Ohne sein Team in Höchstform ist Froome schlagbar

Vermutlich war Chris Froome bei der Tour ein paar Prozent stärker als bei der Vuelta. Dennoch hätte der Brite nach dem Toursieg auch den Vuelta-Triumph feiern können. Hätte, wenn sein Team in Spanien ebenso stark gewesen wäre, wie bei der Großen Schleife. Verloren hat Chris Froome die Vuelta auf der spektakulären 15. Etappe, als Alberto Contador früh im Rennen attackierte und sich eine Ausreißergruppe mit Nairo Quintana bildete. Chris Froome verpasste die Gruppe und versuchte verzweifelt den Rückstand in Grenzen zu halten. Doch nur zwei seiner Helfer waren an seiner Seite und die beiden waren nicht in der Lage, die Gruppe um Contador und Quintana zurückzuholen. Am Ende des Tages erreichte Chris Froome 2:37 Minuten nach Quintana das Ziel. In Madrid fehlten 1:23 Minuten zum Gesamtsieg.

Bei der Tour de France trat das Sky-Team noch ganz anders auf. Die britische Mannschaft dominierte die Etappen nach Belieben. Froome war immer beschützt und durch seine extrem starke Mannschaft scheinbar unangreifbar. Am Ende landeten vier Fahrer in den Top-17 der Gesamtwertung der Tour. So lange Sky Froome die besten Fahrer der Welt als Helfer an die Seite stellen kann, wird es für die Konkurrenz sehr schwer. Doch sind die Helfer nicht im Tour-Modus ist Froome jederzeit angreifbar – das hat diese Vuelta bewiesen.

 

Movistar – clever und stark zum Ziel

Das Movistar-Team war angetreten um die Heimrundfahrt zu gewinnen. Sie sind selbstbewusst aufgetreten, haben das Rennen bestimmt und am Ende verdient den Gesamtsieg eingefahren. Dass Quintana sich gegen Chris Froome durchsetzen konnte, hat er zu einem großen Teil seinem Team zu verdanken. Im Mannschaftszeitfahren stark, in den Bergen extrem stark und taktisch ohne Fehler. Das Team um Nairo Quintana dominierte zwar nicht, wie Sky bei der Tour, aber sie fuhren abgezockt und clever. Auf der angesprochenen 15. Etappe waren sie wachsam und konnten gemeinsam mit Tinkoff Froome distanzieren. Doch wie stark und konzentriert die Mannschaft von Eusebio Unzué agierte, konnte man auf der vorletzten Etappe gut beobachten. Sie nahmen die Sky-Helfer fast in Manndeckung, wie bei U23-Rennen und waren immer in Gruppen vertreten um nicht ins Hintertreffen zu geraten.

 

Kurze Etappen sind besser als fünf Monsterberge

Kollege Philipp Diegner hat sich dem Thema „Warum kurze Etappen für spannendere Rennen sorgen“ schon im Juli wissenschaftlich genähert und mehrere Beispiele zusammengetragen. Die 15. Etappe dieser Vuelta stützt die These nachdrücklich. Für jeden Radsportfan war die nur 118,5 Kilometer lange Etappe zum Formigal ein großes Fest. Klar, die Radfahrer machen das Rennen, aber wenn das Rennen über 210 Kilometer und fünf Monsterberge geht, wird sich kein Profi auf den ersten Kilometern weit aus dem Fenster lehnen. Bei Klassikern ist das was anderes, aber wie sehr eine Rundfahrt von kurzen Etappen profitieren kann, haben wir erneut gesehen. Kein Abwarten, kein Zurückhalten – Vollgas, Attacke. Auch Profis, wie etwa der Routinier Johannes Fröhlinger haben sich erneut für kurze, aber knackige Etappen ausgesprochen, denn auch die Fahrer haben größeren Spaß an diesen Rennen. Die Superteams haben es schwerer diese Rennen zu kontrollieren und Überraschungen sind eher möglich. So wünschen wir uns den modernen Radsport, oder wie es Johannes Fröhlinger im Vuelta-Twitter-Tagebuch formulierte:

 

Die Vuelta hat großen Spaß gemacht, auch weil sie nicht die Tour ist

Die Tour de France ist das größte Spektakel der Radsportwelt und gehört zu den wichtigsten Sportereignissen der Welt. Der sportliche Stellenwert ist extrem. Die Mischung aus Jahreshöhepunkt, Sponsorendruck, Medienzirkus und Heldenverehrung lösen die Tour aus der restlichen Radsportwelt. Das hat natürlich Auswirkungen aufs Rennen. Bei der Tour wird um jeden Millimeter gekämpft. Ein Etappensieg kann die ganze Karriere verändern. Die Teams gehen kein Risiko, die Fahrer umso mehr. Die Rennen sind kontrollierter, Überraschungen selten.

Bei der Vuelta ist das anders. Es war ein spektakuläres Rennen mit interessanten Etappen und einigen Überraschungen. Auch weil die Mannschaften jüngeren Fahrern die Chance geben, sich zu beweisen. Magnus Cort Nielsen, Fabio FellineValerio Conti oder auch Pierre Latour haben gezeigt, wozu sie fähig sind, wenn man sie lässt. Doch nicht nur die Etappensieger werden bei den sportlichen Leitern in Erinnerung bleiben. Auch Kenny Elissonde und Davide Formolo haben mehr als nur wichtige Erfahrungen gesammelt. Und selbst für einige Routiniers, wie etwa Marcel Wyss hat diese Spanienrundfahrt Selbstbewusstsein zurückgebracht, weil sie zeigen konnten, was sie drauf haben.

 

Nairo fehlt nur noch die Tour

Nairo Quintana gehört schon jetzt zu den ganz Großen des Radsports. Neben dem Giro hat er nun auch die Vuelta gewonnen. Dazu stand er drei Mal auf dem Podium der Tour de France und gewann sowohl Baskenland-Rundfahrt, Katalonien-Rundfahrt und auch Tour de Romandie.

Nairo Quintana ist erst 26 Jahre alt! Der kleine Kolumbianer ist ein Ausnahmetalent und ein begnadeter Kletterer. Chris Froome wird sich in den nächsten Jahren bei der Tour warm anziehen müssen, denn Quintana ist sicher noch nicht am Leistungsmaximum angekommen. An dem kleinen Kolumbianer wird die Radsportwelt noch einige Jahre ihr Vergnügen haben.