Der deutsche Amateurradsport hat ein Nachwuchsproblem. Zwar boomt der Sport hierzulande, doch die meisten Rennradfahrer zieht es eher in Richtung Jedermannrennen anstatt in den lizensierten Rennsport. Darunter leiden nicht nur in erster Linie die Lizenzrennen in Deutschland, sondern möglicherweise auch langfristig der Erfolg im Profibereich. Zwar gibt es mit Bora-hansgrohe und Team Sunweb derzeit zwei deutsche WorldTour-Rennställe, doch in der gerade für den Einstieg ins Profilager so wichtigen ProContinental-Ebene sucht man vergeblich nach deutschen Teams. 

Das Nachwuchsproblem ist nicht neu, hat sich aber in den vergangenen Jahren verschärft. Beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hat man das erkannt und versucht, nun mit der Lizenzreform dem deutschen Radsport eine nachhaltige Perspektive zu bieten. Mit der Reform will man den Lizenz-Sport fördern und so über gestärkte Vereine auch langfristig den Radsport stützen.

 

Status Quo

Bislang galt: Wer einem Radsportverein angehörte, der konnte eine C-Lizenz lösen. So durfte man an jedem Rennen teilnehmen, das für C-Fahrer oder Jedermänner ausgeschrieben war. Gewann man ein C-Lizenzrennen, erfolgte automatisch und unmittelbar der Aufstieg in die B-Klasse. Alternativ genügten auch fünf Top-Ten-Platzierungen in Lizenzrennen innerhalb einer Saison. Gleiches galt für den Aufstieg von der B- in die A-Klasse, der höchsten Ebene im deutschen Amateurradsport.

Wer als A- oder B-Fahrer keinen Sieg oder mindestens drei Top-Ten-Platzierungen am Saisonende vorweisen konnte, der stieg für das Folgejahr um eine Kategorie ab. Als C-Fahrer war ein solcher Klassenerhalt logischerweise nicht notwendig – niedriger ging es im Amateursport schließlich nicht. Die Lizenz hielt man bis zum 31.12. des jeweiligen Jahres. Wer also erst im Sommer die Lizenz beantragte, der hatte diese lediglich für ein halbes Jahr inne.

Bereits im Vorjahr hatte der BDR dieses System aufgeweicht, indem zum 1. Juli 2017 Tageslizenzen für Nicht-Vereinsfahrer möglich wurden. „Wir wollen damit sportlich ambitionierten Fahrern die Chance geben, an einem echten Wettkampf teilzunehmen und die Rennszene kennenzulernen“, sagte BDR-Sportdirektor Patrick Moster damals. Für 24,50 Euro durfte man für einen Tag Rennluft schnuppern, die maximale Anzahl an Tageslizenz war auf fünf Lizenzen pro Fahrer und Saison beschränkt.

Das Problem am bisherigen System lag darin, dass Fahrer zwar C-Lizenzen lösten, dann allerdings zwischen C- und Jedermann-Rennen „pendelten“ – wohl auch deshalb, weil reine C-Rennen immer seltener wurden und oft mit der A- und B-Klasse zusammengelegt wurden. Negative Begleiterscheinung: Starke Jedermänner, die auch auf C-Lizenz-Niveau zu den Besten gehörten, ließen im Finale der C-Rennen den Sprint absichtlich aus und schenkten den Sieg ab. Denn mit Platz eins und dem daraus folgenden B-Aufstieg wäre das Teilnahmerecht an Jedermann-Rennen für die restliche sowie die kommende Saison erloschen. Im Sinne des Sports waren diese „absichtlichen Niederlagen“ sicher nicht.

 

Das neue System

Nun also stößt der BDR eine Revolution an und schafft ein neues Lizenzsystem, das die Struktur vereinfachen und den Einstieg in den Lizenzsport schmackhafter machen soll. Die größte Veränderung: Ab 2019 wird nur noch in zwei statt bisher drei Lizenzklassen unterschieden – Elite-Amateure und Amateure. Zu den Elite-Amateuren zählen künftig die bislang besten 500 Lizenzfahrer, die sich über die rad-net-Rangliste bestimmen. Dazu kommen die besten 30 der Masters-Rangliste, die Top 50 der Junioren sowie alle Fahrer der Rad-Bundesliga. Ausschlaggebend für diese Rankings sind jeweils die Resultate der Saison 2018.

Beide Lizenzklassen sollen künftig keine gemeinsamen Rennen mehr bestreiten, um den Amateuren den Einstieg in den Rennsport zu erleichtern. Schließlich bedarf es keiner sportlichen Qualifikation für die Amateur-Klasse, das Lösen einer Lizenz genügt. Zu den Elite-Amateuren gelangt allerdings erst, wer in den Amateur-Rennen seine Leistungsfähigkeit bewiesen hat. Statt jedoch wie bislang durch Siege oder Platzierungen aufzusteigen, werden die Ranglisten im Jahr 2019 an zwei Stichtagen neu bewertet: dem 20. Mai 2019 sowie dem 31. Juli 2019. Die Ausnahme bildet die Top-50-Rangliste der Junioren, diese bleiben bis zum 31.12. eines Jahres Elite-Amateur-Fahrer.

 

Der BDR verfolgt mit der Reform vor allem sechs wesentliche Ziele:

  1. Mit der Modernisierung des Auf- und Abstiegssystems wird auch eine Anpassung an die Strukturen der benachbarten Länder vorgenommen.
  2. Die Erhöhung der Lizenzzahlen soll eine Erhöhung der Anzahl von Lizenzradrennen bringen.
  3. Bei den Leistungs- und Rennklassen werden klare Strukturen geschaffen.
  4. Jedermännern soll im Zusammenspiel mit der Tageslizenz der Einstieg in das lizenzierte Wettkampfsystem erleichtert werden.
  5. Alle Rennen sollen auf rad-net ausgeschrieben werden. So ergibt sich ein einheitlicher Rennkalender. Zudem werden bei allen Rennen Punkte für die Ranglisten vergeben.
  6. Eine Spitze kann sich nur bilden, wenn eine breite Basis vorhanden ist.

 

Kritik am neuen System

Natürlich bringt jede Neuerung auch Kritik mit sich. Jörg Wolff-Gebauer, Sportlicher Leiter des BIKE Market Team aus Rostock, glaubt nicht an eine Verbesserung der derzeitigen Situation: „Über diese Reform gibt es in der Szene viele Meinungen von ‚endlich passiert was‘ bis hin zu ‚Sterbehilfe für den Amateurradsport‘. Es gibt zwar laut BDR klare Ziele, die erreicht werden sollen, unter anderem sollen mehr Lizenznehmer zu mehr Lizenzrennen führen. Doch wie soll das mit dieser Reform funktionieren? Dass in den letzten Jahren viele Rennen gestorben sind, lag nicht am existierenden Lizenzsystem.“

Jörg Wolff-Gebauer, Sportlicher Leiter des BIKE Market Team
 

Der 50-Jährige, verantwortlich für 13 Lizenzfahrer in seiner Mannschaft, sieht die Lösung gegen den Nachwuchsmangel an anderer Stelle: „Hohe behördliche Auflagen, Straßen für die man keine Genehmigung mehr bekommt, hohe Absperrkosten oder mangelnde Akzeptanz bei den Anwohnern der Rennstrecke lassen viele Rennveranstalter resignieren. Ein Verein, der ein Rennen veranstaltet, darf nicht allein gelassen werden und das finanzielle Risiko im Genick haben. Da könnten manche Kosten auch vom BDR getragen werden, wie es beispielsweise in Dänemark gehandhabt wird.“

Vielmehr müsse der Fokus auf die Nachwuchsarbeit in den Kinder- und Jugendklassen gelegt werden. „Die Anstrengungen und Investitionen im Nachwuchs müssen erhöht werden und es braucht mehr hauptamtliche Trainer an Nachwuchsleistungszentren. Kinder und Jugendliche müssen besser betreut und trainiert werden können“, so Wolff-Gebauer, der 1977 als 10-Jähriger seine erste Lizenz löste. 

Auch die Zusammenlegung von Jedermann- und Lizenzrennen sieht der ehemalige Rennfahrer kritisch: „Ob mehr Jedermänner Lust haben, eine Lizenz zu lösen wenn sie von den Elite-Fahrern gnadenlos abgehängt werden, ist fraglich. Jedermannrennen müssten über den BDR laufen und wer dort Punkte einfährt und ständig gewinnt, der steigt in den Lizenzsport in seine jeweilige Klasse auf. Die Aufstiegsregeln und Kategorieeinteilungen bei den Amateuren zu reformieren und dem Kind nur einen anderen Namen zu geben, wird auch keine größeren Startfelder und mehr Qualität bringen. Es wird eher einige verschrecken“, ist sich Wolff-Gebauer sicher.

 

 

Fazit

Vieles wird also anders, aber wird auch alles besser? Fakt ist: Schon heute ist die Teilnahme von Lizenzfahrern an Jedermannrennen ein heißes Thema unter den Jedermännern. Dieses Phänomen dürfte sich durch die neue Reform noch verstärken, sodass in den Ergebnislisten der Jedermannrennen künftig noch mehr Lizenzfahrer die Spitze bilden. Sollte die Reform dem Lizenzsport tatsächlich helfen, dann auf Kosten der Jedermannszene, die sich weiter professionalisiert und ihrem namentlichen Zweck nicht mehr dient: Nämlich dem Sport für jedermann und nicht für nationale Spitzenamateure.
 
Vorteilhaft an der Reform ist sicherlich, dass die Amateure nicht mehr wie bislang in KT/A/B/C-Rennen mit überlegenen Kontrahenten der Elite-Amateure starten müssen und so meist wenig mit dem Rennausgang zu tun haben. Mit dem neuen System wird zumindest im Lizenzsport die Chancengleichheit erhöht und heutige C-Fahrer kommen künftig öfter in den Genuss, ein Rennen auf Sieg zu fahren. Eine taktische Eigenschaft, die neben den reinen Leistungswerten ebenso einen guten Rennfahrer ausmacht und so der Qualität des deutschen Nachwuchses zugute kommt.

Auf der anderen Seite muss allerdings auch dafür gesorgt werden, dass die Zahl an Lizenzrennen in Deutschland wieder ansteigt – und das nicht nur bei Kriterien in Industriegebieten, wie sie zumeist ausgetragen werden. Längere Straßenrennen, anspruchsvolle Zeitfahren und spannende Rundstreckenrennen müssen sich die Waage halten, damit der Nachwuchs vielseitig ausgebildet wird. Dafür brauchen die Vereine Unterstützung seitens des BDR, um in Zeiten immer höherer Auflagen und Kosten den Fahrern weiterhin genügend Rennen anzubieten. Schließlich sind Rennen das beste Training und schulen Kondition, Technik und Taktik, ehe der Weg in Richtung Profibereich eingeschlagen werden kann.

Ob die Reform des Lizenzsystems dem negativen Trend des „Rennensterbens“ neues Leben einhauchen kann, bleibt abzuwarten. Der Gedanke des BDR, dass mit mehr Lizenznehmern auch mehr Lizenzrennen einhergehen, ist kein Automatismus und lässt sich allein mit der Reform wohl nicht umsetzen. Sie kann aber in Kombination mit der finanziellen und logistischen Unterstützung der Rennveranstalter einen wesentlichen Teil dazu beitragen.