Die Biografie des ehemaligen Radsportlers und Sportlichen Leiters Rudy Pevenage ist Anfang des Jahres erschienen und nun seit 10. Juni auch auf Deutsch verfügbar.
Rudy Pevenage war über viele Jahre eine schillernde Figur des Radsports. Er trug einige Tage das Gelbe Trikot und gewann Grün bei der Tour de France. Nach seiner langen Profi-Karriere wurde er Sportlicher Leiter und wurde hierzulande als Mentor, Betreuer und Komplize Jan Ullrichs bekannt.
Leben in der Radsport-Blase
Wer bei Pevenages Biografie auf ein Enthüllungsbuch in Sachen Doping hofft, wird enttäuscht. Aber dieses Buch zeichnet die Biografie eines Mannes, der sein Leben in der Welt des Radsports verbrachte. Vom jungen Talent, dass es mit viel Fleiß, unbedingtem Willen und viel Verzicht zum Profi schaffte. Über den Profi, der sowohl das grelle Licht des Ruhms, als auch die dunklen Schattenseiten samt Doping und Rennabsprachen erlebte. Über den Sportlichen Leiter, der die Spielregeln dieses Sports kannte und dessen Verbindung zu einigen Sportlern enger war, als es Business-Freundschaften sind.
Am Ende ist es auch ein trauriges Buch über einen Verstoßenen, der aber die Schuld für seine Misere nicht nur bei anderen sucht. Dieses Buch zeichnet ein Radsport-Leben, wie es wohl einige gab, an dessen Schluss das Happy Ende auszubleiben scheint. Krebserkrankung, die Spätfolgen des Dopings und die Einsamkeit werden nicht effekthascherisch breitgetreten, aber auch nicht verschwiegen.
An vielen Stellen lässt Pevenage den Leser im Ungewissen. Ihm geht es nicht um Vorwürfe, späte Rache oder Skandale, aber es ist ihm wichtig zu betonen, dass er das Wissen hätte, für reichlich Wirbel zu sorgen. Er kannte angeblich die Codes der Fuentes-Blutbeutel und hätte „mit einigen guten Anwälten zur Tour fahren können, dann wäre die Frankreich-Rundfahrt in diesem Jahr ausgefallen. Mit meinem Wissen hatte ich das halbe Peloton in der Hand. Ich habe es nicht getan, und bis heute denke ich, dass es die richtige Entscheidung war“, heißt es im Buch. Um Doping geht es nur, weil es eben Teil des Radsports war, so macht es den Eindruck.
Die Realität der 1990er & 2000er
Trotz der engen Klammerung an Jahreszahlen und Ereignisse gelingt es dem Autor Pevenages Haltung zu vermitteln. Pevenage schreibt über die ethische Haltung der Freiburger Dopingärzte, die aus seiner Sicht nie über bestimmte Grenzen hinweggegangen wären, aber leugnet dabei nicht das Unrecht. Wer sich mit der Haltung von Dopern und Team-Managern der 1990er-Jahre bislang wenig auseinandergesetzt hat, kann am Beispiel Pevenages die Haltung der damaligen Zeit nachvollziehen. „Das Peloton im Radsport ist und bleibt eine Herde von Schafen, die von Organisationen geführt wird, bei denen nur Geld zählt“, so die Essenz seiner Erkenntnisse.
Was man Pevenage hoch anrechnen kann: Dieses Buch kommt ohne großspurige Ausführung seiner Heldentaten aus. Selbst seine Tage in Gelb bei der Tour werden nicht heroisch, sondern reflektiert ausgeführt. Pevenage spricht seine Fehler offen an. Er berichtet von seiner Feigheit, Walter Godefroot seinen Abgang offen zu kommunizieren, woraus ein ewiger Streit entbrannte, unter dem auch Pevenage heftig litt.
Er schreibt offen darüber, wie er sich hat in Rennen verarschen lassen, als Absprachen fingiert wurden. Und er schreibt über das entscheidende Einzelzeitfahren der Tour de France 2003, als er sein Handy ausgeschaltet hatte und so die Nachrichten von Ullrichs Teamkollegen verpasste, die in einem Kreisverkehr auf einer Ölspur ausrutschten und Ullrich warnen wollten. Auch der deutsche Radstar stürzte und verlor so die Tour.
Das Tour-Peloton auf Feldbetten im Klassenzimmer
Das Buch klammert sich an die Eckdaten seines Lebens, zeichnet in Kapiteln die Jahre und Abschnitte nach. Das nimmt vor allem zu Beginn etwas den Lesespaß, hilft aber, die Person näher kennenzulernen. Pevenage schreibt über eine Zeit, als das Peloton der Tour de France noch auf Feldbetten in Klassenzimmern schlief. Er schreibt kritisch über die Rolle der Soigneure, über Rennabsprachen, Doping und den Einfluss der Mächtigen im Radsport. Er habe begonnen zu dopen, um seinem Kapitän Giuseppe Sarroni helfen zu können, ohne dies als Ausrede anzuführen. Es gehörte damals dazu, so wie die Spätfolgen heute.
Ullrich, Zabel, Riis & Co
„Jan war eine Maschine, pedalierte sich in seinen Rhythmus und kapselte sich völlig von der Umwelt ab. Er war eins mit dem Fahrrad und mit seinem Ziel. Jan holte viel Kraft aus dem Rücken, besonders wenn es leicht bergauf ging, da konnte ihm niemand das Wasser reichen“, schwärmt er von Jan Ullrich, lässt aber dessen Trainingsschwierigkeiten, Dopingeskapaden und Schwächen nicht unerwähnt.
Er schreibt über Bjarne Riis und Erik Zabel voller Respekt, lobt die Professionalität und vor allem auch den zielstrebigen Charakter Zabels. Dieser „war ein großer Fahrer mit einem Nachteil: Während eines Rennens kannte er nur sich selbst“, heißt es im Buch an einer Stelle. Er schreibt über die angenehme Zeit, die er als ARD-Experte hatte, in Ullrichs Hochzeiten Mitte der 2000er.
Pevenage haut im Buch niemanden in Pfanne, nutzt aber die Chance, Lance Armstrong und dessen Dopingpraktiken zu kritisieren. Die wenigen Zeilen über das Doping von Jan Ullrich hatten bereits mit Erscheinen des Buches in Deutschland für Aufsehen gesorgt. Die doppelwandige Cola-Dose, das Treffen mit Fuentes, der Fehler, der dazu führte, dass die Ermittler seine Handy-Nummer hatten – vielmehr gibt es dazu nicht im Buch. Aber abseits von Ullrich ein paar interessante Einblicke – etwa dass Giovanni Lombardi, heute Fahrer-Agent, damals bei der Razzia beim Giro zunächst geflohen war, dann aber ins Hotel zurückkehrte. Oder auch die katastrophale Rolle des Hein Verbruggen an der Spitze der UCI.
Rudy Sicht
In der Orginalausgabe heißt das Buch „Der Rudy“ . Dies trifft es perfekt. Es geht um einen Flamen, der sein ganzen Leben im Radsport verbachte. Mit Höhen, Fehlern, Doping, Rennabsprachen, Glücksmomenten und herben Niederlagen. Man hat beim Lesen das Gefühl, dass dieses Buch ein ehrliches Bild der Person und deren Sicht auf den Radsport zeichnet.
Vielleicht muss man zu oft zwischen den Zeilen lesen, oder braucht eine ganze Portion Hintergrundwissen um es gänzlich erfassen und einordnen zu können. Wer sich weniger für den Sportler Pevenage, sondern eher für die schillernde Figur des Teams Telekom und den Komplizen Jan Ullrichs interessiert, muss die ersten 120 Seiten überfliegen. Allerdings wird dann die Sicht und das Verhalten gegenüber Ullrich und Doping schwer nachzuvollziehen sein.
Es ist eine Biografie, keine Abrechnung. Es ist ein Einblick in Teile dieses Sports, der an vielem krankt, und kein Enthüllungs-Buch. Wer sich bislang wenig mit dem Radsport der 1970er, -80er und -90er beschäftigt hat, bekommt einen kaum geschönten Einblick.
Das Buch „Nichts als die Wahrheit“ ist bei Delius Klasig eschienen. Es kostet 19,90 € – Link zum Shop