Nachdem wir im ersten Teil unserer Trainingsserie die Grundstruktur eines effektiven, personalisierten Trainingsplans vorgestellt haben, geht es nun darum, wie man diese Individualisierung des Trainingsplans realisiert.
Der Weg zur Individualisierung
Im üblichen periodisierten Trainingsplan spielt die Grundlagenausdauer eine dominante Rolle. Erst im späten Winter und mit nahender Rennsaison sollte das Training demnach intensiver und spezifischer für die Zieldisziplin werden. Diese Herangehensweise erfordert vor allem für das Grundlagentraining einen hohen Zeitaufwand und setzt voraus, dass jeder ähnlich auf bestimmte Trainingsmethoden reagiert. In der Praxis zeigen sich jedoch große Unterschiede und auch die Sportwissenschaft beschäftigt sich inzwischen eingehend mit den Unterschieden verschiedener Trainingsinterventionen.
RESPONDER? – Worauf reagiere ICH als Athlet besonders effektiv?
Die Reaktion auf ein Trainingsprogramm wird häufig sehr allgemein beschrieben. Die durchschnittliche Reaktion einer Gruppe wird als die typischen „Response“ definiert. In der Praxis zeigen sich jedoch sehr unterschiedliche Effekte, selbst auf eine einzige Intervention. In der Sportwissenschaft und der Sportmedizin haben sich die Begriffe Responder und Non Responder (im engl. auch high vs. low vs. non responder) etabliert.
Nehmen wir beispielsweise ein mehrwöchiges Protokoll mit hochintensiven Intervalltrainings (HIIT), das die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) verbessern soll. Einige Versuchspersonen werden eine deutlich gesteigerte VO2max aufweisen – die Responder. Auf der anderen Seite erzielen einige Non Responder überhaupt keinen Effekt durch das Programm.
Die Einflussfaktoren auf die individuelle Trainingsreaktion in der Praxis sind vielfältig und bislang nicht einwandfrei identifiziert. Einige zentrale Aspekte sind:
- der aktuelle Fitnesstand (Ausdauer – Schwellenleistung – Leistung an der VO2max),
- die individuellen physiologischen Grundvoraussetzungen (VO2max, Muskeltypen, Körperbau, genetische Faktoren),
- die Erholungsfähigkeit, insbesondere nach intensiven Trainings,
- die Trainingshistorie (Erfahrung mit strukturiertem Training, Jahre im Radsport),
- tägliches bzw. wöchentliches Trainingsvolumen und
- sonstige Lebensumstände (Beruf, Familie, Gesundheit).
Worauf spreche ICH an?
Im Radsporttraining lässt sich der Responderansatz auf die verschiedenen Trainingsmethoden anwenden. Mit welchen Trainingsintensitäten erzielt man den größten Effekt auf die Zielleistung? Für die meisten Athleten sollte als Zielgröße die zu verbessernde die Schwellenleistung (auch: individuelle anaerobe Schwelle; IANS) gewählt werden. Zunächst stellt sich die Frage, worauf man zum gegenwärtigen Zeitpunkt persönlich stärker reagiert. Sind es eher kurze, sehr intensive Belastungen oder längere, etwas moderatere Intervalle im Bereich der IANS? Um dies herauszufinden, sollte einige Zeit in die Überprüfung der persönlichen Bedingungen investiert werden.
Als Testprotokoll: Mehrere kurze, dreiwöchige Zyklen mit drei Wochen Länge. Der Fokus wird für je zwei Wochen auf einen spezifischen Trainingsbereich gelegt, um zu ermitteln, wie die jeweilige Response ausfällt. Die dritte Woche ist eine Adaptionswoche mit reduziertem Umfang. Am Ende jedes Blocks steht ein Leistungstest für den relevantesten Leistungsparameter (v.a. IANS) mit einem standardisierten Protokoll – z.B. ein 20-Minuten-Test für die Schwellenleistung.
Die verschiedenen Trainingsbereiche und Methoden – was will ich trainieren?
Von Entwicklungsbereich (EB, auch L4), über „Sweetspot“ (SST) bis zum anaeroben Bereich (L6) existiert keine allgemein gültige Herangehensweise, um langfristig stärkere Leistung zu erbringen. Tendenziell sind Sweetspot und Schwellentraining (L4 – EB) besonders geeignet, um die muskuläre Ausdauer zu trainieren – die Fähigkeit hohe Leistungen über lange Zeit zu halten. Intensivere, kurze Intervalle sollen hingegen eher die Leistung jenseits der Schwelle stimulieren. Wie beschrieben variiert die Response jedoch stark. Bei der Entscheidung für einen Trainingsfokus sollten zudem einige andere Faktoren beachtet werden. Vor allem die Freude am Training und die Vereinbarkeit mit dem Alltag sollten nicht außen vor bleiben.
Wie verbessere ich was?
In unserer Trainingsserie geht es nicht darum, den Trainingskatalog neu zu erfinden, sondern darum, die Sichtweise auf Fitness im Radsport und die Ziele der spezifischen Methoden zu personalisieren. Einseitiges Training liefert ab einem bestimmten Niveau nicht mehr genug Stimulus, um deutliche Verbesserungen zu hervorzurufen.
„Langsames GA Training lässt einen sehr effizient langsam fahren – intensives Training lässt einen sehr effizient schnell fahren!“
Eine effektive Trainingssteuerung für langfristigen Fortschritt beinhaltet einen individualisierten Mix aus Grundausdauer und Intensitäten. Der Grundsatz der Spezifität wird deshalb nicht aufgehoben. Im Optimalfall verbessert sich die Komplexleistung, sowohl an der IANS, als auch die hochintensive Leistung an der VO2max – je nach Zielen in unterschiedlichem Maße.
Wie lassen sich Trainingserfolg und Leistung messen?
Der Mechanismus der Leistungsgewinne ist fast immer wechselseitig – isolierte Verbesserungen, z.B. der 5-Minuten-Leistung sind eher unwahrscheinlich. Zur Erfassung der individuellen Leistungsfähigkeit hat sich in der Sportwissenschaft das „Critical Power“ Modell etabliert. Es beschreibt die Beziehung aus maximaler Leistung und Zeit mit zwei Variablen:
Critical Power (CP, kritische Leistung) = Äquivalent zur Schwellenleistung – die größte Leistung, die ein Athlet aufrechterhalten kann, ohne kurzzeitig zu erschöpfen. Praktisch ist sie die maximale Leistung für 20 bis gar 60 Minuten. Je höher sie ist, desto schneller kann man also über lange Zeit fahren.
W’ (enl. “W-Prime) = hoch-intensive Energie oder Kapazität für Arbeit über der CP, also für Belastungen die unvermeidlich zu Erschöpfung führen (früher meist „anaerobe Kapazität“). Je weiter die erbrachte Leistung über die Schwellenleistung steigt, desto schneller setzt Erschöpfung ein – die Leistung muss zwangsläufig unter die kritische Leistung (CP) gesenkt werden. Die hochintensive Energie ist angeben in Joule (J), errechnet aus Leistung in Watt über der CP x Zeit in Sekunden, z.B. 100W x 200s = 20.000J.
Beispiel für das CP-Modell in der Praxis: Ein Fahrer mit einer CP von 200W und einer W‘ von 20.000J kann nach diesem Modell 250W für 400s (3:40min) aufrechterhalten – 50W über CP X 400s ergibt 20.000J.
Mit mehreren Datenpunkten – z.B. 20min Leistung + 5min Leistung + Maximalleistung – kann so eine individuelle Leistungskurve für jeden Athleten erstellt werden, an der sich zudem die Eigenschaften von Fortschritten abbilden lassen. Dabei besteht, je nach Art des Trainings, ein Zielkonflikt zwischen Verbesserungen der Schwellenleistung und der hoch-intensiven Kapazität. So führt z.B. ein deutlicher Anstieg der CP häufig zu einer Verkleinerung des Bereichs zwischen Schwelle und VO2max und damit zu einem absoluten Rückgang der W‘-Kapazität.
Deshalb haben beispielsweise Kletterer oder Zeitfahrer im Normalfall eine höhere Schwellenleistung als Puncheure, die an den kurzen steilen Anstiegen glänzen. Erfolgreiches Training der CP verringert demnach vielleicht die Gesamtkapazität für Belastungen über der Schwelle (W‘). Das heißt jedoch nicht, dass sich nicht auch die absolute Leistung für kürzere Intensitäten unter 20min verbessert. Die Steigerung fällt nur langsamer aus. Mittels regelmäßiger Tests lässt sich jede Veränderung aus der Power-Duration-Kurve ablesen und – neue Bestleistungen aber auch sinkende Fitness.
Zusammenfassung
Mit den Informationen aus dem ersten Teil der Trainingsserie und den Erkenntnissen zu Individualisierung und Fortschrittstests haben wir jetzt die Werkzeuge in der Hand, die man braucht, um einen personalisierten Trainingsplan zu entwerfen:
- Die 3+2 (3) Grundstruktur, auf der alle Zyklen zur Leistungsverbesserung basieren.
- Eine Methode die persönliche Reaktion auf spezifische Trainingsreize zu definieren.
- Ein Instrument zur Quantifizierung der allgemeinen Leistungsfähigkeit und genauer Leistungsbereiche – die Power-Duration Kurve als fortlaufendes Leistungsprofil!
Im nächsten Teil wird auf diesem Fundament eine langfristige Trainingsstrategie für die ganze Saison erläutert, die vor allem für Jedermänner mehr bieten kann als die klassische Periodisierung.