Fahrer am Start. Man darf jedoch gespannt sein, ob es stark genug für zwei Kapitäne ist, denn Richie Porte ist ebenfalls am Start.
Taktisches Vermögen: 8/10 – In Sachen Taktik ist der Amerikaner bislang weder positiv noch negativ aufgefallen. Er bereitet sich akribischer vor und ist auch im Rennen konzentriert und wenig impulsiv.

Bonus: Van Garderen ist ein sehr zäher Rennfahrer und er hat eine sehr tempoharte Mannschaft um sich. Wenn es zu Windkanten kommt, kann er davon profitieren.

Schwäche: Eine große Schwäche hat der Amerikaner nicht. Aber durch seine Statur und Körpergröße hat er es bei den ganz steilen Bergen gegen die Leichtgewichte wie Quintana oder Froome schwer.

 

 

Thibaut Pinot (FDJ)

Thibaut Pinot (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Thibaut Pinot (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)

Berg: 9/10 – Am Berg ist Pinot in seinem Element – je steiler, desto besser.
Zeitfahren: 8/10 – Der Kampf gegen die Uhr war in der Vergangenheit seine Schwäche, doch seit dem Winter ist diese wie weggezaubert. Pinot rollt nun nicht nur gut, er gewinnt sogar im Kampf gegen Uhr. Das dürfte der größte Leistungssprung eines Top-Fahrers seit einigen Jahren sein.
Form: 9/10 – Beim Criterium du Dauphiné  hat der Franzose gezeigt, dass der Formaufbau passt und er bei der Tour in guter Form am Start stehen wird.
Team: 6/10 – Die Mannschaft um Pinot ist sehr erfahren und definitiv keine schlechte Truppe. Doch im Vergleich mit Sky, Astana oder Movistar fehlen schon mehr als 50 PS.
Taktisches Vermögen: 8/10 – Thibaut Pinot wartet nicht lang ab. Angriff ist sein Motto, doch nicht blind drauflos.

Bonus: Thibaut Pinot ist auf dem Sprung nach ganz oben, startet aber ohne den Sieg-Druck, den Quintana und Froome haben.

Schwäche: Pinot ist kein besonders guter Abfahrer. Auch wenn er sich auch hier stark verbessert hat, kann er bei regennassen und rutschigen Straßen bergab Zeit verlieren.

 

 

Romain Bardet (AG2R)

Romain Bardet (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Romain Bardet (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)

Berg: 9/10 – Wird es richtig steil, gibt es für den spindeldürren 25-Jährigen kein Halten mehr.
Zeitfahren: 7/10 – Romain Bardet ist kein besonders guter, aber auch kein schlechter Zeitfahrer.
Form: 9/10 – Beim Criterium du Dauphiné war er nicht weit weg von Chris Froome. Er wird in Top-Form am Start stehen.
Team: 7/10 – Die französische Mannschaft verfügt mit Pozzovivo und Vuillermoz über starke Bergfahrer und hat auch für die flachen Etappen starke Fahrer dabei. Es ist ein ausgeglichenes Team.
Taktisches Vermögen: 9/10 – Sieht Bardet eine Chance auf einen Etappensieg, greift er an. Er kennt die Schwächen seiner Konkurrenz und nutzt sie aus. Doch will er bei der Tour auf dem Treppchen landen, muss er auch warten können.

Bonus: Romain Bardet ist ein sehr guter Abfahrer!

Schwäche: Nach Ruhetagen läuft es bei Romain Bardet meist nicht so richtig rund.

 

 

Wilco Kelderman (LottoNL-Jumbo)

Wilco Kelderman (Foto: Roth&Roth)
Wilco Kelderman (Foto: Roth&Roth)

Berg: 8/10 – Der Niederländer ist stark am Berg, kann lange einen hohen Rhythmus fahren.
Zeitfahren: 8/10 – Wilco Kelderman ist ein sehr guter Zeitfahrer. Bei den nationalen Meisterschaften wurde er dritter, verlor auf 50 Kilometern nur 1:18 min auf Tom Dumoulin!
Form: 8/10 – Bei der Tour de Suisse war er stark und trug das Gelbe Trikot, war dann aber am Rettenbachferner früh am Limit. Doch das ist schon ein paar Tage her.
Team: 6/10 – Das LottoNL-Jumbo Team ist mit einer starken Mannschaft bei der Tour vertreten. Doch das Team ist eher auf Sprints und Ausreißergruppen ausgelegt. Im Hochgebirge wird dann George Bennett der wichtigste Helfer sein.
Taktisches Vermögen: 8/10 – Wilco Kelderman hat im Nachwuchsbereich die Rabobabank-Schule genossen und ist trotz seiner 25 Jahre schon recht erfahren.

Bonus: Wilco Kelderman hat sehr erfahrene Helfer an seiner Seite und kompetente Sportliche Leiter im Auto. Das Team von Richard Plugge tritt immer als Einheit auf und agiert meist taktisch clever.

Schwäche: Der Junge Niederländer muss drei Wochen konstant auf hohem Niveau fahren, wenn er das Weiße Trikot der Tour gewinnen will. Er geht zum ersten Mal als Kapitän ins Rennen, mit diesem Druck muss er umgehen.

 

Richie Porte (BMC)

Richie Porte (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Richie Porte (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)

Berg: 8/10 – Ist Richie Porte in Top-Form, fehlt nicht viel zu Froome und Quintana
Zeitfahren: 8/10 – Der leichte Australier ist ein sehr ordentlicher Zeitfahrer.
Form: 9/10 – Beim Criterium du Dauphiné war er bärenstark und lag am Ende nur 21 Sekunden hinter Chris Froome.
Team: 7/10 – Das BMC-Team hat starke und sehr erfahrende Fahrer am Start. Man darf jedoch gespannt sein, ob man stark genug für zwei Kapitäne ist, denn Tejay van Garderen ist ebenfalls am Start.
Taktisches Vermögen: 8/10 – Richie Porte ist kein Mann für die großen Überraschungsattacken. Aber mit der Erfahrung von neun Grand Tours sind auch keine groben Fehler zu erwarten.

Bonus: Richie Porte kann den Druck des Kapitäns, der ihm nicht liegt, an Tejay van Garderen abschieben.

Schwäche: Einen „schlechten Tag“ hat Richie irgendwie bei jeder großen Rundfahrt. So ist Gesamtrang sieben beim Giro 2010 die beste Platzierung bei einer Grand Tour.

 

 

Die Außenseiter

 

Daniel Martin (Etixx-QuickStep)

Daniel Martin (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Daniel Martin (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)

Berg: 8/10 – Daniel Martin ist ein starker Kletterer, dem vor allem die ganz steilen Anstiege liegen.
Zeitfahren: 6/10 – Der Kampf gegen die Uhr ist nicht sein Metier.
Form: 9/10 – Beim Criterium du Dauphiné war er auf Augenhöhe mit Chris Froome – das geht nur in Top-Form. Der Ire hat das Team gewechselt, fühlt sich bei Etixx pudelwohl und schöpft sein volles Leistungsvermögen aus.
Team: 7/10 – Die Etixx-QuickStep-Mannschaft ist sehr stark, tanzt aber auch auf mehreren Hochzeiten. Mit Marcel Kittel will man die Sprints gewinnen und Julian Alaphilippe will auch zeigen, was er drauf hat.
Taktisches Vermögen: 8/10 – Daniel Martin hat viel Erfahrung und bereits große Klassiker gewonnen. Er kann ein Rennen lesen und fährt clever.

Bonus: Niemand auf der Welt erwartet von Daniel Martin einen Platz auf dem Podest. Er kann locker fahren, weiß aber, dass er sehr stark ist – eine gute Kombination.

Schwäche: Der Kampf gegen die Uhr. In den Abfahrten gehört er nicht zu den Draufgängern.

 

Warren Barguil (Giant-Alpecin)

Warren Barguil (Foto: Roth&Roth)
Warren Barguil (Foto: Roth&Roth)

Berg: 8/10 – Warren Barguil ist ein echter Kletterer: groß, dünn und leicht.
Zeitfahren: 6/10 – Der Kampf gegen die Uhr liegt dem Leichtgewicht nicht.
Form: 9/10 – Die Tour de Suisse beendete er auf dem Podium – die Form passt.
Team: 7/10 – Die Sprinterzeiten bei Giant-Alpecin sind vorbei, in diesem Jahr fährt man mit einer Bergmannschaft zur Tour.
Taktisches Vermögen: 6/10 – Warren Barguil ist noch relativ unerfahren und es fällt ihm schwer, abzuwarten. Mal greift er kurz vor einem Flachstück an, mal geht er zu früh jede Attacke mit. Ist er stark, kann er es nicht verbergen – das nutzt die Konkurrenz dann aus.

Bonus: Warren Barguil steht in Frankreich im Schatten von Thibaut Pinot und Romain Bardet. So kann er sich in Ruhe auf sein Rennen konzentrieren.

Schwäche: Beim Einzelzeitfahren wird er wohl ordentlich Federn lassen.

 

 

Die große Überraschung?

 

Lawson Craddock (Cannondale)

Lawsen Cradock (Foto: Roth&Roth)
Lawson Craddock (Foto: Roth&Roth)

Berg: 8/10 – Craddock ist kein reiner Kletterer, eher ein bergfester Roleur.
Zeitfahren: 9/10 – Im Kampf gegen die Uhr ist er sehr stark.
Form: ?/10 – Sein letztes Rennen war die Tour of California im Mai.
Team: 7/10 – Die Cannondale-Mannschaft ist stark besetzt und kann, abgesehen von Sprints, auf jedem Terrain um Etappensiege mitfahren. Pierre Rolland ist der Kapitän, doch der Franzose war in der Vergangenheit meist ein Wackelkandidat.
Taktisches Vermögen: 8/10 – Craddock ist bislang weder negativ, noch positiv aufgefallen.

Bonus: Es ist seine erste Tour – er kann das Rennen ganz locker angehen.

Schwäche: Der Vorteil kann auch zum Nachteil werden: Weil es seine erste Tour ist, fehlt ihm die Erfahrung. Zudem wird er die Anstrengungen der ersten hektischen Woche in den Bergen spüren.