Vor dem Keep Challenging Center

Die Idee hatte Teamchef Iwan Spekenbrink bereits vor Jahren: Nach dem Vorbild anderer Sportarten eine Art Akademie-Campus aufzubauen, um dem Nachwuchs eine Infrastruktur für optimale Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Im Sommer wurde Spekenbrinks Vision Wirklichkeit. Mit dem Keep Challenging Center (KCC) eröffnete im niederländischen Sittard ein Campus für Nachwuchssportler und das Frauenteam der Sunweb-Equipe.

 

Eine große Investition

Eine zukunftsorientierte Arbeit ist im Radsport nicht neu, aber sehr schwierig. Anders als bei einem Fussballclub sind die Radteams von den Sponsoren abhängig. Ohne Zuschauereinnahmen und TV-Gelder ist die ökonomische Struktur der Teams sehr fragil. Zieht sich ein wichtiger Sponsor zurück, steht man schnell mit dem Rücken zur Wand.

Investiert die Betreibergesellschaft viel Geld in die Infrastruktur ist dies sehr risikobehaftet. So ist es wenig verwunderlich, dass viele Teams bei der Nachwuchsförderung eher zögerlich agieren.

Ohne einen Transfermarkt wie etwa bei Fussball ist kaum Geld damit zu verdienen, wenn man junge Sportler fördert und zu Weltklasse-Athleten formt. Einige World-Tour-Mannschaften unterstützen Farmteams, also Nachwuchsmannschaften die nicht direkt zur Equipe gehören. Meist geschieht Nachwuchsförderung mit überschaubarem Budget, auch wenn Teams wie Sunweb oder Groupama-FDJ eigene Nachwuchsteams führen. Große Investitionen in eine Infrastruktur wie nun bei Sunweb sind im Radsport eher ungewöhnlich. 

Besprechungsraum

 

28 Wohnungen in 14 Häusern

Der Campus in Sittard hat 14 Häuser mit insgesamt 28 Wohnungen. Zudem gibt es Besprechungsräume und eine große Küche. „Wir können hier die Rennen nachbesprechen, Seminare abhalten und auch gemeinsam kochen“, erklärt Albert Timmer. Der Ex-Sunweb-Profi hat das Keep Challenging Center im ersten halben Jahr geleitet. Auch er hat eine Wohnung bezogen und eines der integrierten Büros genutzt. 

Zu jeder Wohnung gehört eine offene Küche mit Wohnraum im Erdgeschoss und ein Schlaf- sowie ein Badezimmer im Obergeschoss. Die Küche ist komplett ausgestattet, auch eine kleine Couch, Waschmaschine, Tisch und Stühle sind vorhanden. Alles andere können sich die Bewohner nach eigenen Wünschen einrichten. Im Hof gibt es eine kleine Garage für die Räder und Hochdruckreiniger.

Im Erdgeschoss: Wohnzimmer

Seminare, Besprechungen, Training

In einem der Häuser gibt es auch einen kleinen Raum für Stabilisationsübungen oder Rollentraining, aber für das Indoor-Workout steht das fußläufig erreichbare High Performance Center zur Verfügung. Dort können die Athleten sämtliche Fitnessübungen erledigen.

Durch das Zusammenleben auf dem Campus haben die Sportler nicht nur den Vorteil, dass sie gemeinsam trainieren können, auch die Fort- und Ausbildung ist so einfacher. Von Vorträgen und Seminaren des Nutritionist bis hin zu Schlafanalysen mit einem Partnerunternehmen bietet die räumliche Nähe Vorteile. 

Im Obergeschoss ist das Schlafzimmer

Laut Timmer wird keiner der Fahrer gezwungen, im Keep Challenging Center zu leben, wenn er sich für das Nachwuchsteam der Sunweb-Equipe entscheidet. Es ist vielmehr ein Angebot, die Vorzüge der Infrastruktur zu nutzen. KCC-Leiter Timmer musste als junger Sportler noch ohne Powermeter trainieren. Heute kann das Nachwuchsteam im nahegelegenen Tom Dumoulin Bike Park auf abgesperrter Strecke unter perfekten Bedingungen mehrmals im Jahr problemlos Teamzeitfahren trainieren oder Tests absolvieren. „Ich hätte mir so etwas gewünscht“, sagte Timmer. „Das hätte mir viele Fehler erspart“, so der Ex-Profi grinsend. 

Albert Timmer in der offenen Küche

 

Schritt in die Selbstständigkeit

Doch manche Fehler und Erfahrungen sind wichtig für die Entwicklung, das weiß man auch beim Team Sunweb. Denn ein wichtiger Baustein zur Entwicklung zum Profi-Sportler ist die menschliche Entwicklung. Für viele junge Fahrer ist es der erste Schritt zur Selbstständigkeit. Weg von zu Hause, hinein ins nächste Abenteuer.

Auch bei dieser Entwicklung will man helfen. Ob eigenständiges Kochen, oder einfache Dinge wie Mülltrennung – gerade die jungen Sportler haben viel zu lernen. Die Athleten sollen sich auch abseits des Sports entwickeln. Eine Kooperation, wie etwa mit der Uni Dortmund, wo Dozenten ins Keep Challenging Center Seminare anbieten, sollen dem Fahrer eine Ausbildung neben dem Sport ermöglichen. 

Fahrer wie Max Kanter oder Florian Stork sind im Campus eingezogen. Sieht der Rennplan einige Rennen in Belgien vor, oder sind die Zeiträume zwischen Rennen oder Trainingslager kurz, ist das „KCC“ von Vorteil. „Auch, dass man gemeinsam trainieren kann, ist sehr gut“, sagt Stork. Er ist im Frühjahr ins World-Tour-Team aufgestiegen, bewohnt derzeit  aber noch eines der Häuser.

Platz für Rollentraining

Durchstrukturiert

Zur Eröffnung des „KCC“ im Sommer wurden medienwirksam die letzten Steine in den Boden geschlagen. Gelb angemalt prangt „#TDF2025“ auf ihnen. Es soll verdeutlichen, dass man mit Hilfe des KCC für langfristigen Erfolg sorgen will. Die Fahrer, die aktuell ins KCC einziehen, wolle man bis 2025 zu Tour-de-France-Fahrern entwickeln.

Vor mehr als 10 Jahren hat Iwan Spekenbrink das Team übernommen und stetig weiterentwickelt. Von der kleinen Skil-Shimano-Truppe zur World-Tour-Mannschaft Sunweb. Ein langfristiger Ansatz mit klarer Struktur und straffer Organisation hat dem Team den Aufschwung beschert und 2017 zum Girosieg geführt. Diese Entwicklung hat dem Team viel Anerkennung beschert.

Teamchef Spekenbrink ist jemand, der mit viel Energiegroßem Engagement und Vehemenz seine Ziele verfolgt. Er wird dabei nicht müde, die „Keep Challenging“-Philosophie zu preisen. „Wir müssen die Weltmeister der Teamarbeit sein, die Grenzen von Wissenschaft und Technologie verschieben, um unsere Ausrüstung schneller zu machen, genauer zu berechnen, effektiver zu trainieren und die Ernährung zu optimieren“, heißt es auf der Website. Bis ins Detail strukturiert, das Team über den Individuen – das Keep-Challenging-Mantra begleitet stets das Team. Das KCC soll der nächste Schritt zu mehr Professionalität und strukturiertem Aufbau sein und den langfristigen Erfolg sichern.

Zukunftsmodell?

In Sittard wurden das Keep Challenging Center und seine Bewohner gut aufgenommen. Als Sunweb-Profi Leah Kirchmann nach einem Sturz verletzt und kaum bewegungsfähig war, fragte eine ältere Dame aus der Nachbarschaft, ob man ihr denn etwas vorbei bringen könne. „Ja, wir wurden hier sehr gut aufgenommen und die Nachbarn schauen auch immer nach unseren Sportlern“, sagt Timmer mit einem Lachen. 

Die Häuser des KCC in Sittard

Die Infrastruktur, mit den Häusern, dem Perfomance Center und dem Bike Park scheint ideal. Ob aber auch die Nachwuchssportler das Konzept annehmen und sich der Campus nachhaltig als Trägerrakete für Athleten auf dem Weg in den Radsporthimmel etabliert, bleibt abzuwarten. Der Schritt in eine professionelle Umgebung, weg von gewohntem Umfeld, Familien und Freunden fällt nicht leicht. Vielleicht ist der Campus vor allem für Talente aus Übersee eine gute Einrichtung. Dass Sportler, deren Wurzeln im nicht all zu weit von Deventer entfernt liegen, lieber überwiegend im gewohnten Umfeld bleiben, ist wenig verwunderlich.

Man wird sicher nicht bis 2025 warten müssen, um abschätzen zu können, ob das KCC Spekenbrinks nächste Erfolgsgeschichte wird. Der Fokus auf wissenschaftliches Arbeiten und die sehr gute Infrastruktur bieten optimale Rahmenbedingungen. Stellt sich heraus, dass der Campus die physische Entwicklung der Sportler fördert und auch die menschliche Entwicklung Schritt hält, werden wohl bald noch mehr Teams diesen Weg der Nachwuchsförderung einschlagen.