Greg van Avermaet (Foto: Roth&Roth)

Peter Sagan – der Topfavorit

Er ist derzeit der stärkste Fahrer für Rennen wie die Flandern-Rundfahrt. Bergauf kaum zu halten, wie er eindrücklich bei Mailand-Sanremo bewies, auf dem Pflaster bärenstark und endschnell sowieso. Die Konkurrenz hat sich darauf eingestellt, und der Weltmeister wird keine Sekunde aus den Augen gelassen. Zudem bekommt Sagan in Ausreißergruppen kaum Unterstützung, denn die Konkurrenz weiß um seine Stärke und glaubt nur an eine Chance, wenn Sagan seine Energie schon verschossen hat. Das macht es taktisch für Sagan extrem schwer. Doch bei einem Rennen wie der Ronde van Vlaanderen zählt die individuelle Stärke mehr, als etwa bei Gent-Wevelgem. Die Ronde ist so extrem, dass es dort wohl keinen Überraschungssieger gibt. Wenn Sagan am Oude Kwaremont am Gasgriff dreht, wird es nicht viele geben, die am Hinterrad bleiben können. Die Konkurrenz wird versuchen, Sagan früh im Rennen in Bedrängnis zu bringen. Ob das etwas nützt, bleibt abzuwarten. Sagan ist der absolute Topfavorit und es scheint fast so, als könnten ihn nur Stürze oder Defekte von der Titelverteidigung abhalten.

 

Greg van Avermaet – der clevere Klassikerjäger

Im Herbst brach sich van Averamaet beim Mountainbiken den Knöchel. Dennoch glaubte er fest daran, dass 2017 sein Frühjahr wird. Schon vor der Flandern-Rundfahrt kann man festhalten, dass er genau richtig lag. Der Olympiasieger ist fast so stark wie Sagan, fährt clever und hat mit Omloop Het Nieuwsblad, E3 Harelbeke und Gent-Wevelgem schon drei fette Klassiker-Siege eingefahren. Der Belgier fährt taktisch clever, aber keineswegs zurückhaltend oder abwartend. Er sucht seine Chance und zieht die Rennen dank seiner herausragenden Form gnadenlos durch. Für die Ronde wird er sich gut überlegen müssen, ob er bei Sagan bleibt und riskiert, im Sprint zu verlieren, oder ob er selbst was versucht. Greg van Avermaet stand bei der der Ronde bereits mehrfach auf dem Podium – in diesem Jahr darf man ebenfalls fest mit ihm rechnen. 

 

Philippe Gilbert – der Altmeister in Top-Form

Vor der Saison ist Philippe Gilbert zum belgischen Vorzeigeteam Quick-Step gewechselt. Teamchef Patrick Lefevere erklärte bei der Teampräsentation im Januar mit einem verschmitzten Lächeln, warum er den 34-Jährigen verpflichtet hat: „Er hat mir versprochen, dass er einen großen Sieg einfährt„. Typisch Lefevere. Aber was Gilbert bislang zeigt, rechtfertigt die Verpflichtung durchaus. Der Belgier, der 2011 das Ardennen-Triple gewann, ist in einer beeindruckenden Verfassung. Es scheint fast so, als hätte Gilbert im neuen Umfeld neue Motivation gefunden. Nach beeindruckenden Leistungen bei Dwars door Vlaanderen und E3-Harelbeke, wo er jeweils Zweiter wurde, folgte bei den 3-Tagen-von-DePanne der erste Erfolg für das neue Team.
Doch Gilbert wird nicht nur nach Siegen beurteilt. Er greift an und erfüllt auch taktische Aufgeben. Als echter Teamplayer erwies er sich bei Dwars door Vlaanderen, als er die Ausreißergruppe initiierte und dann seinem Teamkollegen Yves Lampaert anzeigte, wann dieser attackieren solle um allein zum Sieg zu fahren. Dieser tat genau das und Gilbert hielt die Konkurrenz in Schach. Mit Freudentränen bedankte sich Lampaert im Ziel bei Gilbert. Auch Lampaerts Bruder empfing Gilbert mit „merci, merci beaucoup“ im Ziel. Gilbert fühlt sich pudelwohl bei Quick-Step und das Team funktioniert perfekt. Mal sehen, mit welcher Taktik man in die Ronde geht. Gilbert könnte wieder früh angreifen und so die Konkurrenz unter Druck setzten. Er ist explosiv, tempohart und kommt gut übers Pflaster – läuft es optimal, kann Gilbert ganz vorn ankommen, vielleicht sogar allein.  

 

Zdenek Stybar – Quick-Steps zweiter starker Mann

Ja, Zdenek Stybar liegt Paris-Roubaix mehr, als die Ronde. Aber der Tscheche kommt auch mehr als ordentlich über die Hellinge. Und was seine Form betrifft, darf man sich von den reinen Platzierungen der letzten Rennen nicht blenden lassen. Denn Stybar ist durchaus bereit für die Ronde. Bei Dwars Door Vlaanderen erfüllte er taktische Aufgaben und hämmerte dann auf dem großen Blatt den Paterberg hinauf. Kategorie: sehr beeindruckend. Auch bei Gent-Wevelgem gehörte er am Kemmelberg zu der Handvoll Fahrer, die van Avermaet folgen konnten. Stybar ist in Form und wird seine Chance suchen. Sein extrem starkes Quick-Step-Team kann das Rennen bestimmen und hat mehrere Optionen. Vielleicht bleibt Stybar bei Sagan, und Gilbert und Terpstra setzten den Weltmeister früh unter Druck. Dann könnte Stybar Kräfte schonen und den Weltmeister spät im Rennen angreifen. Wir dürfen gespannt sein.

 

 

 

Die Herausforderer

 

John Degenkolb – abwarten oder angreifen

John Degenkolb ist bereit für die großen Pflasterrennen. Auch wenn das ganz große Resultat bislang fehlte, gehört „Dege“ zum Favoritenkreis. Dass er bei Mailand-Sanremo am Poggio nicht bei Sagan mitfahren konnte, ist keine Überraschung. Dazu waren nur die Überflieger und Leichtgewichte Alaphilippe und Kwiatkowski in der Lage. Sagan fährt derzeit in einer eigenen Liga, aber Degenkolb ist im Soll, das beweist sein Auftritt bei Gent-Wevelgem. Am Kemmelberg konnte er bei van Avermaet und Sagan bleiben und später verpasste er den Split in der Spitzengruppe wegen einer Unaufmerksamkeit. Im Sprint ist Dege bärenstark, auf dem Pflaster sowieso.

Für die Ronde muss er sich nur über die Hellinge Gedanken machen. Abwarten, und dann bei Sagans Attacke am Paterberg oder Kwaremont mitzufahren – dieser Plan dürfte eher nicht aufgehen. Denn so stark wie Sagan derzeit bergauf ist, wird Dege da nur schwer mitkommen, auch wenn er etwas leichter zu sein scheint, als in den vergangenen Jahren. Es dürfte durchaus eine Überlegung wert sein, selbst die Initiative zu ergreifen und Sagan vielleicht früh unter Druck zu setzten. Dabei muss Dege nicht 50 Kilometer vor dem Ziel losfahren und dann ein Monster-Solo hinlegen. Sollte sich früh eine kleine Favoritengruppe mit Sagan, van Avermaet und Co bilden, ist es für Sagan schwerer, sich zu schonen. Zudem ist er als stärkster Mann im Peloton bei Angriffen gefordert. Und selbst wenn Sagan dann selbst losfährt, könnte es bei der Konkurrenz zu einer Koalition kommen. Erreicht Dege tatsächlich mit der ersten Gruppe die letzten 1000 Meter, ist er auch nach 250 harten Rennkilometern nur schwer zu schlagen. 

 

Tiesj Benoot – bereit für die Ronde

Seit diesem Jahr wird Benoot auch von den letzten Medien als künftiger Superstar gepriesen. Zu Recht, auch wenn er in diesem Jahr bislang nicht für große Aufregung sorgte. Er hat kein Rennen gewonnen, war abgesehen von Kuurne-Brüssel-Kuurne bei keinem Rennen ganz vorn dabei. Doch Benoot ist bereit für die Ronde. Er ist in super Form und vor allem an den Anstiegen extrem stark. Der Kerl ist gerade erst 23 Jahre alt geworden, hat aber schon reichlich Erfahrung. Lotto-Soudal hat keinen klaren Leader, was sie taktisch aber flexibel macht. Wenn 60-70 Kilometer vor dem Ziel eine kleine Gruppe gehen sollte, wäre es keine große Überraschung, wenn Tiesj Benoot dabei wäre. Dass er bislang nicht übermäßig auffällig fuhr, ist vielleicht auch ein kleiner Vorteil. Benoot hat noch viele Chancen in Flandern vorn zu sein, er hat also nichts zu verlieren – ideale Voraussetzungen für ein offensives Rennen und vielleicht eine Überraschung. 

 

Alexander Kristoff – charakterstark und top motiviert

So richtig lief es bislang nicht, bei Alexander Kristoff. Bei allen belgischen Rennen blieb er hinter den Erwartungen zurück. Schon fast sowas wie eine kleine Krise, hätte man bis zum Mittwoch denken können. Erst ging das Jahr extrem gut los, für den Norweger: Etappensieg beim Etoile de Bessèges, drei Etappensiege im Oman und bei den schweren Wind-Etappen bei Paris-Nizza vorn dabei. Auch gewann er den Sprint „des Feldes“ bei Mailand-Sanremo.

Doch der erfolgsverwöhnte Kristoff blieb dann im März zunächst ohne Sieg, ausgerechnet vor den wichtigen Klassikern schien er nicht in Top-Form. Mal hatte er Defektpech, wie bei Gent-Wevelgem, mal verpasste er die Gruppe. Es lief nicht bei Kristoff und dem Katusha-Alepcin-Team. Doch schaut man sich Kristoffs Leistungen an, ist er durchaus im Soll. Was fehlt, ist die Leichtigkeit. Kristoff hat sich nie so geschmeidig wie Sagan durchs Feld bewegt. Er ist auch nie so übers Pflaster geglitten, wie Tom Boonen. Aber dennoch scheint es so, als wäre er zwar der Kristoff von 2015, aber mit angezogener Handbremse. Es schien so, als würde irgendetwas fehlen, damit der Knoten platzt. Vielleicht ist ihm das am Mittwoch, auf der zweiten Etappe der Drei Tage von De Panne gelungen. Mit der Brechstange initiierte Kristoff die Gruppe auf der Windkante. Und in den Kraftsprint um den Etappensieg legte er alles rein, vielleicht auch die Wut und die Enttäuschung der letzten Rennen. Möglicherweise ist der Knoten nun geplatzt, hat der Etappensieg die Handbremse gelöst. Wer in Oudenaarde als erster über den Zielstrich fahren will, der sollte Alexander Kristoff vorher abhängen, denn im Sprint nach einem harten Rennen ist er kaum zu bezwingen.

 

Oliver Naesen – die Entdeckung des Frühjahrs

Oliver Naesen bei den Klassikern zuzuschauen macht großen Spaß. Der 26-Jährige greift an, wenn er sich stark fühlt, er scheut kein Risiko und belebt die Rennen. Dieser Belgier ist die positive Überraschung dieser Klassiker-Saison. Die Experten unter euch werden nun auf seine starken Leistungen bei den belgischen und französischen Rennen im Vergangenen Sommer hinweisen und an dem Wort „Überraschung“ kritteln. Klar, hat Naesen im IAM-Trikot starke Rennen abgeliefert, aber im Vergleich zum Vorjahr hat er einen deutlichen Sprung gemacht. Vier Top-10 Resultate bei den bisherigen Halbklassikern belegen das. Naesen fährt bislang stark, doch die Ronde ist viel härter, als E3-Harelbeke. Dennoch könnte er eine entscheidende Rolle spielen.