Yuriy UAE Tour

Zwei Wochen hat Yuriy Belezeko in der vierten Etage des Hotels Yas Marina verbracht. Erst nach der 14-tägigen Quarantäne durfte er das Land verlassen. Mehrere Personen aus dem Tross der UAE Tour waren positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Sie waren auf der gleichen Etage des Hotels untergebracht wie Yuriy Belezeko, der Pressesprecher des Teams Gazprom-Rusvelo. Noch heute sind Mitarbeiter seines Teams im Krankenhaus in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Belezeko ist Russe, arbeitet aber, wenn er nicht mit dem Team unterwegs ist, vor allem von Italien aus. Nach der Quarantäne in den Emiraten ist er nicht nach Hause, sondern direkt in die Tschechische Republik geflogen, um bei seiner Frau sein zu können. Keinen Tag zu früh, denn direkt nach seiner Ankunft wurden die Grenzen der Tschechischen Republik geschlossen. Yuriy arbeitet nun von Prag aus und erzählt uns von der „verrückten Zeit“.

Kein Witz

Yuriy Belezeko ist ein zurückhaltender, aber freundlicher junger Mann. Mit dem Gazprom-Rusvelo-Team war er bereits bei vielen Rennen, auch in Deutschland. Für das russische ProConti-Team sind vor allem die großen Rennen bedeutend. „Wir hatten uns viel für die UAE-Tour vorgenommen und es lief auch ganz gut“, erzählt Yuriy. Nikolay Cherkasov fuhr zwischenzeitlich im Weißen Trikot des besten Nachwuchsfahrers und auch der Rest des Teams hatte für Achtungserfolge gesorgt. „Alles war gut, bis mich nachts mein Telefon weckte.“

Noch alles ok – Yuriy unterwegs im Teamfahrzeug

Der gesamte Tross der Rundfahrt war gerade nach Abu Dhabi verlegt worden und hatte das Yas Marina Hotel direkt an der Autorennstrecke bezogen. Sein Telefon klingelte Sturm und völlig verschlafen ging er mitten in der Nacht ran. „Da war eine russische Journalistin dran, die mich fragte, wie denn die Situation sei. Ich verstand erstmal überhaupt nichts“, erzählt Belezeko. Das änderte sich schnell. Er las die Nachrichten auf seinem Telefon und begriff so langsam, was vor sich ging.
„So gegen 4 Uhr morgens wurden wir dann alle von den Zimmern geholt und getestet. Das war eine sehr eigenartige Situation, denn alle Personen, die die Tests durchführten, trugen Schutzanzüge und wir mussten Abstand halten. Wir haben zunächst noch Witze gemacht“, sagt Yuriy. Doch das änderte sich schnell.
Nach dem Test musste 48 Stunden gewartet werden. Das Rennen war von der Organisation vorzeitig abgebrochen worden. Noch am ersten Tag gingen alle gemeinsam ins Restaurant und scherzten. „Es ist ein tolles Hotel, mit Schwimmbad und gutem Buffet, zunächst war das alles kein Problem“. Doch dann wurden Masken ausgeteilt und alle sollten auf ihren Zimmern bleiben. Nach drei Tagen konnten viele Teams das Hotel verlassen und nach Hause fliegen. Doch nicht die Mannschaften, die auf der 4. Etage waren. 

Ein mulmiges Gefühl

Es gibt witzige Videos über diese Zeit, wie beispielsweise Ramon Sinkeldam eine Playstation ins Hotel geschmuggelt bekam. Andere machten lustige Insta-Storys. „Das Hotelmanagement und Personal hat das sehr gut gemacht und ist professionell mit der Situation umgegangen„, aber diese Zeit ist nicht nur mit lustigen Geschichten verknüpft. Denn neben dem beklemmenden Gefühl, für ungewisse Zeit in einem Hotelzimmer eingesperrt zu sein, gab es weitere Erlebnisse. So wurden in der 4. Etage die Knöpfe für die Aufzüge abgeschaltet. Zudem wurden die Betroffenen zwar oft getestet, bekamen aber nie ein offizielles Ergebnis gezeigt. 

Abgeriegelt – Etage 4 des Teamhotels bei der UAE Tour

„Ich habe insgesamt bestimmt fünf Tests in den zwei Wochen im Hotel gemacht. An einem Tag sagten sie, bei mir sei alles ok, aber mein Kollege müsse mit ins Krankenhaus kommen. Das ist schon ein Moment von Unbehagen, wenn die Person, die einen Meter von dir entfernt steht, plötzlich einfach abgeholt wird“, sagt Yuriy.

Noch immer im Krankenhaus

Die russische Botschaft rief dazu auf, den Ansagen der Ärzte und Behörden vor Ort zu folgen. „Aber es ist kein schönes Gefühl, wenn du weisst, dass dieser Mechaniker, Mitte 50, der so gut wie kein Englisch spricht, nun allein ins Krankenhaus muss“.

Igor Boev (© BettiniPhoto)

Noch immer ist dieser Mechaniker in den Arabischen Emiraten im Krankenhaus. Unterdessen mehr als 20 Tage. Der Fahrer Igor Boev (Foto ganz oben) sogar noch länger, er war mit Fiebersymptomen im Rennen direkt ins Krankenhaus gebracht worden. „Das ist eine lange Zeit, die sie nun im Krankenhaus sind. Isoliert, in einem Zimmer ohne Fenster“, erzählt Yuriy ruhig, aber bestimmt.

Verbundenheit

Über eine Chat-Gruppe steht das gesamte Gazprom-Rusvelo-Team in Kontakt mit den Fahrern und Teammitgliedern im Krankenhaus in Arabien. „Jeden Tag werden Nachrichten geschickt, auch von unserem General Manager. Es geht allen gut, das ist das Wichtigste. Aber wir hoffen, dass auch sie bald nach Hause können. Angeblich müssen mehrere Tests in einer bestimmten Zeit negativ sein, bevor man gehen darf. Wir arbeiten nun schon daran, wie wir die Jungs nach der Entlassung nach Hause bringen können, denn in den Arabischen Emiraten sind alle Flughäfen dicht“, erzählt Yuriy. Im Moment ist das ganze Team über viele Länder verstreut, aber mental sind wir verbunden„.

Kölner Ehrengäste

Im Hotel an der Autorennstrecke im Emirat war auch eine Familie aus Deutschland. „Sie waren eigentlich nur für zwei Tage da, aber hatten ausgerechnet ihre Zimmer in der 4. Etage“, sagte Yuriy. „Nun mussten sie wegen uns Radsportlern auch in Quarantäne bleiben. Da mussten wir uns etwas überlegen, wie wir und entschuldigen können. Ich habe sie dann eingeladen, Ehrengäste unseres Teams zu sein, wenn in ihrer Heimatstadt Köln das Radrennen stattfindet. Dann sehen sie, dass man in Verbindung mit dem Radsport auch schöne Erlebnisse haben kann“ erzählt Belezeko.

Eine weiterhin unbegreifliche Situation

Doch ob Rund um Köln stattfinden kann, ist noch offen. In Deutschland, wie auch in einigen anderen europäischen Ländern, ist das öffentliche Leben aktuell komplett runtergefahren, an Radrennen ist nicht zu denken. Von Prag aus hat Yuriy aber auch Kontakt mit Fahrern des Teams, die in Russland leben. „Dort wird noch ganz normal trainiert, es gibt bislang wohl kaum einschränkende Maßnahmen. Und wenn ich sehe, was in Italien los ist, das ist ein krasser Gegensatz“.
Das Team Gazprom-Rusvelo hat wegen der vielen westeuropäischen Rennen einen Sitz in Italien. Doch der „Service Courseist derzeit geschlossen. „Man darf schon danach schauen, dass alles ok ist, aber normal arbeiten kann man dort gerade nicht. Deshalb ist es auch gut, dass ich in Prag bin“.
Die Fahrer des Teams, die in Italien leben, könnten derzeit von einigen Ausnahmeregeln profitieren. Denn eigentlich ist das Fahren auf der Straße verboten und wird streng kontrolliert, doch wer eine gültige Profi-Lizenz vorzeigt, darf weiterfahren. Aber um keine Verletzungen durch Stürze zu riskieren, die dann dringend anderweitig benötigte Krankenhauskräfte binden würden, trainieren die Fahrer dennoch auf der Rolle.

Eine lehrreiche Zeit

„Das war eine verrückte Erfahrung für mich“, sagt Yuriy über die Zeit bei der UAE-Tour. Mehr als 12 Stunden Aktivität pro Tag wies sein Smartphone aus. „Das war sehr lehrreich, auch wenn ich extrem viel gearbeitet habe. War ein Anruf beendet, klingelte schon wieder das Telefon und der nächste Journalist war dran“, sagt Yuriy.
Neben den vielen Erfahrungen, die er gesammelt hat, sieht er auch positive Effekte der Krise. „Wir als Team sind ganz sicher enger zusammengewachsen und es gibt eine große Solidarität. Man muss die Situation nehmen, wie sie ist und versuchen das Beste daraus zu machen“, ist sich Yuriy sicher.

Freude zum Auftakt der UAE Tour – Yuriy (links) mit Nikolay Cherkasov

Dafür hat er ein gutes Beispiel. „Als ich mit Nikolay Cherkasov nach der zweiten Etappe bei der Siegerehrung war, und einige Journalisten ihn interviewen wollten, musste ich für Nikolay übersetzen. Jetzt, wo es keine Rennen gibt, nutzt er die Zeit und lernt Englisch„. 
Das Rennen Rund um Köln ist für den 14. Juni geplant und aktuell noch nicht offiziell abgesagt. „Ich hoffe, dass es stattfinden kann, schon allein deshalb, dass ich unsere versprochene Einladung einlösen kann. Aber wenn es nicht geht, dann müssen wir es akzeptieren. Es gibt gerade Wichtigeres, als Radsport.“