Fabian, wie schwer fällt es dir, nach 16 Jahren als Profi aufzuhören?

Es geht. Das letzte Rennen war der Münsterland Giro und das ist ja schon ein paar Tage her. Ich hatte schon noch ein bisschen damit geliebäugelt weiter zu fahren, aber jetzt ist die Entscheidung gefallen, und ich freue mich auf mehr Zeit mit der Familie.

Was wird dir fehlen und was definitiv nicht?

Was mir definitiv nicht fehlen wird, ist mich jeden Tag bei ADAMS (Anti-Doping Meldesystem) abzumelden (lacht). Ich bin natürlich nicht gegen das Meldesystem und finde es wichtig und richtig, aber jetzt nicht mehr ständig daran denken zu müssen, ist schon angenehm. Und es gibt auch so manche Hotels, die ich nicht vermissen werde.
Ich werde den Radsport ja nicht ganz verlassen, aber es war schon toll mit den Jungs rumzureisen und Rennen zu fahren. Es ist eine große Familie und das wird mir schon fehlen.

Wenn du in ein paar Jahren mit den Enkeln auf der Couch sitzt, von welchem Rennen wirst du erzählen?

Vom Giro d’Italia. Das ist ein Rennen, bei dem ich mit dem Bergtrikot einen meiner größten Erfolge gefeiert habe und den schlimmsten Unfall hatte (Anm. d. Red. Wegmann hatte sich bei einem Sturz 2014  schwer am Muskel verletzt). Daran werde ich immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurückdenken. Aber natürlich werde ich auch mit ihnen die Klassiker gucken und sagen, da hätte ich auch gern mal gewonnen (lacht).

16 Jahre mit vielen Erfolgen: Welcher Traum blieb unerfüllt?

Bei der WM und beim Amstel Gold Race hätte ich gern mal auf dem Treppchen gestanden. Mit der Lombardei hab ich mir den Traum erfüllt, bei einem Monument auf dem Podium zu stehen. Das war zwar kein Sieg, aber schon ein großer Moment und darauf bin ich auch immer noch stolz. Aber mal beim Amstel auf dem Podium zu stehen – dagegen hätte ich auch einen anderen Sieg eingetauscht.

Was hat dafür gefehlt?

Manchmal fehlt einfach der Tag, an dem alles passt. Und das hätte ich auch gebraucht, denn ich war nie der Top-Favorit. Wenn ich dort hätte gewinnen wollen, hätte es zu 100 Prozent passen müssen und ich hätte auch noch ein Quäntchen Glück gebraucht. Aber ich war auch mehrfach in einer Mannschaft, die das Rennen gewonnen hat. Da spielt auch die Teamtaktik eine Rolle.

Dafür hat es bei anderen Rennen geklappt – was war dein schönster Sieg? 

Hmm, das werde ich öfter gefragt und ich muss schon sagen, dass ich an das Bergtrikot eine tolle Erinnerung habe. In Mailand auf dem Podium zu stehen, war der Hammer. Und es gab eine Riesenparty mit Freunden. Sehr, sehr emotional war auch der ersteDM-Titel in Wiesbaden. Aber auch an meinen ersten Profisieg in Italien (Anm. d. Red: GP Città di Rio Saliceto e Correggio 2003) habe ich tolle Erinnerungen.

Über die Jahre bist du mit vielen Kollegen gefahren, wer war der beste Teamkollege den du hattest?

Das ist ja eine gemeine Frage (lacht). Ich hab viele gute Freunde und da ist es schwer, jetzt einen rauszusuchen, denn sie sind ja alle verschieden und woran soll ich das genau festmachen?

Das kannst du selbst aussuchen, vielleicht der, der am wenigsten schnarcht?

Klar, der beliebteste Zimmerkollege ist immer der, den man nicht merkt (lacht). Nein, ich würde schon sagen, dass ich zu Johannes Fröhlinger ein sehr gutes Verhältnis habe. Wir haben auch schon privat zusammen Urlaub gemacht und wir hatten auch immer sehr, sehr viel Spaß.

Das betrifft eher die menschliche Seite, was würdest du sagen, wer dich als Sportler stark beeindruckt hat? Der vielleicht beim Amstel jeden Strauch mit Vornamen kannte, dich besonders gefördert hat oder ein Vorbild war?

Es ist sehr schwierig, ihn Vorbild zu nennen, nach all dem, was wir jetzt wissen, aber ich muss schon sagen, dass ich nie wieder jemanden kennen gelernt habe, der so gelebt hat wie Davide Rebellin. Er hat wirklich nach der Uhr gelebt, das war sehr beeindruckend. Er ist um acht Uhr zum Essen gegangen, und dann um halb Neun ins Bett. Das hat der jeden Tag gemacht und macht er wohl heute immer noch so. Und auch im Rennen ist er extrem clever gefahren, das war wirklich beeindruckend.

Was würdet du sagen, war der größte Fehler, den du gemacht hast?

Das ist schwer zu sagen, aber ich erinnere mich noch sehr gut an einen bitteren Moment. Es war bei der Baskenland-Rundfahrt 2003 und ich habe für Davide den Sprint angezogen. Ich hab gesehen, dass er direkt an meinem Rad ist, ich bin dann rausgegangen und hab gejubelt, weil wir Erster und Zweiter werden. Doch genau in diesem Moment ist Valverde links vorbei gestochen und wir wurden Zweiter und Dritter. Das war ein Riesenfehler, ich war noch ziemlich jung und hab mich einfach zu früh gefreut.

Wie war es dann nach dem Rennen? Hat dich jemand in den Arm genommen, oder gab es eine Standpauke?

Es war natürlich so, dass sich alle geärgert haben, aber sie haben auch gesehen, dass ich schon genug gelitten habe. So musste mir dann nicht noch jeder sagen, wie scheiße ich gefahren bin. Hätte ich mich hingestellt und gesagt, dass ich alles richtig gemacht habe, hätten sie mir die Leviten gelesen. Aber ich wusste ja selbst, was ich falsch gemacht hatte. So war allen klar, dass da nur aufmunternde Worte helfen.

Was war der bitterste Moment in deiner Karriere? Wo hast du am meisten gelitten, oder war dir zum Heulen zumute?

Wo ich geheult habe? Das war die drittletzte Etappe der Tour 2008, als ich aussteigen musste. Wir waren zu dritt, mit Juan Antonio Flecha und Romain Feillu – und haben vergeblich gekämpft. Die Etappe ging direkt berghoch los und wir wurden sofort abgehängt. Danach wurde es zwar flach, aber wir kamen nicht wieder ran und sind den ganzen Tag hinterher gefahren. Am Ende sind wir aus dem Zeitlimit geflogen. Das war einer der bittersten Momente meiner Karriere. Da kam einfach alles zusammen. Ich war bei der Tour fünfmal gestürzt, völlig fertig und richtig krank. Ich hatte eine Druck-Urtikaria und überall wo Druck auf meine Haut ausgeübt wurde, waren Pusteln. Am Fuß, den Händen und es hat extrem gejuckt. Ich war völlig am Ende und auch psychisch total fertig. Als ich dann im Ziel gehört habe, dass es nicht gereicht hat, war ich völlig fertig. Das war einfach extrem bitter, zumal es bis Paris nur noch ein Zeitfahren und dann die Etappe in Paris war. Eigentlich eine sichere Sache.

Welches ist das geilste Radrennen der Welt?

Für mich persönlich die WM.

Warum?

Es ist ein super spezielles Rennen. Die Fans kommen aus allen Teilen der Welt und die Stimmung ist besonders. Aber auch der Henninger war für mich besonders. Auch die Tour ist natürlich ein Superlativ. Was ich damals erlebt habe, als wir aus Pforzheim rausgefahren sind und ich das Bergtrikot anhatte, das war unbeschreiblich.

Wer war der beste sportliche Leiter, den du je hattest? 

Puh, das ist jetzt auch wieder schwierig. Also zu Christian Henn hatte ich immer ein gutes Verhältnis. Er hatte auch nicht immer die gleichen Vorstellungen, aber mit ihm bin ich immer gut zurecht gekommen. Aber ich hatte schon ein paar richtig gute sportliche Leiter. Kim Andersen war zum Beispiel taktisch auch sehr gut. Es ist schon schwierig, sich auf einen zu beschränken.

Wenn dich jetzt ein Neoprofi um Rat fragt und du kannst ihm nur einen Tipp mitgeben, welcher wäre das?

Nie abheben.

Du warst zu einer Zeit Profi, die von mehreren Dopingskandalen geprägt war. Auch Teamkollegen wie Stefan Schumacher oder Davide Rebellin haben gedopt. Wärst du lieber heute Neo-Profi als vor 16 Jahren?

Ich kann es mir ja nicht aussuchen. Man lebt eben in der Zeit, in der man ist. Klar, hinterher ist man immer schlauer, aber man muss eben damit leben. Ich hatte trotzdem eine schöne Zeit und auch meine Erfolge.

Hat sich dein Verhältnis zu deinen Teamkollegen verändert, nachdem du wusstest, dass sie gedopt hatten? 

Das ist schon schwierig, wenn man persönlich so enttäuscht ist. Das fällt dann schon schwer, auch wenn ich immer sage, dass jeder auch eine zweite Chance verdient hat. 

Du kannst jetzt auf 16 Jahre zurückblicken, was hat sich im Radsport am meisten verändert?

Es ist viel professioneller geworden. Ich kann mich noch erinnern, als wir bei Gerolsteiner zum ersten Mal einen Koch dabei hatten. Heute ist das Standard. Auch was die Rennen betrifft, konnte man früher mal zur Vorbereitung mitfahren. Heute ist jedes Rennen wichtig, da geht das nicht mehr. Wenn man sich anschaut, dass alle Teams ihre Trainer haben. Das gab es früher nicht. Wenn man da einen Trainer wollte, dann hat man sich selber einen gesucht. Oder wenn man schaut wie das Team Sky heute bei der Tour fährt, die rechnen sich das halt vorher aus, dass Froome gewinnt.

Es gibt auch kaum noch Fluchtgruppen, die durchkommen. Viele Teams wissen zwar, dass sie einen Sprinter haben, der nicht gewinnen kann, aber sie fahren trotzdem hinterher, weil sie in die Top-Ten wollen.

Früher war das anders, da wurde vielleicht auch noch mehr mit Verstand gefahren. Es ist eben heute viel kontrollierter in den Rennen. Da ich früher eher aus Fluchtgruppen gewonnen habe, finde ich das nun natürlich doof (lacht).

Damals hatte auch nicht jeder ein iPad mit Google Maps und konnte sich die Strecke vorher genau anschauen. Da kam es viel mehr auf Erfahrung und Gespür an. Heute ist das alles kein Hexenwerk mehr. Das hat sich schon stark verändert, wie eben alles im Leben. Es ist eben insgesamt professioneller geworden.

Wenn dein Sohn in ein paar Jahren kommt und will auch Profi werden, was sagst du ihm dann?

(Lacht) Setz dich noch mal hin und überleg es dir. Nein, wenn er es unbedingt will, dann kann er alles machen, was er will. Im Moment will er Astronaut werden, das find ich auch gut. Ich habe es am eigenen Körper erlebt, was es bedeutet Radprofi zu sein, und man muss es definitiv lieben und unbedingt wollen, sonst funktioniert das nicht.

Wie geht es bei dir weiter?

Es gibt einige interessante Aufgaben, über die ich jetzt noch nicht zu viel verraten kann. Ich will aber auf jeden Fall dem Radsport etwas zurückgeben und dabei helfen, den Sport auch in Deutschland weiter aufzubauen. Was genau meine neue Aufgabe sein wird, gebe ich bald bekannt.