Das Wunderkind

Für wen Tadej Pogacar aus dem Nichts kam und nun völlig überraschend die Tour gewinnt, hat in den vergangenen Jahren die falschen Radrennen geschaut. „Geht seine Entwicklung weiter wie bisher, kann aus ihm ein sehr erfolgreicher Rundfahrer werden“, schrieben wir vor seinem Profi-Debüt. Denn Pogacar hatte in den Nachwuchsklassen gezeigt, dass er absolute Weltspitze ist. Dass es dann so schnell gehen würde, mit dem Grand-Tour-Podium im ersten Profijahr und dem Toursieg in der zweiten Saison, hatten wir im Winter 2018/2019 nicht erwartet. 
Nach der Vuelta 2019 lautete unser Fazit: „Was können wir in Sachen Tadej Pogacar für Schlüsse ziehen? Vielleicht den, dass es einen extrem jungen Rundfahrer gibt, der gemeinsam mit Egan Bernal und Remco Evenepoel (…) die Grand Tours über Jahre prägen kann“. Nun ist es also bereits soweit, Pogacar gewinnt einen Tag vor seinem 22. Geburtstag die Tour de France. Wahnsinn.
Beeindruckend war vor allem sein Zeitfahren. 1:21 Minuten schneller als Tom Dumoulin, der große Favorit, der anders als Pogacar zuletzt nicht jeden Tag voll ans Limit gehen musste. Dass Dumoulin staunte, dass da noch jemand eine Minute schneller war, als er, verwundert nicht. 
In Zukunft wird auf Pogacar eine Menge Druck liegen. Er muss sich nun als Star zurecht finden, sein Leben wird sich extrem verändern. Unbekümmert, zurückhaltend, fast schüchtern wirkte er als Neo-Profi. Nun ist er Sieger der Tour de France. Hoffentlich behält er im Wirbelsturm der kommenden Wochen und Monate stets die Orientierung.
 

Richies spätes Glück

Richie Porte

Jahrelang schien es nur eine Frage der Zeit, bis Richie Porte eine Grand Tour gewinnt. Bis heute stand er nie auf dem Podium einer großen Landesrundfahrt. 2010 war er Siebter beim Giro, gewann die Nachwuchswertung und galt anschließend als ganz großes Rundfahrt-Talent. Doch irgendwie sollte es nicht klappen, mit einem Podest-Platz bei einer Grand Tour.
Porte hat viele und große Siege eingefahren und ging eigentlich in jeder Saison als einer der Top-Favoriten bei einer Grand Tour ins Rennen. Doch Sturzpech, Defekt im falschen Moment oder blöde Fehler kosteten ihn den verdienten Erfolg. Nun, mit inzwischen 35 Jahren, nutzt er seine letzte Chance und steht in Paris auf dem Podest. Es ist das Happy End einer Geschichte mit vielen Wendungen. Nicht wenige werden sich für den Australier freuen.
 

Zeitfahren sind vorhersehbar und langweilig

Wout van Aert

Nun, zugegeben, auch der Autor dieser Zeilen hatte nicht eine Sekunde daran gedacht, dass diese Tour de France auf den letzten 36 Kilometern einen solchen plot twist parat hat. Einzelzeitfahren nach drei schweren Wochen sind eine komplizierte Angelegenheit. Zumal auf diesem anspruchsvollen Terrain. Ein schlechter Tag im falschen Moment kann schwerwiegende Auswirkungen haben.
Dass es vielleicht noch mal eng im Kampf um Gelb werden könnte, galt als unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Doch mit solch einer Leistung von Tadej Pogacar hatte wohl niemand gerechnet. Roglic erwischte nicht den besten Tag, Pogacar hatte aber Diamantenbeine. So wurde aus einem Zeitfahren, das man als mäßig unterhaltsam erwartet hatte, ein echter Krimi. Am Ende dann die große Überraschung.
 

Jumbo-Visma – Dominanz, Kontrolle, Niederlage

Primoz Roglic

Was die niederländische Jumbo-Visma-Mannschaft während der drei Wochen Tour de France zeigte, war beeindruckend. Sie waren das stärkste Team, hatten das Rennen stets unter Kontrolle. Vom ersten Tag an waren sie präsent. Fuhren drei Etappensiege ein und waren auf jedem Terrain dominant. Nur im Einzelzeitfahren musste es Kapitän Primoz Roglic selbst richten. Seine Teamkollegen zeigten auch dort ein starkes Rennen, man hatte drei Fahrer in den Top-5. Doch das große Ziel war der Gesamtsieg, das wurde nicht erreicht. Die Mannschaft hat sich nichts vorzuwerfen, ist ein Rennen ohne Fehler gefahren. Doch für Roglic wird dieser Ausgang sehr schwer zu verdauen sein.
 

Grün

Sagan, Bennett, Trentin

War Peter Sagan dabei, war der Kampf um Grün wenig unterhaltsam. In diesem Jahr war dies zum ersten Mal seit acht Jahren anders. Sam Bennett holte sich das Sprinter-Trikot. Und zwar absolut verdient. Ganz offensichtlich ist Bennett der schnellere Mann, erfüllte sich den Traum vom Tour-Etappensieg. Doch Sagan, wenn auch nicht mehr so endschnell wir noch vor Jahren, steckte nicht auf. Es war ein packender Kampf und eines der unterhaltsamsten Elemente dieser Tour. Danke an Bora-hansgrohe, die mit ihrem Kampf um Grün dem Rennen mehrfach den Stempel aufdrückten.
 

Deutsche Achterbahn & Lenni-Show

Lennard Kämna

Aus deutscher Sicht war diese Tour ein Achterbahnfahrt. John Degenkolb musste bereits am ersten Tag nach unverschuldetem Sturz das Rennen enttäuscht aufgeben. Andre Greipel hatte Pech, kämpfte lange und erreicht Paris doch nicht. Die mit Verletzungen gestarteten Emanuel Buchmann und Maximilian Schachmann kämpften herausragend, konnten aber ihr Leistungsvermögen nicht ausschöpfen. Buchmann beeindruckte als Helfer auf Flachetappen und Schachmann holte nach starker Flucht einen dritten Platz am Pas de Peyrol. Simon Geschke zeigte sich als unermüdlicher Ausreißer und holte einige Top-Platzierungen. Nikias Arndt errang mit seiner Sunweb-Rambazamba-Truppe drei Siege und wird sicher sehr zufrieden sein.
Max Walscheid hat sich über die Berge gewuchtet und darf stolz sein, dass er Paris erreicht hat. Roger Kluge und Tony Martin opferten sich für ihre Kapitäne auf. Der neue Star ist nun Lennard Kämna, der sich mit seinem verdienten Etappensieg in die Geschichtsbücher eingetragen hat. Beeindruckend vor allem seine ruhige und reflektierte Art die Frage „Wann gewinnst du“ charmant als „lass mal“ abzuweisen.
 

#FreeLanda

Mikel Landa

Zum vierten Mal landet Mikel Landa in den Top-10 der Tour. Das Podium verpasste der Spanier, kämpfte sich in der Schlusswoche aber noch auf Rang vier vor. Gemeinsam mit seinem Bahrain-McLaren-Team war er fast das einzige GC-Team, was der Jumbo-Visma-Übermacht die Stirn bot und selbst in den Bergen in die Offensive ging. Dies wurde am Ende belohnt, denn mit Rang vier holten sie wohl das Maximum heraus. Landa, der nun endlich ein Team gefunden hat, wo er der klare Leader ist, wird für die nächsten Grand Tours sicher Selbstvertrauen getankt haben.