Nach dem katastrophalen Jahr 2018 sollte endlich alles besser werden. Doch es wurde noch schlimmer. Viel schlimmer. Am Ende des Jahres löst sich das Team auf und die World-Tour-Lizenz wechselt zum Team Israel Cycling. Stand jetzt, denn die UCI muss den Vorgang noch offiziell bestätigen.
Dass man das Ende eines Teams als Erlösung einstuft, passiert im Radsport nicht sehr oft. Von außen betrachtet, gab es bei Katusha keine Hoffnung mehr, das Ruder rumreißen zu können. Es war kein Team mehr, so schien es, sondern eine Gruppe vom Einzelkämpfern. Auch wenn die Stimmung zwischen den Sportlern und auch in Teilen des Personals gestimmt haben mag, von außen wirkte es wie ein Liebespaar, dem die Gefühle verloren gegangen sind und beide genau wissen, dass die Beziehung auf das Ende zusteuert.
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Die falschen Veränderungen?
Ob nach dem katastrophalen Jahr 2018 bereits vor der Saison alles verloren war, ist schwer zu beurteilen. Bei Katusha-Alpecin glaubte man im Winter noch, die Problemstellen erkannt zu haben. Der sehr erfahrene Sportliche Leiter Torsten Schmidt musste das Team verlassen und auch der recht neue Team-Trainer musste gehen und wurde ersetzt. Das Tuch zwischen Konyshev und Kittel war nach dem Zwischenfall bei der Tour de France 2018 ohnehin zerschnitten, dass man ihre Einsätze so plante, dass es keine Überscheidungen gab – keine gute Voraussetzung für ein harmonisches Teamgefüge.
Ins Team geholt wurde Erik Zabel als Performance Manager. Dass sich der Altstar nach einigen Jahren außerhalb von Radteams erst an die neuen Voraussetzungen und (Trainings)Gepflogenheiten gewöhnen musste, überraschte nicht. Als eine der wichtigsten Verpflichtungen galt der Sportliche Leiter und Klassikerfuchs Dirk Demol.
Einzeln betrachtet nachvollziehbare Verpflichtungen, die aber keinen grundsätzlichen Umschwung brachten, weil die Probleme wohl eher an anderen Stellen lagen, als an der sportlichen Leitung oder dem Trainerteam. Zumal man bedenken muss, dass der entlassene Trainer weiter Nils Politt betreute, der mit Abstand der beste Fahrer der Saison war.
Die Führungsetage schien bereits 2018 überfordert mit den selbst geschaffenen Baustellen und vermochte es auch in dieser Saison nicht, den wankende Dickschiff auf Kurs zu bringen.
Ohne Politt nix zu holen
Rang zwei bei Paris-Roubaix, Platz fünf bei der Ronde, dazu weitere Top-Resultate – schaut man in die Ergebnisliste, kann sich das Frühjahr sehen lassen. Doch die guten Ergebnisse gehen fast alle auf das Konto von Nils Politt. Neben Politt zeigte auch Marco Haller ansprechende Leistungen, doch es waren Einzelleistungen und weniger Teamwork. Man hatte bereits im Frühjahr das Gefühl, dass jeder im Team für sich fährt, als sich voll ins Team einzubringen. Ein Eindruck, den nahezu die gesamte Mannschaft vermittelte – vielleicht am offensichtlichsten beim Etappenrennen Paris-Nizza.
Das kurze Hoch nach Kittels Sieg bei der Mallorca-Challenge zu Beginn der Saison hielt nicht lange an. Ob Ilnur Zakarin oder Nathan Haas – keiner der möglichen Top-Fahrer neben Politt konnte wirklich überzeugen. Woran es genau lag, mag man von außen schwer beurteilen, aber es scheint sicher, dass beispielsweise der Abschied von Zakarin früh fest stand.
Kittels Karriereende und Hickhack während der Tour
Die Vertragsauflösung mit Marcel Kittel kam für Insider wenig überraschend. Als dann die ersten Gerüchte die Runde machten, dass sowohl Alpecin als auch Canyon die Zusammenarbeit mit dem Team beenden würden, machte sich Unsicherheit breit. Die Teamleitung zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und machte intern zwar Hoffnung auf einen Fortbestand, doch Zweifel blieben.
Dass man nach dem katastrophalen Jahr 2018 und den offensichtlichen Problemen keine neuen Sponsoren begeistern konnte, überrascht nicht.
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Man arbeite daran, den Fortbestand des Teams zu sichern, hieß es weiter aus der Teamleitung. Doch nicht wenige vermuteten bereits kurz nach der Tour, dass es nur noch darum ging, die Lizenz bestmöglich weiterzugeben. Über die Hintergründe schweigt man sich aus, doch immer mal wieder dringen Infos an die Öffentlichkeit. So beklagten Fahrer und Mitarbeiter des Teams, die über Verträge für 2020 verfügten, eine mangelhafte Informationspolitik.
Chance für die Fahrer
Nun ist das Ende eines sehr erfolgreichen Teams besiegelt. Für Fahrer wie Nils Politt ist die Lizenzübernahme durch die Israel Cycling Academy vielleicht sogar eine Chance. Klar, das noch sehr junge Team hat noch keinen herausragenden Ruf, aber man arbeitet daran. Mit Factor hat man einen guten Radausrüster und der Kader für 2020 nimmt auch Formen an. Speziell für Politt ist die Verpflichtung von Trainingspartner André Greipel sehr wertvoll. Denn der „Gorilla“ ist sehr erfahren, stark bei den Klassikern und nach dem unglücklichen Jahr 2018 bei Arkea-Samsic sicher neu motiviert.
Man darf gespannt sein, wie schnell es bei Israel Cycling Academy dauert, eine Einheit zu formen. Gelingt dies zügig, könnte es eine erfolgreiche Saison werden. Denn der Kader ist durchaus breit und stark.
Allen Mitarbeitern von Katusha wünscht man, dass in ihrer Erinnerung nicht nur die letzten 2-3 Jahre hängen bleiben, sondern auch die großen Erfolge mit Purito Rodriguez und Alex Kristoff.