Tom Dumoulin

Magere neun Siege holte das Team Sunweb im Jahr 2019. Viel zu wenig für eine Mannschaft, die noch vor wenigen Jahren mit John Degenkolb und Marcel Kittel im Team mehr als 40 Saisonsiege feierte. Klar, die niederländisch geprägte Equipe hat sich stark verändert und ist nicht mehr auf Sprints ausgerichtet, aber in der 15-jährigen Teamgeschichte gab es nur eine Saison, wo man weniger Siege holte. Damals, 2007, als ProConti-Team Skil-Shimano.

Es lief einfach nicht rund, für das Team von Manager Iwan Spekenbrink, auch wenn die Qualität der Erfolge ordentlich ist. Sowohl beim Giro d’Italia, als auch bei der Vuelta holte man einen Tagessieg und Michael Matthews gewann das kanadische World-Tour-Eintagesrennen in Québec. Doch dies waren wenige Lichtblicke. 

 

Tom Dumoulin – erst Sturzpech, dann der Abgang

Der Star und Erfolgsgarant des Teams war in den vergangenen Jahren ohne Frage Tom Dumoulin. Doch ausgerechnet er stürzte beim Giro schwer und schied aus. Später versuchte der Niederländer beim Critérium du Dauphiné das Comeback, doch das lädierte Knie machte nicht mit. Am 14. Juni beendete er die sechste Etappe der Dauphine und anschließend seine Saison. Es war sein letzter Einsatz für das Team Sunweb, ab 2020 startet er für das Team Jumbo-Visma.

Ohne Dumoulin blieb man bei der Tour eher blass, auch wenn ein ordentliches Teamzeitfahren gelang und Michael Matthews und Lennard Kämna Akzente setzten konnten. Ohne Dumoulin und mit einer eher durchwachsenen Saison von Michael Matthews, dazu der lange Ausfall von Sam Oomen (erst Beckenbruch, dann OP an einer Arterie) – dies war nicht zu kompensieren. Auch wenn der Vuelta-Etappensieg von Nikias Arndt und der Zeitfahrsieg von Chad Haga beim Giro positive Überraschungen waren. 

 

Ständiger Wandel, zuletzt ohne Erfolg

Vom kleinen Team mit großen Sprintern hat man sich in den vergangenen Jahren zur Rundfahrten-Mannschaft entwickelt. Der Girosieg mit Tom Dumoulin 2017 war sicher einer der größten Erfolge des Teams. Damals, 2017, lief es richtig gut, obwohl die Top-Fahrer John Degenkolb und Marcel Kittel das Team verlassen hatten. Es rückten Warren Barguil und Tom Dumoulin in die erste Reihe und bescherten dem Team große Siege und viel Anerkennung. „Die Ergebnisse die wir eingefahren haben, sind besser, als wir als Team sind. Das ist eigentlich das größte Kompliment was man machen kann. Klar, wir sind eine gute Mannschaft, aber die Erfolge sind noch besser“, sagte Teamchef Iwan Spekenbrink im CyclingMagazine-Interview im Oktober 2017

Die großen Stars verließen das Team stets nach großen Erfolgen. Degenkolb, Kittel, Barguil und nun auch Dumoulin. Sicher waren die Wechsel der Stars auch eine Frage des Budgets, aber vielleicht nicht nur. Fakt ist, dass früher die Abgänge stets kompensiert werden konnten, doch zuletzt gelang das eher weniger. 

Bei Sunweb stellt man das Team stets über den Star, das „Keep Challenging“ Mantra prägt die Wahrnehmung. Man hat eine klare Philosophie, der sich alle unterordnen müssen. Nicht immer passen Fahrer und Mannschaft zusammen, und nicht immer sind die Fahrer über Jahre bereit, der Teamphilosophie bedingungslos zu folgen

 

Im Umbruch stecken geblieben?

Schon 2018 waren die Veränderungen des Teams klar zu erkennen. Denn es verließen nicht nur wichtige Fahrer das Team, sondern auch feste Stützen der Mannschaft. Simon Geschke ließ man einfach so ziehen, die Trainer Adriaan Helmantel und Morten Bennekou gingen, der langjährige Pressemann Bennie Ceulen verabschiedete sich in den wohl verdienten Ruhestand und mit Tom Stamsnijder und Laurens ten Dam gingen erfahrene Recken.

Diese Entwicklung hinterließ Spuren und der Wandel setzt sich fort. Die Sportlichen Leiter Arthur van Dongen und Aike Visbeek verlassen ebenso wie Logistik-Managerin Konstanze Haue das Team. Wissenschaftler Teun van Erp und weitere Mitarbeiter wechseln. Auch Dumoulins Trainer Hendrik Werner muss man ziehen lassen. Roy Curvers beendet seine Karriere und wird im Rennen fehlen, bleibt dem Team aber anderweitig erhalten. Hingegen verlässt der langjährige „Capitaine de la Route“ Johannes Fröhlinger nach seinem Karriereende das Team. Auch Fröhlinger war ein wichtiger Baustein im sensiblen Gefüge und vor allem wegen seiner Persönlichkeit von Bedeutung für das Team. Überraschend lässt man auch Lennard Kämna gehen, den man vor Jahren noch als potenzielles Rundfahrt-Talent sah.

Das Team steckt von außen betrachtet in einem Veränderungsprozess, dessen Ergebnis noch nicht erkennbar ist. Man hat innovativ und nachhaltig in die Zukunft investiert, weiß einen langfristigen Partner an der Seite und hält an der Philosophie fest. Die Erfolge der Vergangenheit und die Entwicklung des Teams geben Spekenbrink und seiner Arbeitsweise Recht. Doch man sollte schnell wieder in die Erfolgsspur zurückkehren, damit aus den zwei weniger erfolgreichen Jahren kein Trend wird.

 

Benoot und Talente kommen, „Bling“ bleibt

Mit der Verpflichtung von Tiesj Benoot hat man einen sehr starken Klassikerfahrer ins Team geholt, dessen Qualitäten über die flämischen Rennen weit hinausgehen. Benoot kann fast alles, außer sprinten und zählte schon vor Jahren zu den Top-Talenten im Radsport. Neben dem Belgier wurden mit Jasha Sütterlin und Nico Denz Fahrer geholt, die bereits einige Erfahrung haben. Dazu kommen gleich sieben Neo-Profis ins Team. Drei davon aus dem eigenen Development-Team, darunter auch der Deutsche Martin Salmon.

 

Gefährliches Spiel

Schaut man sich den Kader für die Saison 2020 an, wird die extreme Ausrichtung auf junge Fahrer deutlich. 14 Fahrer, also fast die Hälfte der 29 Profis, sind 23 Jahre alt oder jünger. Nur drei Fahrer sind älter als Nikias Arndt, der Mitte November sein 28. Lebensjahr vollendete. Mit dem Fokus auf junge Fahrer war man in der Vergangenheit erfolgreich, doch so krass wie aktuell hatte man sich wohl zuvor nicht auf junge Talente gestützt. Es bringt große Chancen für die jungen Profis, birgt aber auch Risiken. Denn sollten erneut die etablierten Kapitäne durch Pech ausfallen, fehlt es an Erfahrung. Nikias Arndt ist ein herausragender Road Captain, aber für ein World-Tour-Team ist der Rennkalender stets enorm voll und selbst er braucht Pausen. 

Ivan Spekenbrink ist ein sehr intelligenter Mann, erfahren, fleißig und folgt stets seiner Vision und Idee. Diese hat ihm große Erfolge und viel Ansehen beschert. Im aktuellen Kader schlummert sicher viel Talent und Potenzial. Gelingt es, dieses zu erwecken und das „neue“ Team zu einer Einheit zu formen, werden sich die Erfolge sicher einstellen. Zünden die Talente nicht und bleibt man im Umbruch stecken, wird man viel Kritik einstecken müssen. Es steht dem Team ein spannendes Jahr bevor. Eine Prognose fällt extrem schwer.


Saisonbilanz der Teams 2019 – alle Folgen:

Folge 1 | Deceuninck-QuickStep – weiter Weltspitze

Folge 2 | Bora-hansgrohe – auch ohne Sagan Weltklasse

Folge 3 | Jumbo-Visma – die neue Macht

Folge 4 | UAE – gelungene Transferpolitik

Folge 5 | Astana – konstant stark

Folge 6 | Ineos – Doppelsieg bei der Tour = erfolgreiche Saison

Folge 7 | Movistar – Girosieg & Seifenopern

Folge 8 | Mitchelton-Scott – ohne top GC-Resultat dennoch erfolgreich

Folge 9 | Lotto-Soudal – auf die Kapitäne ist Verlass

Folge 10 | Trek-Segafredo – Licht und Schatten

Folge 11 |  EF Education First – ein großer Sprung nach vorn

Folge 12 | Groupama-FDJ – eine ordentliche Saison  

Folge 13 | Bahrain-Merida – ein Schritt in die falsche Richtung

Folge 14 | Saison 2019: Die Bilanz der WorldTour-Teams | AG2R – zu wenig Siege

Folge 15 | Saison 2019: Die Bilanz der WorldTour-Teams | Team Sunweb – im Umbruch stecken geblieben?