Brandon McWer? Wem der Name des 20-Jährigen bislang kein Begriff war, der sollte ihn sich ab jetzt merken. Bei der Kalifornien-Rundfahrt beeindruckte das Talent vom Pro-Kontinentalteam Rally Cycling als Gesamtsiebter in seiner ersten WorldTour-Rundfahrt und ließ als Vierter der Königsetappe nach South Lake Tahoe gestandene Kletterer wie Rafal Majka oder Tejay van Garderen hinter sich.

Seinen Sportlichen Leiter Jonas Carney beeindruckt der Auftritt des Jungen aus Phoenix/Arizona nur bedingt: „Ich würde nicht sagen, dass ich beeindruckt bin. Er ist ein Riesentalent. Ich bin eher überrascht, dass er schon so weit ist. Wir kennen seine Fähigkeiten aber es ist trotzdem erstaunlich, wie schnell Brandon Fortschritte macht. Wir wissen, dass er so weit vorn sein kann, nur haben wir das nicht jetzt schon erwartet“, so der 47-Jährige am Tag der Schlussetappe der Rundfahrt in Sacramento.

Dabei war für den Rookie in Kalifornien sogar noch mehr drin: Im Einzelzeitfahren der vierten Etappe rund um Morgan Hill musste McNulty nach Defekt gegen Rennmitte das Laufrad tauschen und verlor wertvolle Sekunden auf die Konkurrenz. Dafür trat er zwei Tage später auf der Königsetappe mit fast 5000 Höhenmetern umso stärker in Erscheinung. „Viele wissen nicht, wie man in der Höhe fährt, aber Rob Britton hat mich super unterstützt. Wir sind mein Tempo am Daggett Summit gefahren und 300 bis 400 Meter vor dem Gipfel sah ich Tejays (van Garderen) Gruppe vor mir. Da bin ich hingesprungen. In der Abfahrt wurde taktiert, deshalb habe ich angegriffen und Yates und Majka mitgenommen. Das ist mein bislang bestes Karriereergebnis, deshalb bin ich sehr happy“, analysierte McNulty, als er im Ziel minutenlang auf dem Boden saß und sich sammelte.

Junioren-Zeitfahrweltmeister 2016

Obwohl die Kalifornien-Rundfahrt für das Team Rally laut Carney den Stellenwert der Tour de France genießt, trat McNulty entspannt beim Saisonhighlight an: „Ich bin ohne Druck hier gestartet und wollte einfach mein Bestes geben. Ich befinde mich in einem Lernprozess und die Resultate sind jetzt schon da. Das ist großartig. Wenn jemand den Druck hat, mit 20 in der WorldTour abliefern zu müssen, dann kann das nicht funktionieren. Momentan läuft es bei mir aber einfach. Ich werde mit jeder Woche besser.“ Mit einer Körpergröße von 1,83 Metern und einem Gewicht von derzeit 68 Kilogramm bringt McNulty die Maße mit, die sowohl am Berg als auch im Zeitfahren Spitzenleistungen erlauben. McNulty war 2016 Juniorenweltmeister im Zeitfahren und holte mit 19 Jahren in Bergen Silber in der U23-Klasse.

Keine Angst vor der Attacke

Auf die Frage, warum er auf den letzten Metern der Königsetappe attackierte und nicht die renommierteren Fahrer die Arbeit machen ließ, antwortete er im Ziel am Lake Tahoe lachend: „Warum nicht? Ich hatte die Beine. Kein anderer hat sich getraut und einer musste es tun.“ Allerdings war die Königsetappe keineswegs der erste starke Auftritt des Rundfahrt-Talents: Auf der 4. Etappe der Tour of Dubai im Februar war McNulty erstmals ins Rampenlicht der Szene gefahren. Der damals noch 19-Jährige hatte sich auf dem Abschnitt mit Ziel am bis zu 17 Prozent steilen Hatta Dam als letzter verbliebener Ausreißer lange seiner Einholung erwehrt. In der steilen Rampe streikte die Schaltung und McNulty musste sich auf dem 53er Blatt hinaufwuchten. Erst 300 Meter vor dem Ziel wurde er eingeholt. Nach fünf Etappen durch die Wüste belegte er Rang 14 im Gesamtklassement.

 

In einigen Jahren um WorldTour-Siege mitfahren

Doch welche Aussichten hat McNulty für die Zukunft? Sein Sportlicher Leiter gibt eine Einschätzung: „Ich glaube, in drei bis vier Jahren fährt Brandon um Siege in der WorldTour mit. Ich hoffe, er kann eines Tages auch bei den Grand Tours mitmischen. Wichtig ist, dass er sich gut entwickelt und nicht den zweiten Schritt vor dem ersten macht. Er soll Spaß haben und alles Wichtige lernen, bevor er unter Druck abliefern muss.“ Zugleich warnt Carney aber auch: „Er darf nicht ausbrennen. Es gibt viele Talente, die dann aber mit 25, 27, oder 29 die Erwartungen nicht erfüllen können. Das ist die größte Gefahr für Brandon. Wir müssen vorsichtig sein und ihn langsam aber kontinuierlich entwickeln.“

In der Tat konnten die US-amerikanischen Talente in der Vergangenheit die Erwartungen nur selten erfüllen. Tejay Van Garderen fährt seit einigen Jahren seinen Resultaten hinterher, die ihm nach dem Gewinn des Weißen Trikots bei der Tour 2012 und dem Gesamtsieg bei der Kalifornien-Rundfahrt 2013 eine glorreiche Zukunft als Grand-Tour-Gewinner vorhersagten. Andrew Talansky gewann 2014 das Criterium du Dauphiné und ist mittlerweile als Triathlet aktiv. Mit Adrien Costa trat im vergangenen Herbst ein weiteres Riesentalent urplötzlich vom Radsport zurück. Und auch Taylor Phinneys vielversprechende Karriere gleicht einem stetigen Auf und Ab mit sporadischen Resultaten.

Völlig fertig, aber mit Silber belohnt – Mc Nulty bei der WM in Bergen

Nicht zu früh in die WorldTour

Es wäre schade, wenn McNulty mit einem zu frühen Schritt in die WorldTour sein Talent verschenken und den Weg seiner Landsleute einschlagen würde. Carney hofft daher, den Jungstar weiter an das Team Rally Cycling binden zu können: „Brandon steht jetzt schon im Fokus der WorldTour-Teams. Wenn unser Team mit ihm nicht in seiner Entwicklung Schritt halten kann, dann wird er bald in die WorldTour wechseln. Wir entwickeln uns aber momentan sehr schnell und erweitern unser Rennprogramm in Europa sowie die Zahl unserer WorldTour-Starts. Wir hoffen, ihn mindestens noch ein Jahr im Team zu halten. Wenn wir ihm aber nicht bieten können, was er braucht, dann wird er uns verlassen.“

Derzeit spricht laut Carney vieles für eine Teilnahme seines Teams bei der Deutschland-Tour und den EuroEyes Cyclassics Hamburg. Sollte McNulty dort ebenfalls für Furore sorgen, dann kann jeder Leser nun fachkundig vom Streckenrand aus behaupten: „Das überrascht mich nicht. Der Junge ist ein Riesentalent.“