Roglic (endlich) souverän
Primoz Roglic hat seinen ersten Sieg bei einer Grand Tour eingefahren. Wenig überraschend, verfolgte man die Leistungen des Slowenen in den vergangenen Jahren. Auch wenn er beim Giro bereits auf dem Podium stand, diese Vuelta 2019 hat ihn auf eine andere Stufe gehoben. Er agierte souverän, abgeklärt und schien nie in Panik. Während er sich beim Giro noch in ein taktisches Spielchen mit Vincenzo Nibali verstrickte, blieb er bei der Vuelta souverän. Er fuhr, wenn es sein musste, ließ sein Team arbeiten um Sicherheit zu bekommen und lieferte im Zeitfahren beeindruckend ab. Primoz Roglic ist der verdiente Sieger dieser Vuelta und hätte es den Sturz beim Mannschaftszeitfahren zum Auftakt nicht gegeben, wäre der Vorsprung noch deutlicher.
Roglic steigt mit diesem Erfolg nicht nur in die Liga der Grand-Tour-Sieger auf, er rückt damit auch in die Favoritenrolle für weitere große Rundfahrten.
Gilbert ist in WM-Form
Zwei Etappensiege hat Philippe Gilbert bei der 74. Vuelta eingefahren. Und was für welche. Bergauf extrem stark und mit einem Punch, der den inzwischen 37-Jährigen einiges jünger erscheinen lässt. Gilbert ist längst nicht mehr der unersättliche Jäger großer Siege, er hat sich zu einem Leader entwickelt, der jungen Fahrern eine große Hilfe ist. Ob Maximilian Schachmann vor zwei Jahren, oder nun James Knox bei der Vuelta – Gilbert gibt seine Erfahrungen weiter und strahlt dabei eine extreme Souveränität aus. Der Altmeister wird das starke Aufgebot der Belgier bei der WM vielleicht als Roadcaptain anführen. Taktisch ist man breit aufgestellt, hat mit Van Avermaet, Oliver Naesen, Dylan Teuns und Remco Evenepoel mehrere Trumpfkarten. So stark, wie sich Gilbert in Spanien präsentierte, ist ihm durchaus zuzutrauen, dass er nach 2012 seinen zweiten WM-Titel holt.
Tadej Pogacar – WTF?
Der 20-jährige Tadej Pogacar ist die große Überraschung dieser Vuelta 2019. Klar, dass der Slowene ein Megatalent ist, war bekannt. Aber was dieser junge Kerl bei der Vuelta zeigte, war einfach krass. Drei Etappensieg, allesamt mit einer beeindruckenden Leistung herausgefahren und am Ende in Weiß auf dem Podium der Vuelta – bei seiner ersten Grand Tour. Schnell wurden die Statistiken bemüht, um diese außergewöhnliche Leistung einzuordnen.
Riders who finished on the podium of a Grand Tour in the last 100 years before turning 21:
Fausto Coppi – 1940 Giro d’Italia
Antonio Jimenez – 1955 Vuelta a Espana
Gianbattista Barronchelli – 1974 Giro d’Italia
Tadej Pogacar – 2019 Vuelta a Espana— CafeRoubaix (@CafeRoubaix) September 15, 2019
Doch solch eine Leistung gab es in den vergangenen Jahrzehnten nicht. Man mag entgegenhalten, dass es „nur“ die Vuelta war, und nicht der Giro oder gar die Tour. Aber diese 74. Vuelta sah nur am TV leichter aus. Die schwerste Grand Tour seiner Karriere, sagt John Degenkolb und Trainer teilnehmender GC-Fahrer bestätigen, dass diese Rundfahrt in Sachen Leistungswerte dem Giro nicht nachsteht.
Was können wir in Sachen Tadej Pogacar für Schlüsse ziehen? Vielleicht den, dass es einen extrem jungen Rundfahrer gibt, der gemeinsam mit Egan Bernal und Remco Evenpoel, aber vielleicht auch Iván Ramiro Sosa und David Gaudu die Grand Tours über Jahre prägen kann.
Ach Movistar
Das spanische Vorzeige-Team steht vor einem dringend benötigtem Umbruch und die Unstimmigkeiten im Team, die bereits bei der Tour sichtbar waren, blieben auch bei der Vuelta nicht verborgen. Dieses traditionsreiche und erfolgsverwöhnte Team galt viele Jahre als Mannschaft mit klarer Linie, solider Taktik und prägendes Element bei großen Rennen. Nach der schwachen Grand-Tour-Saison 2018 wurde im Mai der Giro gewonnen. Doch der Zwist im Team, der Verlust von Carapaz und Landa und die öffentlichen Schuldzuweisungen warfen einen Schatten auf die Erfolge. Der Status der Vorzeige-Mannschaft bröckelt. Bei der Vuelta gab es den nächsten Tiefpunkt, als man nach einem Massensturz aus dem Pech der Konkurrenz einen Vorteil ziehen wollte. Nach wenigen Kilometern lenkte man ein und wartete, die Kritik war dennoch nachvollziehbar groß. Eusebio Unzue ist einer der erfolgreichsten Teammanager der Radsportgeschichte und musste in seiner Karriere schon mehrere knifflige Situation lösen. Vielleicht steht er vor der größten Aufgabe seit langem, dieses Radsportdickschiff Movistar wieder auf Kurs zu bringen. Die Saison 2019 neigt sich dem Ende zu, und nicht wenige im Team freuen sich auf einen Neuanfang 2020.
Marc Soler – zu unrecht im Schatten
Auch Marc Soler sorgte für Negativschlagzeilen seines Movistar-Teams. Der 25-Jährige wurde zurückgepfiffen, als er um den Etappensieg kämpfte, um Nairo Quintana zu helfen. Soler machte seinen Unmut sichtbar. Eine Reaktion, die nicht 100% professionell war, wofür er sich später auch entschuldigte. Aber seine Reaktion war mehr als nachvollziehbar, sollte der doch ausgerechnet auf Nairo Quintana warten, der in den vergangenen Monaten nicht der perfekte Teamplayer war. Soler hat während der Tour für seine Kapitäne gebuckelt und seine eigenen Ambitionen komplett zurückgestellt. Das machte er dann auch bei der Vuelta. Soler musste viel arbeiten und landete am Ende dennoch in den Top-10. In der Öffentlichkeit wurde seine Leistung nicht übermäßig gewürdigt, es ist für ihn zu hoffen, das dies teamintern anders ist.
Marc Soler hat gezeigt, dass er bei zwei Grand Tours nacheinander einer der stärksten Helfer des gesamten Pelotons sein kann. Sein Talent ist unübersehbar. Er könnte vom großen Umbruch bei Movistar profitieren und neben Enric Mas und Alejandro Valverde der neue Leader sein. Zu was er in Sachen Gesamtklassement fähig ist, konnte er bislang nicht zeigen – man sollte ihn für die Grand Tours 2020 aber auf jeden Fall auf dem Zettel haben.