Rad WM in Bergen

Endlich wieder eine richtige WM

Lange hat es gedauert: Seit der WM in Florenz, bei der eine Hammer-Atmosphäre herrschte, sind bereits vier Jahre vergangen. Die darauffolgenden Weltmeisterschaften waren jedoch eher enttäuschend – und das ist noch diplomatisch ausgedrückt. Das spanische Ponferrada konnte nur wenige Zuschauer an den Streckenrand locken, das US-amerikanische Richmond war diesbezüglich besser, aber eben nicht hervorragend. Mit Katar kam schließlich die große Katastrophe, das unerträgliche Wetter und die fehlenden Zuschauer markierten einen Tiefpunkt in der Geschichte der Radsport-WM.

Zum Glück lief in Bergen alles anders. Alle Rennen waren gut besucht: Nicht nur das Eliterennen am Sonntag, sondern sogar die Juniorinnen und Junioren sorgten für viele Zuschauer. Überraschend war das nicht, denn Norwegen gilt als eine Sportnation, und die beiden norwegischen Kapitäne, Alexander Kristoff und Edvald Boasson Hagen, werden von der Bevölkerung wie echte Pop-Stars behandelt. Unumstritten war die WM in Bergen aber nicht. Hotelbesitzer wurden verpflichtet, die ohnehin gigantische Preise für die WM-Zeit noch zu erhöhen, ein Teil des Einkommens ging schließlich an den norwegischen Verband. Das sorgte bereits für kritische Diskussionen im Vorfeld der WM.

 

Saganomania wächst immer weiter

Norwegische Fans waren in ihrem Heimatland natürlich in klarer Überzahl und haben einen positiven Eindruck hinterlassen. Jedoch war auch in Bergen von Anfang an klar, wer der mit Abstand beliebteste Radsportler unserer Zeit ist. Der Name von Peter Sagan fiel an jeder Ecke. Auf der 19,1 Kilometer langen Strecke im Westen Norwegens gab es wohl keine 200 Meter, auf denen sich keine organisierte Gruppe der Sagan-Fans befand. Es ging sogar so weit, dass gleich nach dem dritten WM-Triumph des Slowaken der Jubel seiner Unterstützer die Enttäuschung vieler Norweger überschattete. Für den Radsport ist die erstaunliche Beliebtheit Sagans ein Geschenk, aber auch ein Problem: Denn das Image der gesamten Sportart sollte vielleicht besser nicht zu stark von einer einzelnen Person abhängen.

 

Wie mächtig ist Igor Makarow wirklich?

Der russische Oligarch Igor Makarow, Präsident des russischen Gasholdings ATERI, gilt als die Person, die bei der UCI-Präsidentschaftswahl in Florenz vor vier Jahren den Unterschied für Brian Cookson im Kampf gegen Pat McQuaid machte. Zwar hatte Cookson starke Unterstützung aus Afrika und aus Katar, der mit McQuaid unzufriedene Makarow soll aber für den Ex-Chef von British Cycling entscheidende Stimmen für den 24:17-Sieg geholt haben. In den UCI-Kreisen wird offen darüber spekuliert, dass der 55-jährige Russe schon damals kein Cookson-Fan war, aber McQuaid unbedingt loswerden wollte, weil dieser Schmiergelder von Makarow verlangt haben soll. Eine Bestätigung dafür gibt es natürlich nicht.

Ebenfalls 2013 ist ein gewisser David Lappartient, der junge Präsident des französischen Verbandes, zum Präsident der Europäischen Radsport-Union UEC gewählt worden. In der UEC gilt der Russe Makarow als der mit Abstand mächtigste Mann, denn die Arbeit des europäischen Verbandes wird stark vom 55-Jährigen finanziert und befördert. Bei der UEC kann also nur derjenige Präsident werden, der sich mit Makarow gut verständigt. Dass die UEC mit der Internationalisierungsstrategie von Cookson unzufrieden war, dass Makarow nach der Verkündung des Ergebnisses sichtlich glücklich aussah – das alles kann wohl kein Zufall sein. Und während die Öffentlichkeit nach dem Sieg von Lappartient vor allem über seine Nähe zur ASO diskutierte, wurde am Rande des UCI-Kongresses in Bergen in erster Linie eine andere Frage diskutiert: Wie mächtig ist Igor Makarow wirklich? Sein Interesse am russischen Radsport scheint Makarow verloren zu haben, sein Einfluss im Weltverband wird aber anscheinend nur größer.

 

Abschiedslied des Mannschaftszeitfahrens

Weil die Teamvereinigung AIGCP sich mit der UCI nicht einigen könnte, nahmen nur elf World-Tour-Teams am Mannschaftszeitfahren (erst seit 2012 im WM-Programm) teil. Insgesamt standen nur 18 Teams am Start, fast alle anderen Mannschaften waren aus Norwegen. Diese Besetzung war einer WM unwürdig, obwohl die größten Favoriten natürlich immer noch an den Start gegangen sind. Nach dem Wahlsieg von Lappartient versprach der Franzose, das Mannschaftszeitfahren würde ab 2020 aus dem WM-Programm fliegen. Damit erweist sich dessen Einführung als ein unglückliches Experiment, das vor allem an der Kostenfrage gescheitert ist. Für die Teams, die im Medaillenkampf keine Chance haben, war es zu teuer, die Mannschaft lediglich für ein Rennen zur WM zu schicken, wo anders als bei den World-Tour-Rennen unter anderem keine Übernachtungskosten durch die Veranstalter gedeckt werden. Das gilt zwar auch für die anderen Rennen, bei denen müssen aber nationale Verbände und nicht Profi-Teams in die Tasche greifen.

 

Wie geht es mit der WM weiter?

Die gute Nachricht: Die nächsten beiden Weltmeisterschaften werden in Innsbruck und im britischen Harrogate, North Yorkshire, stattfinden. Für eine ähnlich gute Atmosphäre wie in Bergen ist also zunächst gesorgt. Die UCI ist aber mit der Entwicklung der Straßen-WM nicht besonders zufrieden. Denn das Vermarktungspotenzial einer Weltmeisterschaft liegt deutlich höher als das, was der Weltradsportverband mittlerweile erzielt. Mit nur zwei Renntagen für die Männerelite ist die WM medial dünn besetzt. Deswegen war die ursprüngliche Idee hinter der Einführung des Mannschaftszeitfahrens vor allem, zumindest einen weiteren Elitentag ins Programm zu nehmen. Nun, wenn das Mannschaftszeitfahren gescheitert ist, muss die UCI mittelfristig an neuen Lösungen und Ideen arbeiten. Wie diese unter der Präsidentschaft von David Lappartient aussehen werden, bleibt abzuwarten.