Team Gazprom RusVelo (Foto: Marcel Hilger)

Dreigleisige Rennprogramme, ausgiebige Trainingslager, umfangreiche Materialtests: Während WorldTour Mannschaften wie Ineos oder Jumbo-Visma mit großen finanziellen Mitteln gesegnet sind, backen die ProContinental-Teams kleinere Brötchen. Sind umso mehr bemüht, die Ressourcen bestmöglich einzusetzen.
„Es gibt immer etwas zu verbessern“, lautet das Credo von Renat Khamidulin, Manager des russischen ProContinental-Teams Gazprom-RusVelo. “Weiterentwicklung ist in jedem Business wichtig. Im Sport musst du dich permanent verbessern und dir ständig neue Ziele setzen. Jeder kämpft um den Sieg und den Aufstieg in die höchste Liga.“
Im Radsport ist diese höchste Liga die WorldTour. Doch wo Spitzenteams wie Ineos oder Jumbo-Visma über finanzielle Mittel verfügen, um eine umfangreiche Infrastruktur zu unterhalten, setzt man bei Gazprom-RusVelo stattdessen auf die Qualität des Vorhandenen. „Natürlich kann man vergleichen, wer den größeren Fuhrpark hat – aber die organisatorischen Prozesse sind letztlich viel entscheidender“, verrät Khamidulin. „Wie arbeiten die Büros miteinander? Wie gut kommunizieren die Sportlichen Leiter? In diesen Bereichen bewegen wir uns auf höchstem Level. Das kann man nicht mit Geld kaufen.“

Renat Khamidulin, Team Manager Gazprom-RusVelo (Foto: ©BettiniPhoto)

Menschlichkeit und Miteinander werden bei Gazprom-RusVelo großgeschrieben. Auch wenn dies nicht immer einfach ist. „Wir unterscheiden uns von der WorldTour, indem wir einen sehr familiären Ansatz pflegen“, sagt Khamidulin und liefert zugleich einen Beweis: „Neue Teammitglieder, die aus anderen Mannschaften kommen, bestätigen uns das immer wieder. Für uns steht die persönliche Unterstützung an oberster Stelle. Ein Großteil unseres Personals besteht aus Nicht-EU-Bürgern, deshalb ist es nicht immer einfach, in Europa zu reisen und Rennen zu fahren. Darum unterstützen wir uns gegenseitig.“
Teamwork (Foto: ©Eugene Petrushanskiy)

Zweigleisiges Rennprogramm

Vor allem die Rennplanung sieht in der zweiten Division des Radsports gänzlich anders aus als in der WorldTour, wo Mannschaften oftmals an drei Rennen gleichzeitig teilnehmen. „Wir fahren ein zweigleisiges Rennprogramm, teilweise sogar zeitlich überschneidend“, erklärt Khamidulin, dessen Team 20 Fahrer umfasst – bestehend aus 14 Russen, fünf Italienern und einem Kasachen.
„Das Budget ist dabei kein limitierender Faktor. Wir kalkulieren unsere Ausgaben so, dass wir die Zahl an Rennen fahren können, die wir fahren wollen.“ Doch während die 19 WorldTour-Teams zu Starts bei WorldTour-Rennen quasi verpflichtet sind, kämpfen kleinere Teams darum, eine begehrte Wildcard für die großen Rundfahrten oder Klassiker zu bekommen. „Beides hat sein Für und Wider: In der WorldTour musst du an den Rennen teilnehmen, wir hingegen müssen um Einladungen kämpfen“, sagt Khamidulin.
Der finale Rennkalender eines ProContinental-Rennstalls hängt von verschiedenen Parametern ab und wird in mehreren Schritten konkretisiert. „Zunächst wollen wir natürlich den Interessen unserer Sponsoren gerecht werden“, erklärt Khamidulin die Herangehensweise seines Teams. „Für unseren Namensgeber, die Gazprom Germania GmbH, spielen die deutschen Rennen wie Eschborn-Frankfurt, Hamburg und die Deutschland Tour eine große Rolle. Das sind unsere Fixpunkte, um die herum wir unsere weiteren Einsätze planen. Dann schauen wir, an welchen WorldTour-Rennen wir teilnehmen können. Auch ein Grand-Tour-Start reizt uns sehr, zum Beispiel der Giro d‘Italia.“ Dort nahm das Team 2017 teil und sammelte dabei die meisten Kilometer in Ausreißergruppen.
 
 

Kampf um Wildcards

Neben der sportlichen Relevanz hebt Khamidulin hervor, dass ein guter Draht zu den Rennveranstaltern besonders wertvoll für den Erhalt einer Wildcard ist: „Es hilft immer, wenn man sich menschlich gut versteht. Du musst dich als zuverlässiges und sportlich ambitioniertes Team beweisen, dann wirst du auch eher eingeladen. Es ist wichtig, einen guten Ruf zu haben. Da man aber nie weiß, bei welchem Rennen man eine Wildcard bekommt, ist das nicht einfach zu planen. Sobald wir Gewissheit haben, bestimmen wir die Einsätze unserer Kapitäne und richten entsprechend unsere Trainingscamps aus.“
Gerade die Trainingslager sind ein großer Kostenpunkt im Budget, welches bei den ProContinental-Teams grundsätzlich bescheidener ausfällt als in der WorldTour. Dennoch betrachtet man bei Gazprom-RusVelo diese Camps als sinnvolle Investition, um sich gezielt auf die Renneinsätze vorzubereiten. „Bei Trainingslagern spielt für uns die Verfügbarkeit der richtigen Strecken eine große Rolle“, sagt Khamidulin. „Wenn wir für bergige Rennen trainieren, müssen entsprechende Anstiege vorhanden sein. In Vorbereitung auf ein Mannschaftszeitfahren ist eine Automobilrennstrecke wie in Monza ideal. Dazu müssen die Lebensbedingungen für die Fahrer stimmen, damit sie sich im Camp wohlfühlen und das richtige Essen bekommen. Dafür ist die Kommunikation mit dem Hotel enorm wichtig.“
Neben den Trainingslagern ist die Optimierung des Materials ein zweiter wichtiger Baustein für den Erfolg von Gazprom-RusVelo. Entsprechend werden auch dafür Ressourcen geplant, wenn auch dezenter als in der WorldTour. „Die Fahrer werden mit einbezogen. Wir sammeln ihre Meinung, konsultieren aber auch Spezialisten, um das Material weiterzuentwickeln. Wir waren zum Beispiel in Großbritannien in einem Windkanal und haben dort die Sitzpositionen unserer Fahrer optimiert.“

Königsdisziplin – Kampf gegen die Uhr (Foto: ©BettiniPhoto)

Auch wenn Khamidulin sein Team logistisch durchaus auf Augenhöhe mit einigen WorldTour-Teams sieht, hat der Gazprom-RusVelo-Manager klare Vorstellungen, wie er seine Mannschaft mit einem größeren Budget weiter voranbringen möchte: „Ich würde unser Personal und unsere Fahrer zusätzlich ausbilden lassen. Ich würde Spezialisten engagieren, die das Team auf ihrem jeweiligen Fachgebiet vorantreiben. Außerdem würde ich in unsere Teambasis in Lonato am Gardasee investieren und die Dauer der Trainingslager ausweiten.“
(Titelbild: ©Marcel Hilger)