Es ist Anfang Januar 2018 und saukalt in Berlin. Mit ein paar kurzen Nachrichten verabreden wir uns. Er hat den regenfreien Tag auf dem Crosser genutzt und im Anschluss noch die Reha-Übungen absolviert. Fast auf den Tag ist es fünf Monate her, dass sich Maximilian Schachmann die Ferse zertrümmert hat.

Ich bin zu früh da und sitze schon beim dritten Tee, als Max zur Tür eintritt. Ein freundliches Hallo, der Blick in die Karte und während ich noch überlege, wie ich vorsichtig nach dem Stand der Regeneration frage, spricht Max schon von den nächsten Rennen. Oh, denke ich, der Kerl ist motiviert und wir sprechen über die Reha und wie es im ersten Trainingslager kurz vor Weihnachten lief. Keine 30 Minuten später bin ich es der die Fragen beantwortet und Max will wissen, was ich über Radsport denke. 

„Ja, das kann er gut“, sagen andere Fahrer, die ihn schon länger kennen. Max Schachmann scheint alles aufsaugen zu wollen, was mit Radsport zu tun hat. Während ich vorher noch überlegte, wie ich vorsichtig nach dem Heilungsprozess seiner sehr schweren Verletzung fragen könnte und sogar zweifelte, ob er überhaupt wieder auf sein altes Niveau zurückkehren könnte, habe ich eine halbe Stunde später keinen Zweifel mehr an einem großartigen Comeback. Der Kerl, der mir gegenüber sitzt, lässt sich nicht so leicht aufhalten. Er hat ein Ziel, unbändigen Ehrgeiz und ist dabei erstaunlich klar und aufgeräumt.

„Wäre ich Läufer, wäre das echt blöd, aber so geht das“, sagt Schachmann über den Trümmerbruch. „Im ersten Moment nach dem Sturz dachte ich: Fußbruch, kurz Pause, dann gehts weiter“, solche Sätze werden sicher gern gesagt, damit man als superharter Kerl dasteht. Doch nicht bei Schachmann. Er hat diesen nüchternen Blickwinkel, einen extrem analytischen Blick. Dies scheint einfach Bestandteil seines Charakters zu sein. Ich jedenfalls habe den Eindruck, er sagt es genau so, weil er es auch so sieht.

 

Ein großes Talent

Im Jahr 2011 gewann Schachmann Bronze bei der Junioren-Weltmeisterschaft im Einzelzeitfahren. Im Jahr darauf fuhr er für das Thüringer Energie Team aus Erfurt. Damals eines der besten U23-Teams Europas. Jörg Werner war der Teammanager und von Schachmanns Talent fest überzeugt. Der heutige Manager von Marcel Kittel und Tony Martin hatte schon mehrfach großen Talenten zum Durchbruch verholfen. Kittel, Martin, Degenkolb – alle fuhren bei Werner in der U23.

Doch nach nur einem Jahr kam das Aus des Thüringer Energie Teams. Schachmann wechselte zum Development Team von Giant-Shimano und 2015 dann zur Nachwuchsmannschaft von Quick-Step. Die Verbindung zu Werner blieb erhalten. Vor allem im sportlichen Bereich und in Sachen Trainingssteuerung war Werner Berater und Stütze. Noch heute ist die Verbindung eng.

Im Jahr 2015 holt Schachmann Silber bei der U23-Zeitfahr-WM. Das wiederholt er 2016 und gewinnt die prestigeträchtige Tour Alsace. Spätestens da ist klar, das Schachmann sein Riesenpotenzial umzusetzen weiß. Er wird 2017 Profi bei Quick-Step und gilt vor allem als Zeitfahrer.

Über Jörg Werner und die gemeinsamen Traningslager mit dem Quick-Step-Profi-Team gibt es ohnehin Kontakt zu Tony Martin und man kann sich gut vorstellen, dass Schachmann keine Gelegenheit auslässt, von den Erfahrungen Martins zu profitieren. Doch Martin wechselt zu Katusha, als Schachmann 2017 in die Profimannschaft aufrückt. Den Stempel „Zeitfahrer“ und „potenzieller Nachfolger“ von Martin, hat er da bei vielen dennoch schon erhalten. 

 

Stark und ehrgeizig

„Ich bin nicht Tony Martin 2“, sagt Max Schachmann bei der Teamvorstellung im Januar 2017 in Belgien. Er ist Neo-Profi und keine große Nummer. Während Gilbert, Boonen, Kittel und Terpstra alle Fragen 10 Mal beantworten müssen, hat Max nicht mit Gedränge zu kämpfen. Er betont seinen eigenen Weg gehen zu wollen und seine Ambitionen in Etappenrennen. Was für mich nach diesen Gespräch im Januar 2017 hängen bleibt: Der Kerl passt perfekt zu Quick-Step.

Das Team von Patrick Lefevere ist die professionellste, ehrgeizigste Mannschaft der Welt. Wenn du dort fährst, musst du viel knechten. Es gibt bei jedem Rennen einen Fahrer im Team, der gewinnen kann, für den du fahren musst. Doch eines ist auch sicher: du bekommst deine eigene Chance, wenn auch nicht im ersten Jahr. Und man lernt wie Radfahren geht, bekommt die Siegermentalität. „Philippe Gilbert ist echt super, er gibt alle Infos weiter, ist ganz offen“, sagt Schachmann über seinen Teamkollegen. Ein besseres Umfeld kann man sich als Einsteiger kaum wünschen.

Neoprofi bei Quick-Step und dann der Trümmerbruch im Sommer, ausgerechnet vor dem Highlight Vuelta – es geht besser. Viel besser. Doch auch bei Quick-Step hat man längst erkannt, was man für einen Rohdiamanten im Team hat. Schon im Trainingslager im Winter sagt Schachmann, bei welchen Rennen er 2018 starten will. Das Team aber will erstmal sehen, ob er überhaupt wieder treten kann, mit seiner lädierten Ferse. Da knallt ihnen Schachmann Wattwerte hin, die überzeugen.

Max Schachmann hat keine Probleme, Ziele zu formulieren. Wenn er dann von seinen Zielen spricht, kann es schnell arrogant wirken. Doch hakt man nach, wird schnell klar, dass es vielmehr sein Verständnis von sich selbst ist. Er hat Ziele, die er verfolgt, extrem ehrgeizig, vielleicht auch kompromisslos – was er sagt, ist seine nüchterne Analyse, keine Arroganz.

 

Der Schatten tut ihm gut

Der Name Max Schachmann ist den meisten Menschen im Januar 2018 unbekannt. Die deutsche Radsport-Presse feiert Kittel, Buchmann und sieht überschnell in Lennard Kämna den nächsten Jan Ullrich. Aber Schachmann wird fast komplett ignoriert. Als talentierter Nachwuchsfahrer versteht man die Mechanismen dahinter nicht, wundert sich darüber und empfindet es vielleicht als ungerecht. Doch dieser Schatten kann sehr hilfreich sein, um sich ohne Einflüsse entwickeln zu können.

Dieser Schatten ist nun Vergangenheit. Nach dem ersten Profi-Sieg folgt der Mega-Auftritt beim Giro d’Italia. Nun kennt die ganze Welt Max Schachmann, selbst der britische Eurosport-Kommentator sagt nicht mehr „Saschmän“. Max bekommt die Unterstützung des Teams, und er weiß zu schätzen, was er an diesem Team hat. Er saugt alles auf, ist kritisch mit sich selbst und sehr, sehr ehrgeizig. Am Ende ist er auch ein Beispiel für die gute Arbeitet von Patrick Lefevere und seinem Team – denn sie haben bei einigen jungen Fahrern das Talent früh erkannt und ihnen die Möglichkeit gegeben, sich zu zeigen.

 

Bodenhaftung

Das Weiße Trikot, Top-Platzierungen trotz Stürzen – Schachmann war schon vor seinem Etappensieg eine der Entdeckungen der Italien-Rundfahrt 2018. Sofort gab es Leute, die nach dem Rosa-Trikot riefen. Die Aufmerksamkeit ist plötzlich groß und es wird nicht lange dauern, bis selbst die ARD den Namen Schachmann kennt. Ein Hype beeinflusst jeden Menschen, egal wie „geerdet“ er ist. Auch Max wird der Erfolg verändern. 

An diesem Wintertag in Berlin haben wir die Location gewechselt, über Immobilienpreise und andere Themen geredet und einige Male herzhaft gelacht. Als wir gehen ist es dunkel und auf dem Weg zum Auto fängt es an zu regnen. Auf der Suche nach den richtigen Worten für die Verabschiedung wird mir klar, dass ich fast mehr Fragen beantwortet habe, als gestellt. „Bewahr dir das“, sage ich zum Abschied. „Die Neugier, den Ehrgeiz und das Wissen darum, wo du herkommst“. Denn es scheint die perfekte Mischung für eine große Karriere. Dass es so schnell gehen wird, dass dieses Megatalent durch die Decke geht, ich hätte es nicht für möglich gehalten.