Tony Martin, Tour de France 2019

Jumbo-Visma, das Team dieser Tour

Es ist das Team dieser Tour. VIER (4!!!) Etappensiege nach 10 Etappen. Zudem mehrere Tage das Gelbe auf den Schultern von Mike Teunissen. Eine unfassbare Bilanz. Zumal drei unterschiedliche Fahrer und das gesamte Team im TTT die Siege einfuhren. Und Steven Kruijswijk liegt derzeit auf Podestkurs im Gesamtklassement.

Diese Mannschaft brillierte auf mehreren Ebenen. Hier sei Tony Martin explizit erwähnt. Denn es ist beeindruckend wie gelöst Martin bei der Tour wirkt. Er fühlt sich ganz offensichtlich wohl, genießt den Erfolg und bleibt dennoch „Tony“.

Da versuchte er auf der 10. Etappe den bei der Windkantensituation falsch positionierten George Bennett allein wieder nach vorn zu bringen, muss dann aber noch einigen Kilometern ansehen, dass die Tage vorn im Wind Spuren hinterlassen haben und er einfach platt war. Genau das sagt er dann auch im Interview nach dem Rennen der ARD. Hat man ihn die letzten Jahre beobachtet, scheint sich viel verändert zu haben. Er hat ganz offensichtlich Spaß an seinem Beruf. Daran hat sicher auch das Team einen Anteil. Für Jumbo-Visma war es bislang eine sensationelle Tour und die Mannschaft hat das Potenzial, diese Rundfahrt weiter zu prägen. Man darf gespannt sein, was da alles noch kommt.

Nun wurde bekannt, dass die niederländische Equipe auch auf den Einsatz von Ketonen setzte. Hier sei unser Podcast zu diesem Thema mit Bora-hansgrohe-Arzt Jan-Niklas Droste empfohlen.


 

„G“ souverän

Im Winter hatte Geraint Thomas ungewohnte Rundungen und er machte keinen Hehl daraus, dass er die Zeit nach seinem Toursieg genossen hatte. Unzählige Sponsorentermine, TV-Auftritte, Urlaub, Partys, …. „G“ war im Stress und scheinbar kam er im Winter nicht ausreichend zum Trainieren. Als er dann noch bei der Tour de Suisse stürzte, wurden die Zweifel an seiner Form noch größer.

Doch das Thema hat sich komplett erledigt. G hat Form! Und zwar eine Mega-Form. Zunächst konnten wir das bei der Bergankunft am Planche des Belles Filles sehen, als er einige Sekunden rausholte. Noch beeindruckender war seine Leistung nach seinem Sturz im Finale der 8. Etappe. Thomas knatterte zurück in die Favoritengruppe und kam dort an, als gerade voll attackiert wurde. Aber er presste einfach über den Berg und war easy mit dabei. Brutal stark. 

Gut möglich, dass er beim Zeitfahren für klare Verhältnisse sorgt und der Konkurrenz richtig Zeit aufbrummt. Alle, die mit einer offenen Tour gerechnet hatten, müssen wohl spätestens dann einsehen, dass auch in Ineos weiter Sky steckt.

 

Wind zerstört Träume

Am Planche des Belles Filles war Thibaut Pinot der Einzige, der bei Geraint Thomas am Rad bleiben konnte. Es keimte bei seinen Fans, und vielleicht auch bei ihm, die Hoffnung auf, dass dies seine Tour werden könnte. Nur ein Zeitfahren, dazu viele lange Anstiege. Das Terrain scheint ideal für Pinot, der in sehr guterVerfassung scheint.

Doch dann kam diese 10. Etappe. Falsch positioniert, Pech mit einem Kreisverkehr, dann Panik und am Ende 1:40 min verloren. „Ein Scheiß-Tag“, sagte Pinot und traf es genau. Vor allem mental dürfte es ein harter Dämpfer gewesen sein, denn mit Cleverness und viel Aufwand hatte er sich auf Etappe 8 in eine gute Ausgangsposition gefahren. Doch diese Wind-Etappe hat viel verändert, auch wenn es noch weit ist, bis Paris. Im Zeitfahren wird Pinot wohl wieder Zeit einbüßen und er liegt bereits jetzt 1:20 hinter Thomas. Ist der Traum vom Sieg bereits vor den langen Bergen ausgeträumt? Vielleicht. Vor allem mental sind er und sein Team gefordert. Gelingt früh ein positives Erlebnis, kann der Aufwind zurückkommen. 

Es erwischte aber nicht nur Pinot, sondern auch Jakob Fuglsang, Richie Porte und Rigoberto Uran auf dieser 10. Etappe. Sie alle verloren wertvolle Zeit.

 

 

Buchmainia

Auf Rang fünf liegt Emanuel Buchmann nach 10 Etappen. Eine tolle Ausgangsposition vor den schweren Bergetappen Ende der zweiten Woche. Buchmann zeigt eine starke Tour und beeindruckt. Sowohl bei der ersten Bergankunft, als auch in kniffligen Situationen. Nach vielen Jahren kämpft wieder ein Deutscher um eine Top-Platzierung bei der Tour. Der Hype bricht aus, unaufhaltsam. Doch Buchmann hat unterdessen alles erlebt, wirkt entspannt wie selten zuvor und meistert auch alle Interviews mit seiner typischen Zurückhaltung gelassen. Der Kerl fährt einfach Rad und im Juli gern in Frankreich. Der Rest kann sich ruhig der „Buchmainia“ hergeben, Emu macht die Nummer ans Trikot und lässt die Beine kreiseln. Man darf gespannt sein, wie er sich in den Pyrenäen und im Zeitfahren schlägt. Der Rummel um seine Person dürfte ihn wohl nicht bremsen.

 

Nairo Kantenfuchs

Schon auf der ersten Etappe fiel es auf – als es auf das Kopfsteinpflaster ging, war Nairo Quintana sehr weit vorn positioniert. So war es auch auf der 10. Etappe, als Pinot, Uran und Co. vom Winde verweht wurden. „59kg Nairo“ kreiselte vorn in der Gruppe mit durch. Er war nicht am Rad eines Teamkollegen, oder auf dem Gepäckträger von Alejandro Valverde, nein, Nairo brachte sich selbst in Position. Er fährt extrem aufmerksam und ist stets an den wichtigen Stellen vorn. Das deutet darauf hin, dass Quintana in herausragender Form ist. Bei der Bergankunft an den Planche des Belles Filles verlor er zwar sieben Sekunden auf Geraint Thomas, doch er ist weiter in Schlagdistanz. Die langen Anstiege in den Alpen, wo es in große Höhe geht, werden ihm sicher sehr liegen. Wenn Quintana jetzt noch seine „Anti-Attacke-Haltung“ ablegt und in Offensive geht … 

 

Unterm Radar – Enric Mas

Julian Alaphilippe holt seinen Etappensieg und fährt in Gelb durch sein Heimatland. Elia Viviani gelingt sein erster Tour-Etappensieg und Patrick Lefevere gibt mit weißem Sonnenhut entspannt Interviews. Es läuft, bei Deceuninck-QuickStep. Doch nicht nur in Sachen Etappensiege und Kaderplanung, auch der Mann für die Gesamtwertung schlägt sich hervorragend. Enric Mas liegt in der Gesamtwertung nur 34 Sekunden hinter Geraint Thomas. Doch irgendwie fliegt der Spanier komplett unter dem Radar.

Klar, die Geschichten für große Schlagzeilen liefern andere. Etwa Alaphilippe, Jumbo-Visma oder Thomas de Gendt, doch Mas hat sich in eine sehr gute Ausgangslage für die Bergetappen gebracht. Bei der Bergankunft zu den La Planche des Belles Filles gehörte er nicht zu den Allerbesten. Doch es scheint so, als würde er für die zweite Hälfte dieser Tour zurück zu alter Stärke finden. Ist Mas in den Bergen so stark wie bei der Vuelta 2018, kann er in Paris durchaus auf dem Podium landen. Diesen Kerl sollte man nicht aus den Augen lassen.

 

Politt und das Gruppen-Pech

In Sachen Form gibt es bei Nils Politt keine Zweifel. Doch bislang könnte der Katusha-Alpecin-Profi nicht so richtig zeigen, wie stark er wirklich ist. Politt versuchte es mehrfach, in die Gruppe des Tages zu kommen, packte die Brechstange aus. Doch irgendwie sollte es nicht sein. Dennoch beeindruckend, wie er bei dieser Tour auftritt. Der Wirbel um die Zukunft seines Teams, bei der er eigentlich noch Vertrag hat, kann ihm offenbar nichts anhaben. Dazu wartet Politt auf eine Nachricht von zu Hause, wo die Geburt seines ersten Kindes unmittelbar bevorsteht. Legt sich die Anspannung abseits des Rennens, fährt Politt vielleicht noch befreiter auf. Und ist er mal in der richtigen Gruppe, ….

 

Oh, Bling

Es ist bislang nicht die Tour des Michael Matthews. Mal ist er eingeklemmt, mal nicht in guter Position, mal wartet er zu lange und wenn er doch den Sprint des Feldes gewinnt, sind Ausreißer vorn weg. Der Wurm ist drin, und es ist schwer zu erklären, woran es liegt. Matthews rückte im Team in die Kapitänsrolle, nachdem Tom Dumoulin den Start absagen musste. Er habe im Vorfeld weniger an seiner Sprintfähigkeit gearbeitet, sondern mehr am Berg trainiert. In der Tat macht „Bling“ bergauf einen starken Eindruck. Doch in den Sprints ist er bislang nicht konkurrenzfähig, wirkt überfordert. Vier Mal landete er in den Top-5 einer Etappe, aber was zählt, ist der Etappensieg. Matthews ist auch mental gefordert, trägt die Verantwortung. Gut möglich, dass sich das Blatt für ihn und sein Sunweb-Team in den verbleibenden Tagen noch wendet. Denn das Team ist stark, und wenn der Knoten einmal platzt … .  Vielleicht würde es Matthews gut tun, wenn man die Taktik etwas ändert und er nicht den Ergebnis-Druck spürt.