Simon Yates

 

Simon Yates – ein Bein mehr

Man muss nicht diskutieren, wer bei diesem Giro der stärkste Fahrer ist. „Er hat ein Bein mehr“, sagt Nico Denz im Giro-Podcast. Nachdem Yates am Ätna sich überlegen das Rosa Trikot schnappte, sprach man noch von einer überragenden Tagesform. Am Zoncolan und auf dem Weg nach Sappada wurde klar – diese Form hatte er nicht nur einen Tag. Yates dominiert diesen Giro, wie es lange niemand mehr getan hat. Was er auf der 15. Etappe mit der Konkurrenz anstellte, war mehr als beeindruckend. Er fährt in einer eigenen Liga und erscheint unverwundbar. Einzig das Zeitfahren am Dienstag lässt die Spannung im Rennen, denn dann dürfte Tom Dumoulin ihm deutlich Zeit abknöpfen. Doch behält Yates diese Form in der dritten Woche, ist der Sieger des 101. Giro klar.

 

Tom Dumoulin – Spannungsmacher

Chris Froome kann nicht, das haben wir gesehen und Domenico Pozzovivo und Thibaut Pinot fahren zwar auf Top-Niveau, aber eben immer noch eine Stufe unter Simon Yates. Nur der Titelverteidiger ist es, der diesem Giro noch etwas Spannung gibt. Klar, Simon Yates kann immer mal einen ganz schwachen Tag haben, aber danach sieht es nicht aus. Tom Dumoulin liegt zwar schon mehr als zwei Minuten zurück, ist aber der beste Zeitfahrer der Welt und wird am Dienstag wohl ganz nah an Yates heranrücken. Vielleicht, so die Hoffnung einiger neutraler Fans, kann der Titelverteidiger sogar das Rosa Trikot übernehmen. Denn sollte er das Trikot haben, wird er sich mit Händen, Füßen, Kopf und Teamkollegen dagegen wehren, es wieder auszuziehen. 

Yates müsste dann attackieren und Dumoulin könnte „nur“ verteidigen. Diese Konstellation würde ein interessantes Rennen versprechen – deshalb wünschen es sich die Radsport-Fans. Tom Dumoulin hat in den vergangenen Wochen schon ein wenig überrascht. Es wurde viel diskutiert, ob er denn wirklich zu 100% motiviert zum Giro kommt, dürfte ihm doch die Strecke der Tour de France 2018 besonders liegen. Doch diese Frage kann man klar beantworten. Dumoulin ist nicht nur in Top-Form angereist, er ist maximal motiviert und hat ein starkes Team an seiner Seite. Simon Yates sollte sich nicht zu sicher fühlen.

 

Lopez und Carapaz – wenn zwei sich streiten 

Die große Entdeckung dieses Giro ist wohl der Ecuadorianer Richard Carapaz. Den (noch) 24-Jährigen hatten vor dem Giro wohl nur die absoluten Experten als Podest-Kandidaten auf dem Zettel. Er schnappte sich eine Etappe, fuhr lange in Weiß und zeigt ein beeindruckendes Rennen. Nun kämpft er gegen Angel „Superman“ Lopez um das Weiße Trikot des besten Jungprofis. Naja, man konnte schon auch mal den Eindruck gewinnen, dass vor allem Carapaz um das Weiße Trikot kämpft, während Lopez um das Podium kämpft. Auf der 15. Etappe gingen in der Verfolgergruppe mit Lopez, Carapaz, Pinot und Pozzovivo alle mit sauber durch die Führung, außer Carapaz, der dann auch munter attackierte. Natürlich hatte Lopez den Braten gerochen und passte auch auf, dass er sich nicht von Carapaz überrrumpeln lässt. Solch eine Rivalität in einer Vier-Mann-Verfolger-Gruppe ist nur für einen gut – den Mann ganz vorn. Pinot und Pozzovivo blieben überraschenderweise noch recht cool, ob des Duells der beiden Jungprofis. Doch hätten alle zusammengearbeitet, hätten sie auch Tom Dumoulin einige Sekunden aufbrummen können. Wenn sich das mal nicht rächt, ….

 

Denz & Schachmann – zwei junge deutsche Profis die großen Spaß machen

Ein deutscher Fahrer im Nachwuchstrikot beim Giro – schon der Start der Italienrundfahrt ließ die deutschen Radsport-Herzen höher schlagen. Max Schachmann war nicht vom Glück verfolgt, stürzte auf den ersten Etappen in Sizilien und fuhr dennoch Top-Ergebnisse ein. Der 24-Jährige hat angedeutet, welches Potenzial in ihm steckt. Leider kämpft er in der zweiten Woche mehr mit einem Infekt, als um gute Platzierungen. Doch es ist seine erste GrandTour und auch diese Erfahrungen gehören dazu. Man sollte mit großen Erwartungen zurückhaltend sein und den Jungs die Zeit und Ruhe geben, sich zu entwickeln.

Dass wir dann noch einen zweiten 24-Jährigen bei diesem Giro haben, der aus deutscher Sicht viel Grund zur Freude bietet, ist herausragend. Nico Denz zeigt einen großartigen Giro und hat auf Etappe 10 nur knapp die ganz große Überraschung verpasst. Wäre das die Tour de France, hätten die TV-Kollegen wohl längst hektische Flecken bekommen und Denz & Schachmann zwei Zentimeter Luft unter die Füße gepustet, doch den beiden sympathischen Jungs tut es vielleicht ganz gut, dass der Rummel sich in Grenzen hält.

An dieser Stelle seien auch Sky-Tretmaschine Christian Knees, Tony Martin und die beiden Bora-hansgrohe-Helfer Andreas Schillinger und Christop Pfingsten erwähnt. Die Bilder, wie sich Pfingsten und Schillinger nach dem Etappensieg von Sprint-Kapitän Sam Bennett freuten, sagten sehr viel über Teamwork im Radsport.

 

Ein harter Giro und nix für Ausreißer

Hart, härter, Giro – ja, so war es schon in den vergangenen Jahren häufig. Auch die 101. Austragung ist ein übles Gemetzel. Keine (fast) Etappe verläuft normal, selbst auf Flachetappen wird gebolzt, bis das Laktat über die Unterlippe schwappt. Das ist für die Baroudeure im Feld natürlich nicht sehr schön, wenn die Ausreißergruppen nie eine Chance haben, durchkommen. Doch das enorm harte Rennen wird Spuren hinterlassen, die ihre Auswirkungen in der dritten Woche zeigen. Bei den brutalen letzten Etappen werden es einige richtig schwer haben und vielleicht wird es sogar Überraschungen geben. Der Giro ist erst in Rom zu Ende – eine Floskel, die so mancher TV-Kommentator in der letzten Woche mantraartig wiederholen wird.

 

Der Kampf um das Maglia Ciclamino

Aktuell steht es 3:2 für Elia Viviani. Drei Etappen hat sich der Italiener geholt und trägt das Sprinter-Trikot dieses Giro. Doch Sam Bennett hat schon zwei Erfolge eingefahren und scheint in Top-Form. Bislang sprintete zwar nur Vivinai bei den Zwischensprints um die Punkte, doch das könnte sich ändern. Der Rückstand von Sam Bennett ist zwar bereits recht groß, doch er hat gezeigt, dass er sehr gut über die Berge kommt. Gut möglich also, dass der Kampf ums Maglia Ciclamino bis zum letzten Tag offen bleibt. Bislang scheint das Trikot recht sicher auf Vivianis Schultern, aber der Giro ist erst in Rom …

 

Gedenken an Michele Scarponi – eine Familie

Als der Giro-Tross den Heimatort von Michele Scarponi passierte, stiegen unfassbar viele Luftballons in den Himmel. Es wurde des freundlichen Italieners gedacht, der bei einem Autounfall vor gut einem Jahr ums Leben kam. Eine große Geste, die vielen an die Nieren ging, denn das Thema Sicherheit im Straßenverkehr sorgt bei jedem Radfahrer, egal ob Profi oder Hobby-Fahrer, für ein mulmiges Gefühl. Wir alle haben schon schlimme Situationen erlebt und der tragische Unfall-Tod von Scarponi zeigt erbarmungslos, wie schnell all die Freuden dieses Sports egal werden können. Dass man Scarponis auf diese Art gedenkt, wie es der Giro getan hat, ist schön zu sehen. Es zeigt auch, dass der Radsport irgendwie eine Familie ist. Das Bild, wie Sprinterlegende Alessandro Pettachi und Ex-Giro-Sieger Stefano Garzelli sich als Babysitter um die beiden Söhne von Michele Scarponi kümmern, ist eines der schönsten dieses Giro.