Von den Strapazen gezeichnet, Marcel Sieberg bei Paris-Roubaix (Foto: Roth&Roth)

 

Marcel Sieberg, im vergangen Jahr warst du …
Siebter.

Dass heißt, in diesem Jahr …
… muss ich besser werden (lacht). Der siebte Platz war natürlich schon toll, aber im Nachhinein hab ich mich doch auch ein bisschen geärgert, weil ich ein paar Fehler gemacht habe.

Welche, zum Beispiel?
Rund 30 Kilometer vor dem erstem Pavé musste ich mich noch einmal erleichtern und ein Teamkollege hat das Rad gewechselt. Als wir aus dem nächsten Ort herausfuhren, war das ganze Feld eine Reihe und die ersten Fahrer hatten abreißen lassen. Wir hatten so schwubdiwubs ein Loch und mussten uns 20 Kilometer lang erst wieder heran kämpfen. Das hat natürlich einige Kraft gekostet. Auch im Finale, an der Stelle, als ich aus der Spitzengruppe fliegen gegangen bin, bin ich zu weit hinten in das Pflasterstück gefahren. Imanol Erviti vor mir lässt reißen, und irgendwie waren wir alle schon müde und ich bin an seinem Rad geblieben. Jetzt im Nachhinein denke ich, wenn ich an Toms Rad gewesen wäre, der davor fuhr, hätte ich mich festbeißen können und wäre dabeigeblieben. Aber ich war schon zufrieden mit Rang sieben, auch wenn natürlich die Fragen kamen – kannste besser?

Und, kannst du besser?
Wenn alles glatt läuft und ich einen guten Tag erwische, denke ich schon. Aber mein Frühjahr war alles andere als gut. Zunächst war ich zum Jahreswechsel immer wieder krank, habe nur wenige Rennen gefahren, dann hatte ich Ende März noch Magenprobleme und bei der Ronde bin ich aufs Knie gestürzt. Aber auch im letzten Jahr lief es vor Roubaix nicht ideal.

Klingt nach einem schwierigen Saisoneinstieg?
Ja. Das ist schon nicht so leicht, wenn man die ersten Rennen verpasst. Denn Paris-Nizza oder Tirreno-Adriatico sind auch keine Rennen um locker einzurollen. Ich bin dann zwar bei Mailand-Sanremo an den Start gegangen, ohne zu wissen wo ich stehe, aber es lief dann doch recht gut und besser als in den Jahren zuvor. Dass es dann so weiterging, ist natürlich blöd. Zumal ich nach dem letzten Jahr natürlich bei Roubaix ein ordentliches Rennen abliefern will.

Marcel Sieberg auf dem Pflaster (Foto: Roth&Roth)

Hat sich nach deinem 7. Platz von 2016 etwas an deiner Rolle verändert?
Natürlich fragen alle, auch im Team, ob ich da auf eigene Kappe fahren will. Aber man muss schon sagen, dass da eigentlich fast jeder bei uns im Team vorn reinfahren kann. Es ist auch was für André, oder Jürgen. Und Paris-Roubaix ist ein Rennen, wo so viel passieren kann. Da kannst du einen fantastischen Tag erwischen, aber ein Sturz oder Defekt im falschen Moment, und du bist weg vom Fenster. Deswegen sage ich, wir sollten versuchen, so viele wie möglich bis ins Finale zu bringen und dann gucken wer noch dabei ist. Paris-Roubaix ist eben nicht der Fleche Wallonne, wo man alles auf einen Kapitän setzt und den an der Muur de Huy abliefert.

Spürst du jetzt mehr Druck?
Ich werde am Start sicher mehr Druck spüren, als bei der Flandern-Rundfahrt, weil ich im vergangenen Jahr Siebter war. Aber jetzt mit den Problemen im Frühjahr, muss ich einfach schauen, wie es läuft. Ich denke aber auch, dass André da sehr stark sein wird, mit seinem harten Programm in diesem Frühjahr.

André Greipel macht einen starken Eindruck und meint das Ernst mit Roubaix, oder?
Allerdings. Er hat ein extremes Programm gefahren und das ist ein Rennen für ihn. Bei mir eher das Kontrastprogramm. Ist schon komisch, dass wir kaum ein Rennen zusammen gefahren sind. Er sagt, jetzt lernt er auch mal die anderen Teamkollegen kennen (lacht). Ich hätte natürlich auch gern mehr Rennen gefahren, auch mit ihm, aber man kann es nicht erzwingen.

Musst du dich noch speziell auf Roubaix vorbereiten, oder kennst du das Rennen eh auswendig?
Natürlich schauen wir uns das Finale vor dem Rennen noch einmal an, aber die Steine verändern sich eigentlich nicht so viel. Aber es ist gut, wieder das Gefühl zu bekommen. Ein bisschen haben sie die Strecke zwar verändert, aber eigentlich kann ich es schon im Kopf abfahren. Wichtig ist halt schon, dass man die wichtigen Sachen sieht, ob da eine Kurve besonders schlecht ist, oder sowas. Aber ich kenne die Stellen, wo es darauf ankommt und dann muss man eben die Beine haben.

Zurück zu deiner Rolle und dem siebten Platz – warst du auch selbst etwas von dir überrascht?
Naja, ich bin als Helfer ins Rennen gegangen. Dann war ich schwubsdiwubs in der Gruppe und dann fährt man da mit. Aber ich habe trotzdem immer noch gedacht, die anderen kommen noch von hinten. Mit jedem Pave das man näher ans Ziel kommt, denkst du schon, eine Minute Vorsprung, wir sind 10 Mann – Top10 ist drin. Ich war der einzige von uns, der dabei war und die anderen Teams hatten 3–4 Mann. Da habe ich mich zwischen den Pave-Stücken natürlich zurückgehalten. Ich habe dann zwar schon versucht, in die Pflasterpassagen vorn reinzufahren, aber ich war dann auch gleichzeitig zu lieb. Ich habe gedacht, du kannst denen jetzt auch nicht vors Rad fahren, wenn du eben nicht mitgearbeitet hast. Aber ich glaube, dass hätte ich irgendwann abschalten sollen. Aber das Rennen ist wie in einem Film, du fährst da von Pave-Stück zu Pave-Stück. In dem Moment, als ich abgehängt wurde, hatte ich auch nicht damit gerechnet, dass da vor mir eine Lücke aufgeht und blieb da einfach hinten dran. Da haben mir vielleicht 2% Aggressivität gefehlt. 

Hast du dir die Situation noch einmal angeschaut?
Ja, habs mir noch ein Mal angeschaut.

Und?
(lacht) Naja, man ärgert sich. Ist schon komisch, ich war happy mit dem siebten Platz, aber ich ärgere mich trotzdem. Wenn ich jetzt im Rennen keinen Fehler gemacht hätte, auch da am Anfang, vor dem ersten Pavé, wäre das was anderes. Aber ich habe da mit fünf Mann gekreiselt, während die anderen noch im Feld saßen. Klar, dass man sich dann Gedanken macht, was vielleicht möglich gewesen wäre.

Wie weit gehen dann die Gedankenspiele?
Ich habe da definitiv Körner liegen lassen und war am Ende, auch nachdem ich abgehängt wurde, nicht völlig kaputt. Klar, hat sich die Gruppe dann am Carrefour de l’Arbre auseinander genommen. Aber Hayman kam auch wieder zurück. Und ganz langsam bin ich jetzt auch nicht. (grinst) So ist das eben immer. Viele sagen, du hättest doch auch den Hayman machen können.

Du bist jetzt seit vielen Jahren Helfer, aber der Renninstinkt und der Siegeswille gehen nicht verloren?
Natürlich nicht. Das hab ich aber auch, wenn ich für André den Sprintzug anfahre. Da denke ich auch hinterher, man, da hättest du jetzt noch 200 Meter weiter fahren können. Das ist auch gut so. Wenn man nicht 100% zufrieden ist, dann muss man das analysieren und es versuchen besser zu machen. Wer in einem normalen Job arbeitet, kommt auch nicht nach Hause und hat sofort den Kopf frei. Für mich gehört das einfach dazu, dass ich mir das nach dem Rennen noch mal durch den Kopf gehen lasse, vor allem wenn es nicht so läuft. Man muss eben immer versuchen, aus seinen Fehlern zu lernen.

Als erfahrener Sprint-Anfahrer, hast du da bei den Positionskämpfen vor den Pflasterstücken einen Vorteil?
Bei den ersten Paves, ja. Da ist Hektik, da wird um die Positionen gekämpft. Durch Stürze und Defekte dünnt sich das dann etwas aus und nach dem Wald von Ahrenberg wird es dann ruhiger. Im vergangenen Jahr war es für mich schon anders, weil wir da schon in der Gruppe waren. Da ist es schon ruhiger. Aber dort ist es ein hartes Ausscheidungsfahren. Es werden dann immer weniger und darüber freut man sich dann aber (grinst). In der Gruppe hat man weniger Positionskämpfe und man sieht eben auch, dass es den anderen auch weh tut. Grundsätzlich ist es so, dass es einen Sprint aufs Pflaster gibt und dann erstmal langsamer  gemacht wird. 
Aber nach den Paves ist es auch komisch. Wenn du auf den Asphalt kommst, denkst du erstmal, dass du einen Platten hast. Man fährt da mit 6 bar rum und das rollt natürlich auch nicht so besonders. Die ersten Paves herrscht Krieg, nachher wird es dann etwas ruhiger. Vom Tempo leider nicht. 

Glaubst du, dass Tom Boonen noch einmal gewinnen kann?
Wenn ich sagen würde nein, wäre das gelogen. Ich denke schon, dass es sein Rennen ist, aber er muss Glück haben, keinen Sturz oder Defekt. Er braucht einen guten Tag und die anderen vielleicht nicht den allerbesten. Wer Cancellara bei Olympia gesehen hat, der weiß, dass das letzte Rennen Flügel verleihen kann.  Vielleicht sollte ich nächstes Jahr auch sagen, dass ist mein letztes Roubaix (lacht). Ich warte mal ab, wie Tom sich schlägt, dann überlege ich es mir.