Team Sunweb – Jai Hindely


Nach dem spektakulären Abgang von Tom Dumoulin 2019 war Wilco Kelderman der einzige echte Klassementfahrer im Team Sunweb, der in den vergangenen Jahren bei einer Grand Tour einen Top-Platz belegen konnte. Der inzwischen 29-Jährige galt schon in der U23-Klasse als Megatalent, konnte sich dann bei den Profis aber nicht so durchsetzen, wie viele es erwartet hatten. Dennoch, Kelderman gehörte trotz häufigem Sturzpech in die Kategorie „hoffnungsvoller Klassementfahrer“. Mit seinem 4. Platz bei der Vuelta 2017, wo er nur knapp das Podium verpasste, unterstrich er das.

Nun wird auch Wilco Kelderman das Team Sunweb verlassen. Das Team hatte Kelderman im Herbst mitgeteilt, dass man ihm aktuell kein Angebot unterbreiten werde. So suchte Kelderman nach einer anderen Möglichkeit und entschied sich, das Team zu verlassen. Genau so lief es auch mit Sam Oomen, deutet CyclingMagazine die Aussagen des Teams.

Stetiger Umbruch

Fahrerwechsel gehören zum Radsport wie das Pflaster zu Paris-Roubaix, dennoch sind die letzten Ab- & Zugänge der niederländisch geprägten Mannschaft bemerkenswert. Denn mit Dumoulin, Kelderman und Oomen verließen nicht nur gute Radsportler das Team, sondern auch Aushängeschilder der Mannschaft.

Immer wieder verließen in der Vergangenheit die große Stars das Team von Iwan Spekenbrink nach großen Erfolgen. Marcel Kittel, John Degenkolb, Warren Barguil – nur drei Beispiele. Stets gelang es Spekenbrink diese Abgänge zu kompensieren und erneut große Talente zu fördern und integrieren. Tom Dumoulin, Sam Oomen, Lennard Kämna – auch hier drei Beispiele.

Nach Degenkolb und Kittels Abgang baute man Sunweb von der „Klassiker-Sprinter-Equipe“ zur GC-Mannschaft um. Mit Erfolg. Dumoulin gewann den Giro 2017. Zudem sollte Kämna medienwirksam als künftiger deutscher GrandTour-Sieger aufgebaut werden. Doch nun sind auch Kämna, Dumoulin und Oomen gegangen. Zudem sind einige langjährige Mitarbeiter des Teams gegangen – Trainer, sportliche Leiter, Koordinatoren.

Bei den Profis ist Michael Matthews als Kapitän geblieben und Klassiker-Spezialist Tiesj Benoot wurde verpflichtet. Dazu mit Nico Denz und Jasha Sütterlin die Klassikerfraktion gestärkt. Also zurück zur Klassiker-Equipe? Eher nicht.

Jugend forscht

Man will als Mannschaft nicht nur bei den Klassikern glänzen, sondern auch bei den Rundfahrten und Sprints. Die neue Teamphilosophie scheint nicht nach Renntypen ausgerichtet sein, sondern komplett zukunftsorientiert – langfristig, nicht kurzfristig.

Schon der Kader für die Saison 2020 zeigt, wie extrem die Ausrichtung auf junge Fahrer ist. 14 Fahrer, also fast die Hälfte der 29 Profis zu Saisonbeginn, sind 23 Jahre alt oder jünger. Nur drei Fahrer sind älter als Nikias Arndt, der Mitte November sein 28. Lebensjahr vollendete.

Dies setzt sich fort. So wurde kürzlich Megatalent Marco Brenner verpflichtet. Der Kerl kommt direkt aus der Junioren-Klasse! Nun gehen mit Kelderman (29) und Oomen (24) Fahrer, die vier bzw. fünf Jahre zum Team gehörten und erfahren sind. Selbst wenn sich die Gerüchte bewahrheiten sollten, und man Romain Bardet verpflichten könnte, hätte man 2021 eine verdammt junge Truppe, holt man nicht reihenweise gestandene Recken ins Team.

Erfolg garantiert?

Iwan Spekenbrink hat es geschafft, seine Mannschaft von der kleinen ProConti-Truppe Skil-Shimano zu einem Top-Team in der WorldTour zu entwickeln. Mit seinem Fokus auf junge Fahrer war er in der Vergangenheit extrem erfolgreich, doch so krass wie aktuell hatte man sich zuvor nicht auf junge Talente gestützt.

Spekenbrink lebt die Philosophie des Teams, aber nur wer sich ebenfalls mit dem „keep challenging“-Mantra vollumfänglich arrangieren kann, bleibt langfristig in diesem Team erfolgreich. Wer dies nicht kann, verlässt früher oder später die Mannschaft.

Ewiger Jungbrunnen?

Spekenbrink ließ einen Campus für Nachwuchssportler errichten, in dessen gelbe Pflastersteine „#TDF2025“ geschrieben steht. Es symbolisiert: man blickt voraus, denkt heute schon an die Tour 2025.

Doch der absolute Fokus auf die Zukunft birgt Risiken. So mangelt es dem Team an erfahrenen Führungspersönlichkeiten, die den jungen Fahrern als Road Captain zur Seite stehen können. Nikias Arndt kann diese Rolle ausfüllen, doch neben ihm fehlt es an solchen Fahrern.

Fahrer wie Nico Denz können in diese Rolle wachsen, aber wer sonst im Team verfügt über ausreichend Erfahrung und ist der Typ dafür? Nun einfach 23-jährigen Nachwuchshoffnungen die Leitungsrolle bei World-Tour-Rennen zu übertragen birgt die Gefahr der Überforderung, was in der Welt von Erwartungs- und Ergebnisdruck schnell kontraproduktiv sein kann.

Keep Challenging Center

Im Kader des Sunweb-Teams steckt ohne Frage eine große Portion Talent. Alberto Dainese, Ilan Van Wilder, Max Kanter oder Marc Hirschi – alles große Talente. Doch wie schnell werden sie für die so wichtigen Erfolge sorgen können? Und sind bis dahin Fahrer wie Jai Hindley in der Lage, für ausreichend Siege zu sorgen? Der 24-Jährige ist verdammt schnell unterwegs und talentiert, gewann mit sehr jungen Teamkollegen an seiner Seite die Jayco Herald Sun Tour (Foto oben). Dennoch könnte Hindley sicher von erfahrenen und gestandenen Profis noch einiges lernen um schnell auch auf World-Tour-Niveau große Siege einfahren zu können.

Brechstange

Aktuell ist es also vor allem an Michael Matthews und Tiesj Benoot, für Erfolge zu sorgen. Läuft es bei ihnen nicht hundertprozentig, ist im Umfeld Geduld gefragt, bis die großen Talente (hoffentlich) zünden.

Man scheint bei Sunweb voll auf die Jungend zu setzen. Kompromisslos, mit der Brechstange. Bleiben die Erfolge aus, wird man viel Kritik einstecken müssen. Kann man trotzdem kurzfristig große Erfolge feiern und zünden in 1-2 Jahren dann die Megatalente, wird man Iwan Spekenbrink feiern, vielleicht seine Ideen und Ansätze kopieren. Die Zeit wird zeigen, in welche Richtung es geht. Spannend bleibt es allemal.