Greg van Avermaet (Foto: Roth&Roth)

 

Profil der 1. Etappe des Critérium du Dauphiné 2022 (©A.S.O.)

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Alejandro Valverde, der Außerirdische
Alejandro Valverde ist ein Phänomen. Er fährt von Januar bis Oktober bei den Besten mit und gewinnt die harten Rennen nach Belieben. Wer mag, kann sich gern durch seine Saisonergebnisse klicken, irre dürfte ein passendes Wort sein. Wie Valverde bei Lüttich-Bastogne-Lüttich 400 Meter vor dem Ziel den Gasgriff an den Anschlag dreht und scheinbar locker die Lücke zu Dan Martin schließt, während der bärenstarke und unkaputtbare Michael Albasini beim Versuch, zu folgen sich bis zum Hals ins Laktat fährt, ist einfach atemberaubend. Wenn alle am Limit sind, nur noch eckig treten, findet Valverde in jedem Bein noch mal 150 Extra-Watt. Wenn es das „Als Kind in den Zaubertrank gefallen“ nicht schon gäbe, Valverde wäre eine wunderbare Vorlage. Zum Glück hat ihn noch keiner auf die Idee gebracht, auf dem Pflaster fahren zu wollen.

 

Quick-Step, die Animatoren des Frühjahrs
Auch wenn sie nicht jedes Rennen gewonnen haben, das Quick-Step-Team hat das Frühjahr geprägt. Stybar, Lampaert, Boonen, Terpstra, Gilbert – auf dem Pflaster ist das Team von Patrick Lefevere traditionell extrem stark und tonangebend. Aber auch bei Mailand-Sanremo, mit Julian Alaphilippe, beim Fleche Wallonne mit Bob Jungels und bei Lüttich-Bastogne-Lüttich mit Daniel Martin hat das belgische Team die Rennen entscheidend geprägt. Durchaus stark, auch in der Breite. Dazu die Erfolge von Scheldeprijs-Seriensieger Marcel Kittel und Sprinttalent Fernando Gaviria. Ein beeindruckendes Frühjahr.

 

Greg van Avermaet, der Mann des Frühjahrs
Allein die Siege sind beeindruckend: Omloop Het Nieuwsblad, E3-Harelbeke, Gent-Wevelgem, Paris-Roubaix. Dazu noch Rang Zwei bei der Ronde van Vlaanderen und der Strade Bianche. Van Avermaet könnte für den Rest der Saison ab Kilometer Drei im Besenwagen mitfahren oder gleich bis Oktober in einer Hängematte auf Youtube die Klassiker gucken, es wäre immer noch eine Hammer-Saison. Der Belgier wird das genießen, und das auch zurecht. Aber in der nächsten Saison wird er die Triumphe diesen Jahres spüren. Die Konkurrenz wird ihm mehr Verantwortung übertragen, der Druck der Medien wird steigen, vor allem nach dem Abgang von Tom Boonen. Wir sind gespannt, wie Van Avermaet damit umgeht.

 

Auf dem Pflaster sind die Deutschen gut
Es erscheint paradox: Deutschland ist für die ausgebauten und fast überall perfekt asphaltierten Straßen bekannt, aber die Radfahrer sind vor allem auf dem Pflaster stark. Beides hat natürlich nix miteinander zu tun. Aber es war schon auffällig, wie gut sich die deutschen Profis auf dem Pflaster geschlagen haben. Vor allem natürlich bei Paris-Roubaix. John Degenkolb sowieso, aber auch André Greipel überzeugte. Marcel Sieberg bestätigte trotz Seuchenfrühjahr erneut seine Pflaster-Fähigkeiten und Nikias Arndt deutete an, wozu er in der Lage ist. Routinier Marcus Burghardt gehört seit 10 Jahren zu den besten Pave-Rittern. Auch Tony Martin war bei Paris-Roubaix stark, hatte aber Pech, so wie bei einigen belgischen Rennen in diesem Frühjahr. 

 

Leichteres Finale, spannenderes Rennen – lasst das Amstel bitte so!
Wir hatten uns bereits ausführlich der Streckenänderung des Amstel Gold Races gewidmet. Das Finale des Rennens wurde entschärft und so waren die Favoriten gezwungen, schon früher die Karten auf den Tisch zu legen und die Konkurrenz abzuschütteln. Der Plan der Neugestaltung der Strecke ging perfekt auf und wir erlebten das spannendste Amstel Gold Race seit Jahren. Ist das Finale brutal hart, warten die großen Favoriten eben länger, ist es leichter, geht früher die Post ab. Die Fahrer machen das Rennen schwer, die Strecke es interessant. Alles richtig gemacht, Leo van Vliet. So kann das Amstel bleiben!

 

Gianni Moscon – der, der alles kann
Der Name Gianni Moscon wird den Radsportfans noch häufiger begegnen. Auch wenn der 23-jährige Italiener sein Talent schon mehrfach aufblitzen ließ, in diesen Frühjahr setzte er ein fettes Ausrufezeichen. Moscon ist eine Ausnahmeerscheinung, ein echter Allrounder. Er kann einfach alles, und das richtig gut. Pflaster, Ardennen, berghoch, Zeitfahren. Bei Lüttich-Bastogne-Lüttich machte er nach 250 Rennkilometern an der Spitze der Favoritengruppe das Tempo. Zwei Wochen zuvor fuhr er mit der ersten Gruppe durchs Velodrome de Roubaix. Ihm zuzuschauen, macht großen Spaß, bitte weiter so.

 

Dylan van Baarle – der (neue) Mann fürs Pflaster
In der Nachwuchsklasse war Dylan van Baarle vor allem für seine Stärke im Kampf gegen die Uhr bekannt. Der heute 24-Jährige ist früh Profi geworden. Mit 21-Jahren stand er beim Giro am Start und beendete mit 23 Jahren seine erste Tour de France. Van Baarle ist ein Typ für die Pflaster-Klassiker. Beim Cannondale-Team ist er gereift und hat bewiesen, dass er ganz vorn landen kann. Auf dem Pflaster fühlt er sich wohl, ist bärenstark und bewahrt im Rennen einen kühlen Kopf. Bekommt er die volle Unterstützung seines Teams, kann er bei den Klassikern bald in die erste Reihe vorrücken.

 

Oliver Naesen – die Entdeckung des Frühjahrs
Ja, Oliver Naesen war schon im vergangenen Jahr stark und hat gezeigt, dass er über großes Talent verfügt. Aber im Frühjahr 2017 gelang ihm der Durchbruch, auch wenn leider das ganz große Resultat fehlte. Was Naesen so beliebt macht, ist seine Art, die Rennen zu gestalten. Er zögert nicht, sondern greift an, wenn sich die Chance bietet. Aber nicht unüberlegt oder kopflos, sondern clever. Oliver Naesen ist erst 26 Jahre alt. Kommt er ohne Probleme durch den Winter, ist im nächsten Frühjahr wieder mit ihm zu rechnen. Vielleicht klappt es dann mit dem ersten ganz großen Erfolg.

 

Gitter, Jacken, Pferdekostüme, Fußwege – was nervt
Die Frühjahrsklassiker sind dramatisch genug, bitte hängt keine Jacken mehr über die Absperrgitter. Ja, es ist verständlich, wenn man ein tolles Kostüm gebastelt hat, will man auch, dass es alle sehen. Aber wenn es richtig gut ist, reicht es auch, wenn man am Straßenrad steht. Nebenherlaufen ist unnötig. Zum Thema Gitter hatten wir es bereits geschrieben: Wenn schon abgegittert wird, warum wird dann eine Lücke zum Pflaster gelassen, sodass die Fahrer auf der Grasnabe fahren können? Steht das Gitter direkt am Pflaster, werden die Fahrer die Mitte wählen, schon wegen der Wölbung der Straße. Dann gibt es auch mit den „Foto-Handy-Armen“ der Zuschauer viel weniger Probleme. Und dann gibt es noch das Thema „Fußweg benutzen“. Man kann wohl keinem Radfahrer einen Vorwurf machen, wenn er versucht, sich das derbe Pflaster zu ersparen und ein bisschen schneller zu sein. Deshalb muss es klare Regeln geben und diese müssen auch angewendet werden. Gibt es die Ansage, dass alle aus dem Ergebnis gestrichen werden, die Fußwege nutzen, muss man das durchziehen. Oder man toleriert es, darf sich dann aber nicht beschweren und es muss für alle gelten und vor dem Rennen kommuniziert werden.

 

Frühe Attacken, spannende Rennen
Es wäre durchaus ein interessantes Thema für eine Doktorarbeit, warum bei den Rennen in diesem Jahr früher als in den vergangenen Jahren die Initiative ergriffen wurde und so häufig weit vor dem Ziel die Vorentscheidung fiel. Zumindest klingt es verlockend, sich ausufernd und in aller Tiefe mit den Rennen beschäftigen zu können. Es war zumindest sehr auffällig, dass in diesem Jahr meist früh eine Vorentscheidung erzwungen wurde. Das mag an der Favoriten-Konstellation und der Teamstärke der Quick-Step-Equipe gelegen haben und an der Tatsache, dass man gegen endschnelle Top-Favoriten wie Peter Sagan besser nicht zu lange wartet. Aber auch an den Fahrertypen, die eben nicht einfach nur abwarten wollen, wie Oliver Naesen oder Philippe Gilbert. Auch die Streckenänderungen, wie die Rückkehr der Muur bei der Ronde und dem neuen Amstel-Finales spielten eine Rolle. Es war auf jeden Fall spektakulär und toll anzuschauen und nach dem Geschmack der Fans. Da darf man sich schon auf Klassiker 2018 freuen.