Die Tour de France wird im kommenden Jahr definitiv keine leichte Rundfahrt, auch wenn es insgesamt „nur“ rund 3330 Kilometer bis Paris sind. Damit ist es die kürzeste Austragung seit 2002. Doch die reine Kilometerzahl sagt nichts über den Kampf um Gelb aus, denn zum einen bestimmt das Terrain die Härte, und zum anderen machen die Fahrer das Rennen schwer.
Schaut man sich den Parcours etwas genauer an, bietet sich den Fahrern fast jeden Tag die Chance, das Rennen richtig schwer zu machen.
Eine brutale erste Woche – keine Sprinter-Tour
Während man auf den ersten beiden Etappen wohl die klassischen Sprints erwarten darf, sind am dritten Tag die Teams beim Mannschaftszeitfahren gefragt – maximale Anspannung, vor allem mental. Anschließend geht es nach Norden, entlang der Küste. Achtung Wind! Sollte es hier heftig wehen, kann es schnell Windstaffeln und ein reines Gemetzel geben. Wollen 160 Fahrer in den ersten 20 Positionen fahren, muss es eng werden. Mindestens.
Der fünfte Tag ist knüppelhart. Auf und ab, den ganzen Tag – vergleichbar mit einem Ardennen-Klassiker. Hier kann es ein richtig hartes Radrennen werden. Tagsdrauf geht es zwei Mal über die Mûr de Bretagne und so werden die reinen Sprinter beim Durchblättern der Etappen spätestens hier die Stirn in Falten legen und sich fragen, wann denn endlich wieder ihre Chancen kommen. Die Etappen sieben und acht sind schon fast Pflicht für die Sprinter, denn dann wird es lange dauern, ehe die endschnellen Männer erneut eine Chance bekommen.
Großes Spektakel und die Chance für schwerere Fahrer
Die erste Woche der 105. Tour endet mit einer Pflaster-Etappe. Die Leichtgewichte im Feld werden eine gehörige Portion Schiss vor diesem Tag haben. Es drohen schnell einige Minuten Rückstand, Stürze und die Favoriten können an einem Tag alle Chance auf den Gesamtsieg einbüßen.
Betrachtet man die gesamte erste Woche, so müssen sich die Kletter-Leichtgewichte durchaus Sorgen machen. Wind, Klassiker-Profil, Pflaster – läuft es schlecht, hat man sich schnell fünf Minuten Rückstand eingehandelt.
Fahrer wie Tom Dumoulin sehen das natürlich ganz anders, ihnen kommt diese erste Woche durchaus entgegen. Auch ein Mann wie Bob Jungels könnte sich hier durchaus wohlfühlen.
Vorentscheidung in den Alpen?
Die drei Alpen-Tage beginnen mit der Etappe nach Le Grand-Bornand über die Gravel-Passagen des Plateau des Glières. Zwischen den Favoriten wird es wohl dennoch keine großen Unterschiede geben. Die nur 108 Kilometer lange 11. Etappe verspricht Rambazamba, denn es könnte früh angegriffen werden – für die starken Kletterer eine gute Möglichkeit, für die Sprinter ein harter Fight um den Kontrollschluss der Etappe.
Die dritte Alpenetappe könnte zu großen Verschiebungen im Gesamtklassement führen. Es ist ein knüppelharter Tag, nach schon zwei schweren Bergetappen. Nach dem Col de la Madeleine geht es auch über die Montvernier-Serpentinenstraße und tolle TV-Bilder sind garantiert. Anschließend geht es über den Col de la Croix de Fer zum großen Finale in Alpe d’Huez. Wer die Konkurrenz schocken will, lässt an den ersten Anstiegen ein hohes Tempo anschlagen und attackiert in den berühmten Kehren zum Ziel. Es ist eine Etappe, die man mit einer starken Mannschaft gut kontrollieren kann, aber am Schlussanstieg müssen die Favoriten selbst zeigen, was sie drauf haben.
Pyrenäen – All In
Wenn das Peloton in die Pyrenäen kommt, hat das Klassement bereits Struktur. Man weiß um die Stärke der Gegner und der Favoritenkreis hat sich ausgedünnt. Das Finale der ersten Pyrenäen-Etappe bietet durchaus das Terrain für einen Angriff, gerade nach einem Ruhetag. Doch in der 17. Etappe steckt deutlich mehr „Explosions-Gefahr“. Nur 65 Kilometer lang, drei Anstiege – All In ab Kilometer Null. Für den Mann in Gelb ist diese Etappe sehr schwer kontrollierbar.
Der letzte Pyrenäen-Tag ist ein langer und schwerer Riemen über die Tour-Monumente Col du Tourmalet und Col d’Aubisque. Hier werden die Kraftreserven, aber auch die Helfer eine wichtige Rolle spielen.
31 km Einzelzeitfahren – Duell Froome vs Dumoulin um den Gesamtsieg?
Im Einzelzeitfahren am vorletzten Tag fällt die Entscheidung. Die absoluten Zeitfahrspezialisten werden den Kletterern locker 1–2 Minuten abnehmen. Vorteil Froome, aber auch Vorteil Tom Dumoulin.
Geht man die Strecke der Tour durch, so könnte es zum Duell Chris Froome gegen Tom Dumoulin kommen. In der ersten Woche ist der Niederländer im Vorteil, in den Alpen dürfte er nur in Alpe d’Huez „viel“ Zeit verlieren. Die Pyrenäen bevorteilen keinen von beiden.
Welchem Rundfahrer liegt dieser Kurs?
Relativ wenig Zeitfahrkilometer, eine hektische erste Woche, kurze & lange Bergetappen – es ist ein Kurs für Alleskönner! Tom Dumoulin hätte zwar gern doppelt so viele Zeitfahrkilometer gehabt, kann sich aber nicht beklagen, liegt ihm doch die erste Woche sehr gut.
Romain Bardet freut sich über die schweren Alpen- und Pyrenäen-Etappen, freut sich auch über die wenigen Kilometer im Kampf gegen die Uhr, mag die erste Woche aber sicher nicht so gern. Vor allem das Pflaster.
Das gilt um so mehr für Fabio Aru, der vielleicht lieber den Giro fährt. Auch Mikel Landa findet keinen maßgeschneiderten Parcours vor, genau wie Titelverteidiger Chris Froome. Vielleicht war das der Gedanke der Streckenplaner – viele Optionen und keinen klaren Favoriten?
Der Traum vom Double – lieber erst 2019?
Auch wenn es in diesem Jahr wegen der Fußball-WM eine Woche mehr Pause zwischen Giro und Tour gibt, dürfte diese Tour für das Double zu schwer sein. Denn schon die erste Woche ist brutal und man muss während der gesamten drei Wochen auf hohem Niveau fahren.
Entscheidet sich Chris Froome dennoch für den Versuch, Giro und Tour in einem Jahr zu gewinnen, könnte es in Frankreich noch spannender werden, als man es ohnehin vermuten kann. Denn geht Froome die Puste aus, wird sein Sky-Team das Rennen nicht mehr kontrollieren. Oder schlägt im Juli 2018 die große Stunde des Geraint Thomas? Der Parcours dürfte ihm sehr gefallen.