Eigentlich sollte Florian Stork gerade in Ungarn sein – zum Start seiner ersten Grand Tour. Doch die Corona-Pandemie hat dem jungen Deutschen einen Strich durch die Giro-Rechnung gemacht. Stork trainiert derzeit in seiner westfälischen Heimat. Seine Saisonpläne für 2020 muss er, wie der Rest der Profis, komplett neu aufsetzen. Damit hat der 23-Jährige aber bereits Erfahrung, denn auch im vergangenen Jahr musste er im Frühjahr neu planen.
Neo bei Sunweb
Eigentlich war Stork 2019 im U23-Team Sunweb in die Saison gestartet. Doch im Frühjahr war er dann plötzlich mittendrin, im Profizirkus. Nachdem sich mehrere Sunweb-Profis verletzt hatten, wurde Stork für die flämischen Klassiker nachnominiert. Ausgerechnet die Pflaster-Rennen – gar nicht sein Terrain. Stork ist locker 1:80 m groß und wiegt keine 70 kg. Eher Typ Rundfahrer und Kletterer. „Es war schon der Sprung ins kalte Wasser„, sagt Stork mit einem Lächeln und einigen Monaten Abstand.
„Die Klassiker sind schon eine komplett andere Welt und ich glaube, ich hatte zuvor noch nie so viele Zuschauer gesehen.“ DePanne, E3-Prijs, Gent-Wevelgem – das harte Klassikerprogramm. Vor allem Gent-Wevelgem, das durch den heftigen Wind zu einem brutal harten Rennen wurde. „Ich habe einfach versucht meinen Job zu machen – habe versucht in die Gruppen zu gehen. Das war bei diesen Rennen für mich eher eine dankbare Aufgabe, denn der Positionskampf vor den Schlüsselstellen ist im Feld schon sehr krass“, sagt Stork.
Dass er als „Plötzlich-Neo“ und Rundfahrer keine große Liebe zu diesen Rennen entwickelt hat, verwundert nicht. Aber eine wichtige Erfahrung. „Ich kann mich erinnern, dass ich beim E3-Prijs in einer Situation ganz weit hinten war und Philippe Gilbert direkt vor mir. Ich dachte, was macht der denn hier? Direkt danach habe ich alles versucht um irgendwie noch einmal nach vorn zu kommen, aber vergeblich. Gilbert wurde am Ende Elfter“, erzählt Stork.
Talent über dem Durchschnitt
Auch wenn der Start in die WorldTour überraschend kam, war der Weg zu den Profis vorgezeichnet. Stork hat in der U23-Klasse sein Talent bewiesen, auch wenn er nicht der Überflieger war. Mit Rang fünf bei der schweren Tour Alsace kann man sich durchaus sehen lassen. „Ich würde sagen, mein Talent liegt über dem Durchschnitt, aber ich muss dennoch hart arbeiten. Ich bin sicher kein Ausnahmetalent„, sagt der Westfale.
In den Nachwuchsklassen wurde Stork von Robert Pawlowsky trainiert, der darauf achtete, dass er nicht zu früh, zu viel macht. „Ich war eher etwas hinten dran, als dass ich zu viel gemacht hätte“, sagt Stork über seine Entwicklung. Seit er 2017 zum Development Team der Sunweb Equipe kam, wird er von Sebastian Deckert betreut. Er entwickelte sich stetig und war mit knapp 22-Jahren bereit für die WorldTour.
Germanist
Florian Stork ist niemand, der sofort im Mittelpunkt steht. Er wirkt auf den ersten Blick eher ruhig und zurückhaltend. Gegenüber Journalisten kommt keine unbedachte Bemerkung und seine Ausführungen sind eher von Bescheidenheit geprägt, als dem Versuch zu gefallen. Im Gespräch merkt man schnell, dass man es mit einem intelligenten jungen Mann zu tun hat.
Stork hat Germanistik in Köln studiert, bevor er nun Profi wurde. Doch genau so schnell, wie man seinen Intellekt bemerkt, so schnell merkt man auch, dass der Radsport sein Leben ist. Es passt zu ihm, dass er beim Treffen im Winter berichtet, zuletzt „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse gelesen zu haben, im Anschluss aber direkt das Buch von Jan Frodeno.
Stork weiß, wie es wirkt, wenn man Journalisten sagt, dass man Hesse liest, aber er weiß auch, dass Radfahren manchmal einfach Radfahren ist. Ein kluger Kopf, der gar nicht erst versucht eine Rolle zu spielen – so der Eindruck, wenn er nach und nach seine Zurückhaltung ablegt.
Potenzial
Stork hat den Sprung zu den Profis gut gemeistert. In seiner ersten Saison kam er auf 63 Renntage und fuhr von März bis Ende Oktober Rennen. Wenn auch mit Pausen, es war eine lange Saison. „Der Sprung von der U23 ist doch sehr groß. Wenn man bei der Baskenland-Rundfahrt schaut, wie viel Watt man da treten muss, da wäre in der U23 schon ein sehr erlesenes Grüppchen unterwegs – bei der Baskenland ist noch kein einziger Fahrer abgefallen“, erklärt er anschaulich.
Über seine Ziele spricht er zurückhaltend. Er will sich verbessern, jedes Jahr. Schaut man auf seine Voraussetzungen, würde man ihn als potenziellen Rundfahrer einsortieren. „Man muss sehen, wofür es reicht“, sagt Stork und spricht sofort von einer Rolle als Helfer. Dass er nicht ausspricht, wovon er vielleicht insgeheim träumt, macht ihn eher sympathisch.
Bestätigung
Er hat große Fortschritte gemacht und sich gleich bei der großen Dauphine Bestätigung geholt. „Ich hatte ziemlich Respekt vor der Dauphine. Ich wusste, dass es ein Vorbereitungsrennen auf die Tour de France ist und dementsprechend hatte ich die Top-Jungs dort auch in super Form erwartet“, erzählt Stork. „Wir bei Sunweb hatten eher eine lockere Herangehensweise. Tom Dumoulin kam nach der Verletzung vom Giro zurück und auch Martijn Tusveld und Rob Power stiegen nach Verletzungspausen wieder ein“. Kein Druck, und gleich eine Chance, sich zu zeigen.
„Es gab direkt zum Auftakt eine hügelige Etappe und im Finale zwei Mal einen 10-Minuten-Berg. Beim zweiten Mal war richtig Radrennen und ich habe zu meiner Überraschung überlebt“, beschreibt er die Situation, in der er mit der ersten Gruppe ins Finale ging. „Tom Dumoulin hat mich dann motiviert reinzuhalten und ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet„, so Stork. Er hat sein Bestes gegeben und auch wenn er schon ziemlich fertig war, reichte es für die Top20 – ein ordentliches Ergebnis. „Im Rennen war ich komplett im Tunnel, aber im Hotel am Abend habe ich dann schon gedacht: träum ich grad, oder ist das wirklich passiert?“.
Entwicklung
Stork hat sich weiterentwickelt, kann das auch aus den Zahlen vom Training ablesen. Er hat in seiner ersten Profi-Saison versucht, alles aufzusaugen. Hat viel mit Johannes Fröhlinger gesprochen, sich Tipps von Max Walscheid geholt und hart an sich gearbeitet. Um sich als Sportler weiterzuentwickeln, braucht er aber auch die Abwechslung. Den Kopf freimachen – weg vom Radsport sein.
„Bei uns zu Hause sprechen wir wenig über den Radsport“, sagt Stork. Man kann es kaum glauben, ist sein Vater doch Vorstand im heimischen Radclub. Doch vielleicht spielt dabei eine Rolle, dass Stork direkt mit 18 von zu Hause auszog. Es wirkt, als hätte er die für ihn nötige Balance gefunden, die so wichtig ist, um den nächsten Schritt zu machen.
Auch wenn das Winter-Training in der Vorbereitung nicht perfekt war, lief es beim Saisonstart bei der Tour Down Under wirklich gut. „Ich wusste vorher nicht so genau, wo ich stehe, aber gleich beim ersten schweren Finish in Sterling habe ich gemerkt, dass die Form gut ist“. Mit Rob Power kämpfte die junge Sunweb-Truppe lange um einen Podestplatz. „Wir hatten wirklich eine gute Stimmung und ich war Helfer, konnte aber dennoch ganz gut mithalten.“ Doch nach dem guten Auftakt folgte die Vollbremsung, wegen des Corona-Virus.
Florian Stork will sich bei den Profis etablieren und herausfinden, wo seine Grenzen liegen. So eng wie der neue Rennplan der UCI im Herbst ist, dürfte er einen Start bei einer Grand Tour fast sicher haben. Wenn die Situation der Pandemie dann Rennen zulässt. „Ich wünsche mir, dass es so schnell wie möglich losgehen kann – ich wäre auf jeden Fall bereit!“