Max Walscheid (Foto: Roth&Roth)

Nachdem wir im ersten Teil unserer Trainingsserie die Grundstruktur eines effektiven, personalisierten Trainingsplans vorgestellt haben, wurde im zweiten Teil gezeigt, wie man eine Individualisierung des Trainingsplans erreichen kann. Im Dritten Teil geht es nun um den eigenen Trainingsplan und die Trainingssteuerung.

 

Potenzial ausschöpfen

Egal ob man nach einigen Jahren Radsporttraining ein hohes Niveau erreicht hat, oder noch nie nach einem strukturierten Plan trainiert hat. In den meisten Hobbysportler schlummert noch ein unangetastetes Leistungspotential. Die im ersten und zweiten Teil der Trainingsserie vorgestellte Methodik zur Erstellung eines personalisierten Trainingsplans kann diese freisetzen. Um wirklich effektiv zu trainieren – d.h. mit dauerhafter Progression der Leistungsfähigkeit – werden auf hohem Niveau sowohl spezifische, intensive Reize, als auch sinnvoll eingesetztes Ausdauertraining benötigt. Das gilt umso mehr für zeitbegrenzte Jedermänner, die eben keine 20 bis 25 Stunden wöchentliche Trainingszeit erreichen können.

 
Warum ist das traditionelle Grundlagen Modell für die meisten nicht optimal?

Im Normalfall verbessern sich Radsport Neueinsteiger unabhängig von der Struktur des Trainings rapide – bis zu einem gewissen Niveau (meist zwischen 3,5 – 4,5W/kg). In der Anfangszeit ist die Art des Training eher unbedeutend. Solange genügend Zeit auf dem Rad verbracht wird, adaptiert der Körper, um den neuartigen Belastungen gerecht zu werden. Nach einiger Zeit im Sport jedoch verlangsamen sich die Fortschritte, und viele begeben sich in die alljährliche Routine der periodisierten Saisonvorbereitung.

Die Klassische Periodisierung

Ein Hauptbestandteil der traditionellen Methode („lineare Periodisierung“) ist wochenlanges moderates Grundlagentraining. Es ist insbesondere im Profibereich gang und gäbe und hat sich dadurch auch im Hobbybereich durchgesetzt. Bei ihnen werden Einheiten mit bis zu 6 Stunden Dauer und Wochenumfänge teils über 25 Stunden abgespult. Viele Hobbysportler haben aber nicht genug Zeit für die benötigten Umfänge eines solchen Plans. Familie, berufliche Verpflichtungen etc. erlauben nur den wenigsten, 15 Stunden oder mehr pro Woche dem Sport zu verschreiben. Das Problem: Lange Ausfahrten sind langsamer, denn: harte Belastungen sind nur für eher kurze Zeit aufrechtzuerhalten und je länger ein Workout, desto niedriger die nachhaltige Pace. Mit weniger Zeitaufwand führt der klassische Ansatz einfach nur zu schwächeren Trainingsreizen. Das aerobe System wird nicht genug belastet, um positive Adaptionen zu stimulieren – ab einem gewissen Leistungsniveau sind stärkere Reize vonnöten, sonst droht Stagnation.

Braucht man überhaupt eine starke aerobe Grundlage?

Die gute Nachricht ist, dass die meisten Jedermänner überhaupt keine große Basis benötigen. Die teils atemberaubenden Umfänge der Profis (25-30 Stunden pro Woche) sind vor allem wichtig, da sich ihre Rennen erst nach langer Zeit im Sattel entscheiden. Sie müssen auch nach 6 Stunden noch Spitzenleistungen erbringen – und das an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen. Diese Fähigkeit scheint ohne großes Trainingsvolumen nicht ausreichend ausgebaut zu werden. Außerhalb des Profibereichs kann man sich etwas anders auf Wettkämpfe vorbereiten, ohne eine solche Ermüdungsresistenz aufbauen zu müssen. Um für Rennen zwischen 45 Minuten und maximal 3 Stunden konkurrenzfähig zu sein (Straßenrennen, Kriterien, Cyclocross etc.) sind fast ausschließlich die Schwellenleistung sowie die Leistung an der VO2max entscheidend – und wie lange/wie oft man diese erbringen kann.

 

Die Leistungsbergrenzer

Selbst für Radmarathons gilt: Gut trainierte Radsportler sollten bei guter Gesundheit in der Lage sein, über Stunden im Sattel zu sitzen ohne zu erschöpfen. Die akute Ermüdung in einem Wettkampf wird vor allem durch die Nachhaltigkeit der gewählten Pace bestimmt – solange man sich maximal mit der Tempopace fortbewegt, ist die Ausdauer kein Begrenzer. Das Resultat, selbst in einem langen Wettkampf, wie dem Ötztaler, wird dann nicht mehr ausschließlich durch die Grundausdauer bestimmt, sondern durch die erbrachte Leistung im Verhältnis zur IANS (individuelle anaerobe Schwelle). Denn 80% von 300W sind deutlich schneller als 80% von 250W, unabhängig von der Ausdauer. Das heißt nicht, dass Grundlagentraining keinen Zweck mehr erfüllt. Meist kann die Effizienz im moderaten Bereich weiter verbessert werden: Nur schneller werden wir dadurch nicht.

Hoch-intensives Training als Alternative

Schwellen- und Spitzenleistung können auch mit geringerem Volumen (6-10 Stunden pro Woche) und höherer Intensität deutlich verbessert werden. Zahlreiche Studien zu hoch-intensivem Intervall Training (HIIT) haben bewiesen, dass mit kurzen, harten Intervallen (ca. 30 Sekunden – 8 Minuten) ähnliche Effekte erzielt werden können – verbesserte aerobe Kapazität durch erhöhte Mitochondriendichte, verbesserter Energiestoffwechsel etc. Häufig zeigen sich zudem bessere Trainingsresultate für Leistungen an der VO2max als beim traditionellen Grundlagentraining.


Ganzjähriges Training statt Saisonvorbereitung

Selten bilden HIIT oder Grundlagentraining alleine ein Trainingsprogramm. In den meisten Plänen folgen intensive Schwellen- oder HIIT-Phasen auf eine lange Grundlagenperiode. Doch durch den periodisierten Einsatz können sie ihre Wirksamkeit bei Hobbyfahrern nur bedingt entfalten. Warum sollten sich Hobbyfahrer von einem solch starren System einschränken lassen. Voll austrainierte Profis, die sich am Limit menschlicher Leistungsfähigkeit bewegen, erzielen über eine Saison hinweg nur noch minimale Zuwächse. Außerdem müssen sie 50 bis teils 100 Renntage mit Training in Einklang bringen. Bei Hobbyfahrern ist hingegen für deutliche Verbesserungen der Leistung meist noch viel Potential vorhanden. Zudem stehen normalerweise weniger Wettkämpfe auf dem Programm und es ist möglich, die Zeit auf dem Rad für stetigen Aufbau zu verwenden – über das gesamte Radsportjahr hinweg.

„Das übergeordnete Ziel ist nicht die Vorbereitung auf die Saison sondern deutlich gesteigerte Leistungsfähigkeit“

 

Die wichtigsten Grundsätze des ganzjährigen Trainings:

  • Grundstruktur: Die 2+3 (3+3) Struktur mit 5 oder 6 Einheiten pro Woche (siehe Teil 1)
  • Individualisierung: Responderansatz nutzen um die Trainingsblocks zu planen (siehe Teil 2)
  • Ganzheitlichkeit: Nicht Konzentration auf Grundausdauer oder VO2max Leistung, sondern andauernde Kombination von intensiven Workouts und stetigen moderaten Ausfahrten – Polarisiertes Training.
  • Je vier Wochen Fokus („Mikrozyklus“) auf eine Intensität gefolgt von einer reduzierten Übergangswoche
  • Ständige Progression der individuellen Intensitäten in jedem Mikrozyklus – längere, intensivere Intervalle mit ständiger Variation – „Belastungssteigerung“
  • Regelmäßige Leistungstest: Die möglichen Fortschritte der Leistung sollten regelmäßig mit Leistungstest (z.B. 20min Schwellentest) überprüft werden – bei Stagnation Anpassungen vornehmen.
Leistungsverlauf

Traditionelle Periodisierung = Verschiedene Phasen der Vorbereitung mit sehr spezifischem Fokus

VS.

Individualisiertes Training = Ganzheitliche Zyklen für nachhaltigen Leistungsaufbau

Nach diesem Muster wird zu keinem Zeitpunkt der Saison nur Grundlage oder hauptsächlich intensiv trainiert. Vielmehr vereint die Kombination aus intensivem und moderatem Training alle wichtigen Trainingsstimuli in jedem Trainingsblock. Richtig geplant ist so der Leistungsverlauf ständig ansteigend – deutlich über das bisherige Niveau hinaus. Hier würde der klassische Ansatz im Idealfall zu marginalen Fortschritten in einer Saison führen. Lange moderate Trainings sind also nicht obsolet. Auch Jedermänner können in der Regel die eine oder andere lange Ausfahrt (4 Stunden oder mehr) einplanen. Das hilft nicht nur aus physiologischer Sicht. Auch die Erfahrungswerte, unter anderem bei der Vorbereitung auf einen Radmarathon, sind nicht zu unterschätzen.

 

Der Beispielplan

Ein ganzjähriger plan besteht aus 8 bis 10 Zyklen: 4 Wochen kombiniertes Training gefolgt von einer Übergangswoche (Transition). Pro Woche sollten 5 oder 6 Einheiten (nach der 3+2 Struktur) eingeplant werden. Mit begrenztem Zeitbudget lässt sich auch eine 4-Tage Woche effektiv realisieren. Im zweiten Teil der Trainingsserie wurde beschrieben, wie die intensiven Trainingsbereiche abgegrenzt werden, um für einen ganzjährigen, individualisierten Aufbau gezielte Reize zu liefern – kombiniert mit regelmäßigen langen Ausdauerfahrten. Als Basis für intensive Einheiten gelten alle Bereiche über der Tempopace ab circa 88% der Schwelle. Zentral ist die Arbeit am „Sweetspot“ und der Schwelle (L4; Entwicklungsbereich) SOWIE in den anaeroben Bereichen (L5 & L6; Spitzenbereich). Alle haben sich in unterschiedlichen Trainingskontexten und –modellen als effektiv erwiesen. In Verbindung mit Ausdauerfahrten soll die Komplexleistung im Radsport fortlaufend verbessert werden: Ein Anstieg der gesamten Leistungskurve und nicht nur der Ausdauer oder der anaeroben Kapazität.

 

Ein 10 Wochen langer Beispielplan:

Beispielplan 10 WOCHEN MIT 2 ZYKLEN

Intensive Einheiten finden sich je zwei bis drei pro Woche im Plan wieder. Hinzu kommen 2 GA Workouts, im Idealfall eine 75-100min und eine lange Ausfahrt mit 3 Stunden oder mehr. Erkennbar ist die Progression der Belastung innerhalb eines Zyklus – 2x15min – 2x20min usw. Die Intervalle werden länger und härter, so dass der Trainingsstress in der vierten Woche seinen Höhepunkt erreicht. Danach geht es in eine Ruhe- bzw. Übergangswoche („Transition“), in der der Körper die entscheidenden Adaptionen durchführt.

Bei den eigentlichen Trainingsinhalten sollte die Variation nicht zu kurz kommen. Sie ist sehr gut mit dem Grundsatz der Progression vereinbar. Siehe z.B. 5×5 min mit 4min bei 90% in eine 1min bei 100% – in der zweiten Woche dann 4x8min mit 1min bei 105% und 7min bei 90%. Jede Einheit, die intensive Reize liefert, sieht etwas anders aus. So wird das System nicht nur ständig leicht veränderten, härteren Reizen ausgesetzt. Zusätzlich bietet der Plan Abwechslung. Aus physiologischer Sicht gewöhnt sich der Körper nicht einfach daran, besonders effizient eine bestimmte Belastung abzuspulen. Psychisch soll so die Motivation leichter aufrechterhalten werden.

Nach diesem Muster kann letztendlich über die ganze Saison hinweg trainiert werden. Auch mit einem festen Plan sollte Flexibilität dabei immer möglich sein. Krankheit, Terminänderungen etc. müssen nicht die gesamte Saison negativ beeinflussen. Wie für Saisonhöhepunkte können Vorbereitungswochen natürlich zur Erholung/Wiederaufbau in einen Zyklus integriert werden. Auch Trainingslager oder weniger strukturierte Phasen lassen sich integrieren. Tritt vor Ende einer Periode verstärkt Ermüdung ein, sollte ebenfalls das Vorziehen einer Übergangs- oder Erholungswoche in Betracht gezogen werden (mehr zu Trainingsstressmanagement in einem kommenden Artikel). Der Schlüssel zu stetigem Fortschritt ist dabei, stets hart zu arbeiten und dem Körper regelmäßig Pausen zu gönnen. Kurzfristig erlaubt dies die verwendete Wochenstruktur mit 1 bis 2 festen Ruhetagen und auf Zyklusebene die allmonatliche Übergangswoche in einen neuen Trainingsblock.

Das Potential, welches bei den meisten Radsportlern noch verborgen ist, kann sich durch die beschriebene Strategie besser entfalten. Natürlich existieren für jeden von uns physiologische Limits, die auch mit der besten Trainingsplanung nicht durchbrochen werden können. Doch gerade Athleten, bei denen die Leistung seit längerer Zeit eher stagniert, können profitieren und noch einmal einen Leistungssprung anstreben. Mit dem allgemeinen Plan zur Hand kann nun mit der detaillierten Anpassung für verschiedene Phasen der Saison begonnen werden. Dabei geht es nicht um die vollständige Aufgabe der eingeführten Struktur während der Wettkampfphase, sondern um kleine Veränderungen, die Peaks und Regenerationsperioden zulassen. Diese werden im vierten Teil vorgestellt.

 

ZUSAMMENFASSUNG – was kann man für die Praxis mitnehmen?

  • Training – gerade für Berufstätige – sollte stark individuell angepasst werden
  • Jeder weist eine unterschiedliche „Response“ auf Trainingsinterventionen auf – es gilt die jeweils passenden Trainingsinhalte zu wählen.
  • Ein funktionaler Trainingsplan vereint Individualisierung mit einer Struktur, die effektive Reize und Regeneration in Balance hält.
  • Erfolgreiches Training für nachhaltigen Leistungszuwachs anstatt Saisonvorbereitung als übergeordnetes Trainingsprinzip
  • Der ganzjährige, ganzheitliche Ansatz ersetzt die traditionelle Periodisierung