Herr Spekenbrink, die Saison 2017 war die erfolgreichste seit der Teamgründung – ganz ehrlich, wie sehr wurden auch Ihre eigenen Erwartungen übertroffen?
Ja, auch meine Erwartungen wurden übertroffen. Wir wussten, dass wir die Mannschaft weiter verbessert hatten, aber wir verfolgen immer einen langfristigen Plan und es ist allen klar, dass wir uns auch weiter verbessern müssen. Wenn man nur auf die Ergebnisse aus diesem Jahr schaut, muss man der Mannschaft ein Kompliment machen. Denn die Ergebnisse die wir eingefahren haben, sind besser, als wir als Team sind. Das ist eigentlich das größte Kompliment was man machen kann. Klar, wir sind eine gute Mannschaft, aber die Erfolge sind noch besser.
Das bedeutet auch, dass wir das nötige Glück hatten. Im vergangenen Jahr hatten wir ein Riesenpech (Anmerk. Redaktion: einige Fahrer des Teams waren in einen schweren Unfall verwickelt und fielen lange Zeit aus) und nun hatten wir mal Glück. Aber wir haben auch gut gearbeitet, alle im Team, auch die Trainer und der ganze Staff. Alle waren voll engagiert, genau wie die Fahrer und nur so ist es möglich, die bestmögliche Mannschaft zu sein, die wir sein können.
Wir wissen, dass das Größte vom Größten erreicht werden muss, um die Deutschen richtig zu begeistern.
Die Erwartungen steigen mit dem Erfolg, haben Sie nun auch etwas Angst vor der nächsten Saison?
Nein. Wir haben natürlich gegenüber unseren Partnern gescherzt, dass wir jetzt drei Jahre sehr erfolgreich waren und nun zwei Jahre ruhig machen, ehe wir wieder angreifen. Aber nein, wir sind prozessgetrieben, wir schauen nicht auf ein konkretes Rennen, bei dem wir ein spezielles Ergebnis einfahren wollen. Wir haben einen Performance-Plan, ganz wissenschaftlich, und so wollen wir jeden Schritt so gut wie möglich machen, denn so werden wir besser. Das sichert uns den langfristigen Erfolg, auch wenn es vielleicht mal ein Jahr gibt, wo wir weniger erfolgreich sind.
Ihr Team hat sich über die Jahre stark verändert. Erst von einer Sprintermannschaft zum Klassiker-Team und nun ist es ein Team, dass GrandTours gewinnen kann – war dieser Weg so geplant und was waren dabei die größten Probleme?
Es sind eigentlich zwei Punkte, die man dabei betrachten muss. Erstens treibt uns das Ziel, dass wir immer besser werden. Das hat auch mit Deutschland zu tun. Denn wir wissen um das Potenzial, dass in diesem Land steckt. Wir hatten mit Marcel Kittel einen der weltbesten Sprinter im Team und John Degenkolb hat die größten Klassiker gewonnen, aber dennoch hatte es in Deutschland nicht die Auswirkung, die es verdient hätte.
Wir wissen, dass das Größte vom Größten erreicht werden muss, um die Deutschen richtig zu begeistern – und das ist, das Podium bei einer GrandTour. Und wenn man langfristig in Deutschland mit deutschen Fahrern etwas bewegen will, muss dies das Ziel sein.
„Wenn ein Fahrer nicht voll mitzieht, ist es manchmal besser, ihn gehen zu lassen.“
Der zweite Punkt ist, dass wirklich alles stimmen muss, wenn man um GrandTour-Siege mitfahren will. Talent ist wichtig, aber alles andere muss auch fast perfekt sein. Das ist eine sehr anspruchsvolle Sportart in der sehr viele Dinge gefragt sind und man nur mit einem klaren Plan erfolgreich sein kann. Alle müssen sich den Zielen unterordnen und versuchen jeden Schritt bestmöglich zu machen. Dabei müssen wir noch ein wenig zielstrebiger sein, als andere Teams. Denn wir haben Talente, aber andere Teams auch. Unser Ziel ist es, erfolgreicher zu sein, als Teams mit ähnlich großen Talenten. Dafür brauchen wir ein Team, dass sich dem Plan verpflichtet und sich unterordnet.
So konnte man sehen, dass wir schon mit Fahrern einen Vertrag nicht verlängert haben, obwohl sie gute Fahrer sind. Denn wenn ein Fahrer nicht voll mitzieht, ist es manchmal besser, ihn gehen zu lassen um langfristig erfolgreich zu sein. Wir gehen unseren sauberen und konsequenten Weg und wollen irgendwann auch mit einem deutschen Fahrer bei GrandTours erfolgreich sein.
Jetzt musste ich etwas ausholen um die Frage zu beantworten, aber abgekürzt: Ja, wir wollen eine GrandTour-Mannschaft werden und wir wollen unsere Team-Kultur schützen und stärker machen, denn nur so können wir langfristig erfolgreich sein. Aber das ist ein langer und schwieriger Weg.
Das Team steht bei Ihnen über allem. Warren Barguil, der die Mannschaft verlassen wird, wurde bei der Vuelta aus dem Rennen genommen, weil er sich nicht an die Mannschaftstaktik gehalten hat – hätten Sie das mit Tom Dumoulin genauso gemacht?
Ja. Wir mussten es machen. Wenn Sie zurückschauen, Tom Dumoulin ist bei Mailand-Sanremo und Lüttich-Bastogne-Lüttich voll für Warren Barguil gefahren und in Kanada für Michael Matthews. Er weiß: Wenn er eines Tages bei der Tour vorn mitfahren will, braucht er jeden.
Als Tom beim Giro seinen schwachen Tag hatte, war er auf die Hilfe von Simon Geschke angewiesen. An diesem Tag kann es eben nicht sein, dass Simon denkt: „Hey, Tom hat einen schlechten Tag, das ist jetzt meine Chance“. Man muss daran arbeiten, eine Mannschaft darin besser zu machen, einem Leader zu helfen. Das ist Teil der Kultur. Bei der Vuelta war Wilco Kelderman ein bisschen krank und am Ende waren wir knapp Vierter, obwohl wir Dritter hätten sein können.
Ich möchte aber hinzufügen, dass Warren kein schlechter Mensch ist, er hat viele gute Seiten. Sein Handeln bei der Vuelta war nicht ok, aber das ist jetzt geklärt.
Ich will gerne mal auf dem Treppchen der Tour de France stehen. Am liebsten mit einem deutschen Fahrer.
Sie haben in der Vergangenheit nicht nur junge Talente verpflichtet, die dann zu Stars wurden, sie haben auch etwas gestrauchelte Talente wie Wilco Kelderman wieder in die Erfolgsspur gebracht – woran erkennen Sie, ob ein Fahrer das Potenzial hat?
Ich muss die Frage etwas größer fassen. Wir schauen natürlich beim Scouten von Fahrern auf das Talent. Aber wir schauen auch darauf, dass die Fahrer den Willen und die Bereitschaft haben, sich voll unseren Teamplan unterzuordnen.
Denn wenn man mit guten Fahrern zur Weltspitze will, muss man einen intelligenten Plan haben, der sehr viele Ebenen hat. Training, Ausrüstung, Ernährung, Biomechanik – es gehört unglaublich viel dazu. Wenn sich Fahrer voll mit unserer Philosophie, die wir Keep-Challenging-Philosophie nennen, identifizieren können und sie genügend Talent haben, dann können wir erfolgreich sein.
Ich denke man kann es sehen, dass junge Talente sich bei uns gut entwicklen, dass unsere Fahrer besser werden, aber man kann auch sehen, dass Fahrer die uns verlassen meist nicht besser werden. Oft verlieren sie sogar ein wenig. Talent und der Wille im Kopf, es 100% zu machen sind enorm wichtig.
Sie haben mit Marcel Kittel Tour-Etappen gewonnen, mit John Degenkolb Paris-Roubaix und nun mit Tom Dumoulin den Giro d’Italia – ist das nächste logische Ziel der Toursieg mit Tom Dumoulin?
Ich habe gedacht der Weltmeistertitel im Teamzeitfahren (lacht).
Das haben Sie ja auch schon erreicht. Ist es nicht so, dass der Toursieg das große Ziel für 2018 ist?
Nein. Wir müssen zunächst entscheiden, ob er den Giro fährt oder nicht. Dass hängt auch vom Parcours ab. Langfristig möchten wir natürlich auch mal bei der Tour auf das Podest. Aber auch da schauen wir langfristig. Tom ist eines der sechs größten Talente im Radsport. Mit unserer Art zu arbeiten können wir versuchen in die Top-3 zu fahren.
Aber wir können jetzt nicht sagen, dass er als Sechstbester der Welt die Tour gewinnen muss. Tom ist mit seinen Fähigkeiten limitiert und er muss seine Stärken optimal ausnutzen und einbringen. Es ist an uns als Team, das Maximum herauszuholen, denn nur das können wir beeinflussen. Auf die Stärke seiner Gegner haben wir keinen Einfluss.
Aber wenn sie mich persönlich fragen – ja, ich will gerne mal auf dem Treppchen der Tour de France stehen. Am liebsten mit einem deutschen Fahrer, denn dass hätte für den Radsport in Deutschland eine große Bedeutung.
Das ökonomische Modell des Radsports ist nicht gut. Die Fahrer und die Mannschaften stehen eigentlich an der Seitenlinie, das Geld wird woanders verdient.
Vielleicht wird das aber auch ein Traum bleiben.
Wir hatten viele Träume, die sich erfüllt haben. Wir arbeiten daran und hoffen, dass die Fans unseren Weg mitgehen.
Ihr Team hat eine deutsche Lizenz, aber die Mannschaft ist stark niederländisch geprägt. Der Sponsor hat internationale Interessen – spielen Nationalitäten im Radsport überhaupt eine Rolle?
Ja, und nein. Wir sind eine internationale Mannschaft und schauen darauf, dass unser Team gut und erfolgreich ist. Das ist das Wichtigste. Aber für die Fans sind die Nationalitäten natürlich wichtig. Wir sind ein internationales Team, aber das einzige Land, in dem wir richtig investieren ist Deutschland.
Wir wollen nicht oberflächlich unterstützen, indem wir 2–3 deutsche Fahrer verpflichten, sondern langfristig etwas aufbauen. Wir suchen nach deutschen Fahrern, die großes Talent haben und in unsere Kultur passen. Dann können wir sie entwickeln.
Der dritte Schritt ist dann, dass man die Menschen in Deutschland begeistert. Das geht leider nur, wenn man bei der Tour um das Podium mitfährt. Aber diesen Traum haben wir.
Und diesen Traum haben Sie als Niederländer, weil in Deutschland ein großes ökonomisches Potenzial steckt?
Auch, ja. Ich will als Team Sunweb erfolgreich sein, auch mit Michael Matthews und Tom Dumoulin. Aber wir als Team und der Sponsor stecken so viel Energie in den Radsport in Deutschland, dass wir daran glauben, dass wir die Ziele erreichen.
Wir gehen nicht den einfachen Weg, sondern arbeiten langfristig. Wir haben nun auch viele Daten von jungen Fahrern und können vergleichen. Es ist ein schönes Projekt, dass wir mit einem Sponsor gemeinsam gehen und hoffen, dass wir in einigen Jahren mit deutschen Fahrern große Erfolge einfahren.
Sie haben das Development-Team angesprochen. Eigentlich war mit der WorldTour-Reform beschlossen, dass alle Mannschaften ein solches Nachwuchsteam unterhalten müssen. Aber es werden immer weniger Mannschaften mit Nachwuchsteams – woran liegt das?
Die Antwort darauf ist komplex, aber es hat natürlich auch mit Geld zu tun. Das ökonomische Modell des Radsports ist nicht gut. Die Fahrer und die Mannschaften stehen eigentlich an der Seitenlinie, das Geld wird woanders verdient. Wenn man als Team keine Stabilität hat, kann man auch nicht langfristig arbeiten. Wenn ich nicht weiß, ob ich das Team in zwei Jahren noch habe, kann ich nicht in etwas investieren, was sich in 4–5 Jahren auszahlt.
Trotzdem haben wir gemeinsam mit Sunweb entschieden, dass wir in Deutschland langfristig investieren müssen. Dieser Plan verdient es am Ende vielleicht auch, Erfolg zu haben.
Man muss die Fahrer und Rennen besser vermarkten. Mehr Daten, ein besseres Fernsehprodukt, mehr Aktionen der Stars in den Rennen.
Das Beispiel Cannondale-Drapac hat kürzlich gezeigt, was das Problem im Radsport ist – die Teams hängen an den Sponsoren und haben so permanent eine Unsicherheit. Glauben Sie, dass sich das in den nächsten 5 Jahren ändern wird?
Nein, das geht nicht so schnell. Aber ich glaube, dass es besser wird. Denn es ist nicht nur das Interesse der Mannschaften, sondern von jedem, dass es besser wird. Da ist aber nicht nur Cannondale ein gutes Beispiel. Nehmen wir HTC, die waren die beste Mannschaft der Welt, konnten aber nicht weitermachen, Saxo ebenso.
Sie haben Recht, die Teams sind von den Sponsoren abhängig. 95 % der Einnahmen kommen vom Sponsoring. Und Sponsoring ist schön, aber eigentlich die schlechteste Einnahmequelle die man haben kann. Denn es ist kurzfristig und opportunistisch. Es geht eigentlich darum, dass man sichtbar ist, nicht darum erfolgreichen Sport zu machen.
In vielen anderen Sportarten ist der Anteil des Sponsorings maximal 25%. Da kommen TV-Einnahmen hinzu, Second-Screen und vieles mehr. Dort liegt der Gewinn. Doch das alles haben wir im Radsport viel zu wenig und deshalb verdienen auch die meisten Radprofis zu wenig. Das hat damit zu tun, dass die meisten Rechte im Radsport heutzutage bei der ASO liegen. Damit geht auch der Großteil des Gewinns an die ASO. Sie hat sich über die Jahre fast ein kleines Monopol aufgebaut, dass sie nun verwaltet.
Das Problem ist, dass der Radsport weiter wächst, aber die TV-Zuschauer immer älter werden. Um zukunftsfähig zu sein, müssen wir auch die jungen Zuschauer erreichen. Das darf man nicht falsch verstehen. Der Giro und Tour müssen Giro und Tour bleiben. Wir brauchen die Monumente, wir brauchen Paris-Roubaix und auch die Tour de France, aber wir brauchen auch neue Rennen und Formate, wenn wir an die Zukunft denken.
Wenn der Radsport weiter wachsen will, braucht man neben den GrandTours und den Monumenten auch etwas Neues.
Dafür brauchen wir ein neues Format, das schneller ist, dynamischer und unterhaltsamer. Man muss die Fahrer und Rennen besser vermarkten. Mehr Daten, ein besseres Fernsehprodukt, mehr Aktionen der Stars in den Rennen. Dafür braucht man aber die Teams. Wenn der Radsport weiter wachsen will, braucht man neben den GrandTours und den Monumenten auch etwas Neues.
Aber dafür muss man zusammenarbeiten. Es kann nicht sein, dass die einen nur Teilnehmer sind und die anderen das Geld bekommen. Das muss man zu einem Produkt zusammenbringen und dann auch fair aufteilen. Nicht bei den Monumenten, aber bei den neuen Formaten.
Da ist auch die UCI gefordert. Ich glaube und hoffe, dass es Schritt für Schritt besser wird. Auch bei der ASO kommen sehr gute junge Leute und ich bin mir sicher, dass wir da in Zukunft wirklich zusammenarbeiten können.
Nun gibt es einen neuen UCI-Präsidenten und mit der Hammer-Series gibt es bereits Versuche, neue Rennen zu etablieren, dennoch wird es ein langer Prozess sein. Wenn Sie einen Wunsch hätten, der sich sofort erfüllen würde – welcher wäre es?
Ich bin der Meinung, dass die Leute, die den professionellen Radsport machen auch das Sagen haben sollten. Die Mannschaften haben aktuell kein Mitspracherecht. Das ist nicht gut. Die UCI sollt die Regeln machen, sich aber aus dem Ökonomischen raushalten.
Die Teams holen 20 Mio € aus dem Markt, das ist stark. Auch die Veranstalter können das. Die UCI hingegen hat keinen finanziellen Wert. Es ist nur ein Logo an unserem Trikot, für das wir viel zahlen müssen. Aber es kommt kein Geld zurück. Wenn man Veranstalter und Teams gut zusammenarbeiten lässt, kann der Sport wachsen. Lass uns zusammen Rennen ausarbeiten, die gut sind. Lass uns zusammen mit einer Stimme sagen, wie die Zukunft aussieht, dann kann es was werden.
In anderen Sportarten liegen die Rechte bei den Mannschaften. NBA, Formel 1 oder Champions League – in jeder erfolgreichen Sportart liegen die ökonomischen Rechte bei denen, die den Sport machen. Im Radsport haben wir als Teams keine Stimme. Es wurde ohne uns entschieden, dass man auf 16 Teams (Anmerkung Redaktion: Zahl der WorldTour-Teams soll reduziert werden) runtergeht, sie haben einfach entschieden, dass es eine Europameisterschaft gibt und der Sieger ein Jahr ein anderes Trikot trägt.
Die UCI soll erlauben, dass wir zusammen arbeiten, das wäre mein Traum für den Radsport.