Miguel Angel Lopez

Contador – ein großer Abgang ohne Sieg

Der letzte Sieg liegt ein Jahr zurück. Nach seinem Erfolg bei der Burgos-Rundfahrt im August 2016 jubelte Alberto Contador das letzte Mal als Sieger. Bei der Vuelta ist er nun auf Abschiedstour und versucht alles, um den letzten großen Erfolg einzufahren. Doch es scheint so, als würde es sich nicht erfüllen. Dennoch liefert Contador eine große Show und sorgt für spektakuläre Rennen. Und das nicht erst seit Sommer.

Schon beim Saisoneinstand bei der Ruta del Sol war er angriffslustig und verpasste am Ende den Gesamtsieg nur um eine Sekunde. Bei Paris-Nizza sorgte er erneut für ein Spektakel und verpasste den Gesamtsieg nur ganz knapp. Und auch bei der Tour de France war er es, der das Rennen animierte. 

Klar, misst man den (Unterhaltungs-) Wert eines Fahrers nur in Siegen, steht Contador nicht ganz oben auf dem Treppchen. Doch so wie Contador in dieser Saison, und auch schon früher, die Rennen animierte, ist seine Beliebtheit bei den Fans leicht zu erklären. Contador taugt nicht zum Vorzeige-Athleten, aber gut möglich, dass man ihn wegen seiner Fahrweise im nächsten Jahr vermissen wird. 

 

Froome stark, Sky unschlagbar

Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, wie stark Chris Froome bei dieser Vuelta fährt, hat er doch die Tour in den Beinen. Alle anderen Favoriten, die auch bei der Großen Schleife am Start standen, haben ihre Form nicht halten können: Aru, Bardet und auch Simon Yates.

Doch Chris Froome hat in diesem Jahr vor der Tour nur wenige Rennen bestritten. Mit lediglich 27 Renntagen in der Saison 2017 ist der Brite in Düsseldorf von der Rampe gerollt. Nur Fabio Aru hat von den Klassementfahrer ähnlich wenig Renntage. Beim Italiener ist das aber weniger freiwillig, denn er musste gesundheitsbedingt den 100. Giro sausen lassen und hat dann den Rennplan umgestellt.

Froome scheint noch einiges an Sprit im Tank zu haben. Was ihn aber zum absoluten Top-Favoriten auf den Gesamtsieg macht, ist die Dominanz seines Teams. Für das flache Terrain sind Ian Stannard und Christian Knees eingeteilt. Sie halten zur Not eine 15-Mann-Gruppe zu zweit in Schach. In den Bergen übernehmen erst „Traktor“ Gianni Moscon, dann Mikel Nieve und am Ende Wouter Poels.

Allein Poels ist stark genug, die anderen Kapitäne ans Limit zu führen. Auf der schweren 15. Etappe zur Sierra Nevada machte Poels lange das Tempo und achtete am Ende auf den letzten Metern sogar noch darauf zeitgleich mit Nibali ins Ziel zu rollen. Wer dort noch einmal beschleunigen kann, um eine Mini-Lücke zu zu machen, der ist bärenstark.

Die Kombination aus Froomes individueller Klasse und der Dominanz den Sky-Teams macht Froome unschlagbar. Nur ein Defekt, Sturz, Krankheit oder ein „Rabenschwarzer Tag“ können den Gesamtsieg noch in Gefahr bringen.

 

 

„Superman“ López – da kommt noch mehr

Spätestens seit 2014 wird Miguel Ángel López als künftiger Superstar des Radsports gehandelt. Denn bei seinem Gesamtsieg bei der Tour de l’Avenir hängte er mit gerade mal 20 Jahren die größten Talente der Welt ab. Im ersten Profi-Jahr beendete er die Tour de Suisse in den Top-10 und deutete an, was in ihm steckt. Der Gesamtsieg bei der Tour de Suisse im Jahr darauf wurde dann bereits als Durchbruch angesehen und man war gespannt, was er bei der Vuelta zeigen würde. Doch zur Karriere des Kolumbianers gehören auch immer wieder Rückschläge. Bei der Vuelta 2016 stürzte er, schlug sich mehrere Zähne aus und musste das Rennen beenden. Im November brach er sich das Schienbein und musste pausieren. Im Juni stürzte er bei der Tour de Suisse in der Abfahrt vom Simplon Pass bei 70 km/h und brach sich den Daumen.

Bei der Vuelta ist er als Helfer von Fabio Aru ins Rennen gegangen, hat sich nach zwei Etappen nun an Aru in der Gesamtwertung vorbeigeschoben und dürfte nun der Kapitän des Astana-Teams sein. So stark wie López sich derzeit präsentiert, ist bei noch drei ausstehenden Bergankünften in der Schlusswoche noch einges zu erwarten. In der kommenden Saison dürfte er wohl zum ersten Mal bei einer GradTour von Beginn an als Leader ins Rennen gehen. 
Er ist erst 23 Jahre alt, hat Rückschläge weggesteckt, einiges an Erfahrung gesammelt und verfügt über eine enormes Talent – gut möglich, dass er bald Chris Froome in Frankreich herausfordert.

 

 

Wilco Kelderman – Riesentalent endlich auf die Straße gerbacht

Er galt schon in der U23 als großes Talent. Typisch niederländisch fuhr er beim damals extrem professionellen Nachwuchsteam der Rabobank-Equipe. Wilco Kelderman gewann die Thüringen-Rundfahrt, beendete die Tour de l’Avenir in den Top-10 und wusste zu beeindrucken. Im Jahr 2012 wurde er Profi und zeigte gleich im ersten Jahr beim Critérium du Dauphiné was für ein Talent er ist – Nachwuchswertung & Gesamtrang acht! 

Beim ersten Giro (2013) wurde er 16, gewann die Dänemark-Rundfahrt und glänzte bei der Eneco-Tour. Alle Experten waren sich sicher, dass Kelderman eine große Zukunft hat und man wartete auf den ganz großen Durchbruch. Im Jahr 2014 lief es weiter gut und er wurde Siebter beim Giro, später Vierter beim Critérium du Dauphiné und dann auch noch 14. bei der Vuelta. Eine sehr beeindruckende Saison für einen 23-Jährigen.

Kelderman blieb seinem Team treu, dass nach dem Ausstieg von Rabobank erst Belkin, dann Blanco hieß und nun als Mannschaft LottoNL-Jumbo zur WolrdTour gehört. Er zeigte weiter gute Leistungen, bereitete sich 2015 und 2016 auf die Tour vor, konnte aber in Frankeich nie das zeigen, was er zuvor angedeutet hatte. Dazu kam immer wieder Sturzpech. Zur neuen Saison dann der Neuanfang beim Sunweb-Team. Vielleicht auch ein bisschen wegen der Chance, die Rolle des „ewigen Talents“ loszuwerden.

Ohne Druck zu alter Stärke. Denn Kelderman war für den Giro nicht als Kapitän, sondern Edelhelfer für Tom Dumoulin eingeplant. Gute Form hatte er im Mai, aber dann erneut vom Sturzpech gestoppt. 

Auch zu Beginn dieser Vuelta lief es nicht optimal. Erst stürzte er und dann hatte er auch noch Defektpech im ungüstigsten Moment auf der siebten Etappe. ES schien so, als bliebe das Pech ihm treu. Doch Kelderman kämpfte, auch dank seines Team, weiter um jede Sekunde. Man schickte Barguil heim, weil dieser auf eigene Kappe fuhr und stärkte den Kapitän. Dabei hatte das Team weitere Ausfälle zu verkraften, aber Kelderman schlug sich immer besser, auch ohne große Unterstützung.

Vor der Schlusswoche liegt Kelderman auf Gesamtrang vier. Es ist viel möglich, sogar ein Platz auf dem Podium in Madrid. Wilco Kelderman ist 26 Jahre alt und hat schon reichlich Erfahrung. Kann er bei dieser Vuelta am Ende aufs Treppchen klettern, ist er dort angekommen, wo ihn schon vor Jahren vielen erwartet hatten – im Kreis der großen Rundfahrer.

 

Thomas de Gendt – ein Phänomen

Insgesamt 78 Renntage hat Thomas de Gendt in diesem Jahr bereits im Sattel gesessen. Wie viele Tage er davon in einer Fluchtgruppe unterwegs war, weist die Statistik bei PCS nicht aus. Gefühlt sind 70, mindestens. De Gendt ist ein Rennfahrertyp, der immer etwas probieren muss. Abwarten ist nicht sein Ding. Drei Wochen lang jeden Tag versuchen so nah wie möglich am Hinterrad von Chris Froome zu bleiben, um am Ende einen x-ten Platz im Gesamtklassement zu belegen, das wäre nichts für ihn. 

So war er schon immer. Bereits in der U23-Klasse brauchte De Gendt den Wind im Gesicht. Er griff an, versuchte es und wurde manchmal auch belohnt. Ein Baroudeur, wie ihn die Fans lieben. Bei Giro und Tour hat er bereits eine Etappe gewonnen, bei der Vuelta hat es noch nicht geklappt. Doch De Gendt versucht es, nahezu jeden Tag.

Irgendwie ist es fast ein bisschen schade, dass sich die große Geschichte des Baroudeurs, der sich mit einer mutigen Attacke nicht nur den prestigeträchtigen Etappensieg, sondern auch den Platz auf dem Podium holt, bereits zu Beginn seiner Profi-Karriere ereignete. Denn nach all den Attacken, den Tagen im Wind, wäre es in einem Filmskript die große Belohnung nach vielen Jahren und 1000 fehlgeschlagenen Angriffen. Doch man kann die Geschichte aus dem Jahr 2012, als De Gent auf dem Weg über Mortirolo zum Stelvio los stiefelte, sich den Etappensieg holte und am Ende als Gesamtdritter vom Giro-Podium winkte, als eine Art Vorschuss sehen. Er ist sich treu geblieben, stets offensiv gefahren und im Rennen immer fair geblieben. 

Und mit jedem Tag, den De Gendt angreift und sein Glück versucht zu erzwingen, wird der Fehler der Tour-Jury deutlicher. Denn sie gaben lieber Warren Barguil zum Etappensieg und dem Bergtrikot die Auszeichnung als „kampfreichster Fahrer“ der Tour der France 2017. Eine Fehlentscheidung, die De Gendt nur noch mehr Sympathien brachte. Wir schlagen hiermit erneut vor, dass er bei der Tour 2018 einfach eine goldene Startnummer bekommt, als „kampfreichster Fahrer der letzten Jahre“.