Stefan Küng

Für Radsportreporter ist Stefan Küng ein dankbarer Gesprächspartner, vor allem nach komplizierten Radrennen. Ruhig, ehrlich und reflektiert kann er das Geschehene sofort analysieren. Es kann dann schon mal passieren, dass er während eines Videointerviews sich kurz abwendet und seinen Teamkollegen dankt, aber auch das stört Reporter meist nicht, fängt er doch nur authentisch ein, was Sport und Sportler ausmacht.

Stefan Küng galt früh als großes Talent. Er dominierte in der U23 die Zeitfahren und holte 2014 sowohl im Straßenrennen, als auch im Kampf gegen die Uhr den U23-Europameistertitel. Mit nur 21 Jahren wechselte der Schweizer in die WorldTour, kam zum Ausnahme-Team BMC. Stark im Zeitfahren und gut bei den Klassikern – natürlich begleitete ihn stets der Vergleich mit Fabian Cancellara. Küng sah es als Ehre. Doch wenn man sehr jung mit dem Label „der nächste Cancellara“ versehen wird, ist das sicher auch eine Last. „Man wird dort reingedrückt. Ich habe nie gesagt, dass ich Cancellaras Nachfolger bin, so ein Typ bin ich auch nicht“, sagt Küng. 

Megatalent

Küng schlug bei den Profis direkt ein. Er gewann die Volta Limburg Classic und eine Etappe bei der heimischen Tour de Romandie. Der Hype war groß. Er startete in Italien in seine erste Grad Tour, war nach Rick Zabel der jüngste Starter.

Stefan Küng entwickelte sich weiter, holte nationale Zeitfahrtitel und weitere Erfolge in der WorldTour. Bei den Pflaster-Klassikern war er einer der wichtigsten Helfer von Greg van Avermaert, der große Erfolge feierte. „Wir hatte bei BMC schon eine extrem gute Klassikmannschaft. Mit Greg, Jempy (Drucker), Michi Schär und mir hatten wir auf dem Papier schon eine sehr starke Truppe“, erklärt Küng.

Nach dem Ende von BMC hat Küng das Team gewechselt. Ist zur französischen Mannschaft Groupama-FDJ gegangen, auch um selbst Kapitän bei den Pflasterrennen zu sein. „Wenn du einen Fahrer hast wie Greg, dann konzentrierst du dich auf ihn. Und wir waren ja auch sehr erfolgreich. Aber ich war vier Jahre dabei und wollte auch mal schauen, wie es ist, wenn man freie Fahrt hat“, so Küng, der sich in der neuen Rolle erst noch zurechtfinden muss.

 

Neue Rolle

„Die Mannschaft ist sehr professionell. Die Stimmung ist gut, ich komme sehr gut klar, konnte sogar einen Mechaniker mitbringen“, sagt Küng über seine neue Mannschaft. Man merkt ihm an, dass er sich wohl fühlt. Doch die Leaderrolle bedeutet auch eine Umstellung.

„Es ist cool, aber du kommst zum Omloop, es geht ins Finale und du bist es nicht mehr gewöhnt, das Finale auf eigene Rechnung zu fahren. Da braucht es noch ein wenig, den Mind-Switch zu vollziehen„, sagt Küng im Restaurant des Teamhotels vor Gent-Wevelgem.
„Früher hast du deine Arbeit gemacht und es war dann egal, ob du Zehnter oder 20. geworden bist. Aber jetzt musst du selbst versuchen, etwas rauszuholen, was natürlich nicht so einfach ist. Aber ich wollte das und es ist eine tolle Erfahrung. Es fehlt nicht viel, um ganz vorn mitzufahren“, so Küng.

Sein neues Team zählt nicht zu den ausgewiesenen Klassiker-Mannschaften. Aber Küng sieht das nicht unbedingt als Nachteil. „Es gibt die Klassikerteams wie Deceuninck-Quickstep, Trek-Segafredo, Bora-hansgrohe oder auch wir mit BMC in der Vergangenheit. Wenn du in keiner dieser Mannschaften bist, ist es das beste, wenn du etwas machst wie Nils (Politt) und Jasha (Sütterlin) beim E3-Preis. Früh attackieren und wegfahren. Wenn du das BMC-Trikot anhast, dann geht das nicht so leicht, denn alle denken dann: oh, Greg hat einen Mann vorn, das ist gefährlich. Da lässt man keinen fahren. Es kann also auch ein Vorteil sein, nicht bei einem dieser Teams zu sein“, sagt Küng. 

Im Kreis der Elite

Doch seine Rolle ist nun eine andere, er will zu denen gehören, die um den Sieg fahren. Er bleibt im Kreis der Favoriten, bis im Finale die Karten auf den Tisch gelegt werden. „Ganz vorne ist es ein Kreis der Elite. Sagan, Greg, Benoot, Stybar, Naesen – halt die Leute, die da regelmäßig ganz vorn reinfahren. Dahinter gibt es die zweite Reihe. Die Top-Shots sind an den wichtigen Stellen ganz vorn und fahren dann los – beispielsweise am Paterberg beim E3-Preis. Willst du da reinkommen, musst du dir schon deinen Platz erkämpfen„, sagt Küng. „Es ist ja schon so, dass wenn Greg hinter Sagan ist, dann passt das. Ist er hinter Politt, dann sagt er sich – nein, ich muss bei Sagan sein. Da geht es schon um die Positionen. Und für die Top-Shots ist es vielleicht ein bisschen einfacher, weil man sich mehr an ihnen orientiert“, so Küng.

Selbstvertrauen als Schlüssel

Auf die Frage, was ihm noch fehlt, um vorn bei den „Top-Shots“ mitzufahren, antwortet Küng ruhig, aber bestimmt. „Das Selbstvertrauen. Dass man sagt, ich kann das, ich gehöre da hin. Früher hast du den Kapitän in den Paterberg reingefahren, dann war es eh schwierig, da noch mitzufahren. Aber jetzt musst du sparen, sparen, sparen – keinen Tritt zu viel machen, um am Ende dabei zu sein. Wenn du aber vier Jahre lang an diesen Stellen abgehängt wurdest, dann ist das nicht einfach. Da muss ich noch ein bisschen dran arbeiten“, so der 25-Jährige.

In die Kapitänsrolle zu wachsen ist keine Frage von Wochen, sondern braucht Zeit. „Es ist nicht viel, was fehlt und ich bin doch im Finale regelmäßig dabei. Die Rennen werden in einer sehr kurzen Zeit entschieden. Verlieren kannst du es auf der ganzen Strecke, aber die Entscheidung fällt in einem kurzen Moment. Dann musst du dabei sein. Ein Fahrer wie Greg macht die Selektion selbst, aber ich bin nicht in der Lage die Selektion zu machen“, sagt Küng und fügt nach einer kurzen Pause an: „Oder man muss es einfach mal probieren. Meist ist es besser wenn man agiert und nicht reagiert“. 

Die Lücke schließen

Küng öffnet zwischen Daumen und Zeigefinger einen kleinen Spalt um zu zeigen, wie wenig fehlt. „Am Paterberg hast du 10 Meter Loch und sagst dir: Ich kann das eigentlich. Aber ich suche keine Ausreden, ich konnte da gestern einfach nicht mitfahren“, sagt er mit Blick auf den Paterberg bei E3 BinckBank Classic. „Ich glaube, ich kann das noch herausholen„, so Küng mit Blick auf die kleine Lücke wischen seinen Fingern. Er fühlt sich insgesamt viel besser als im vergangenen Jahr, als er deutlich mehr kämpfen musste, um dabei zu bleiben.

 

 
 
 
 
 
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@parisroubaixcourse Recon done ! Ready for the hell of north Sunday ??? #parisroubaix #cobbles #fullgas #reconrace

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„Paris-Roubaix ist schon mein Ding“

Paris-Roubaix ist der Abschluss der Pflastersaison. „Grundsätzlich kommt es von allen Klassikern meinen Qualitäten am meisten entgegen“, sagt Küng mit Blick auf die Hölle des Nordens. „Aber das Rennen hat mir in der Vergangenheit kein Glück gebracht“.  In den vergangenen zwei Jahren hat er das Rennen nicht beendet. „Wenn man sich die Klassikerfahrer anschaut, dann bin ich schon am oberen Ende in Sachen Größe und Gewicht. Dann doch eher Rouleur„, schätzt sich Küng selbst ein und sieht deshalb Paris-Roubaix als den für ihn besten Klassiker. „Ich komme gut klar auf dem Pflaster und das ist schon mein Ding“.

Zu viele Gedanken

Über seine Defizite zu sprechen fällt Stefan Küng leicht. Er ist extrem ehrgeizig, aber selbstkritisch. „Vielleicht ist das mein Problem, dass ich mir zu viel Gedanken mache„, sagt Küng. „Es gibt Fahrer, die sagen sich einfach: Heute hat es nicht gereicht, dann eben morgen. Vielleicht kann es auch ein Hemmnis sein, wenn man zu viel denkt“, so Küng. 

Er lenkt sich ab, von der Radsportwelt um nicht zu sehr zu grübeln. Küng liest viel, hat ein Geo-Abo und aktuell das Buch „Nachtzug nach Lissabon“ im Gepäck. Er hilft bei der Organisation der Schweizer Meisterschaften mit. „Im Winter war ich da stark mit involviert“, sagt Küng und schiebt mit einem Grinsen und Schweizer Dialekt nach: „Ich mache solche Dinge eben, damit einem nicht langweilig wird“. Er ist ein intelligenter junger Mann, der sich für viele Sachen interessiert und sich selbst reflektiert. 

Zu viel Druck & der eigene Weg

„Ich hatte schon einige schlimme Stürze in meinen ersten Jahren. Das war sicher auch, weil ich mir zu viel Druck gemacht habe“, sagt Küng. „Ich hatte in der U23 alles gewonnen, dann gleich als Profi Siege. Da denkst du schon, das geht immer so weiter und es gibt diese Erwartungshaltung“, so Küng rückblickend. Dabei sei der Druck aber vor allem von sich selbst gekommen, auch wenn die Vergleiche mit Cancellara sicher dazu beigetragen haben. „Bei der Schweizer Meisterschaft, als ich gestürzt bin, da war schon das Credo: Ich muss Cancellara schlagen, weil es das letzte Mal ist, dass ich gegen ihn antrete. Im Nachhinein habe ich gesehen, dass es völlig blödsinnig ist“, so Küng. Er will seinen eigenen Weg gehen und er macht den Eindruck, dass er sich mit der Erfahrung von falschen Erwartungen befreit hat. An Motivation und Ehrgeiz wird es dem Schweizer ohnehin nicht mangeln. 

Es fällt mir sehr schwer zufrieden zu sein„, sagt Küng ruhig und schaut, als habe man ihn auf frischer Tat ertappt. „Ich bin wahrscheinlich zu hart zu mir selbst„, schiebt er nach. „Ich hatte 2018 zum Beispiel eine fantastische Tour de Swiss. Etappensieg und lange das Gelbe Trikot. Aber ich habe mich geärgert, dass es vielleicht doch eine Chance gegeben hätte, im Gesamtklassement weiter vorn zu sein. Ich Nachhinein kann ich das dann schon anders sehen, aber in dem Moment will ich mehr. Doch das macht einen erfolgreichen Sportler vielleicht auch aus, dass er etwas erreichen will“, so Küng.

Nach den Jahren bei BMC wollte er einen Teamwechsel, eine andere Philosophie kennenlernen. Bei Groupama-FDJ fühlt sich Küng perfekt aufgehoben. „Hier steht die Person sehr stark im Vordergrund. Du bist ein Athlet, aber auch ein Mensch. Man vergisst nicht, dass man nicht nur eine Nummer oder ein Name ist, sondern auch eine Person. Wenn es dir schlecht geht, dann fragen alle gleich, ob zu Hause alles ok ist“.

Er mag es, dass es keine harte Hierarchie gibt. „Hier sind alle gleich, egal ob Kapitän, Helfer oder Mechaniker. Bei uns stellt sich keiner in den Vordergrund und es werden alle mit dem gleichen Respekt behandelt“, so Küng, der sich wie bei BMC mit den Kapitänen auf Anhieb gut versteht. „Es gibt Teams, da ist der Fahrer der König und der Staff der Diener. Hier ist es definitiv nicht so, und das merkt man auch im Zwischenmenschlichen“, sagt Küng und schiebt mit einem Grinsen nach: „Aber im Rennen ist es anders, da musst du ein Arschloch sein„.

Nach den Klassikern sind vor allem die Zeitfahren die großen Ziele für die Saison 2019. „Die vier Zeitfahren in der Schweiz und die WM sind die großen Ziele“, so Küng. Vor allem auf die WM im Einzelzeitfahren will sich Küng speziell vorbereiten und versuchen, weit vorn zu landen.  

Sein Vertrag bei Groupama-FDJ läuft noch bis Ende 2020. Vielleicht gelingt es ihm bereits im kommenden Frühjahr, die kleine Lücke zwischen Daumen und Zeigefinger verschwinden zu lassen.