Zeitgleich ins Abschlusszeitfahren – irre

Nach fast 3500 Kilometern trennen Jai Hindley und Tao Geoghegan Hart keine Sekunde. Zeitgleich gehen die beiden in das abschließende Zeitfahren. Nein, selbst Alfred Hitchcock wäre das zu viel des Guten! Man ist im Sport schnell mit Superlativen dabei, aber unfassbar trifft es in diesem Falle wirklich sehr genau. Es ist das große Finale einer Rundfahrt, die so viele Wendungen, Überraschungen und Kuriositäten parat hatte, dass es kaum möglich ist, dieses Rennen nach nunmehr drei Wochen irgendwie zu greifen. Es wird packend bis zum Schluss. Vielleicht wird es das packendste Finale einer Grand Tour aller Zeiten, vielleicht nicht. Wurscht. Dass dieser Giro überhaupt in Mailand endet, war kaum zu glauben, nun als episches Rennen zweier junger Kerls um Rosa, die vor dem Giro keiner als Favoriten auf dem Zettel hatte. Unfassbar!
Schade, dass einer der beiden am Ende der Verlierer sein muss.  
 

Hindley nervös?

In letzten Anstieg hat Jai Hindley mehrfach attackiert, konnte seinen großen Rivalen aber nicht abschütteln. Er fuhr dann von vorn, statt abgebrüht Tao Geoghegan Hart in die Spitze zu drängen. Schließlich hat sein Kapitän im Rosa Trikot keine 100 Sekunden hinter ihnen am Limit um jede Sekunde gekämpft. Kelderman war geschlagen, das wusste auch Hindley. Ihm war auf den letzten Kilometern zum Ziel klar, dass es nur zwischen ihm und Tao Geoghegan Hart um den Girosieg geht. Genau so ist er gefahren.
Dennoch, vielleicht hätte er mit etwas mehr Abgebrühtheit seinen Gegner mehr unter Druck gesetzt. Hätte im Sprint die bessere Chance gehabt, selbst die Attacke zu setzen und so dank des Tagessiegs auch ein paar Sekunden zu holen, die am Sonntag so wichtig sein könnten. Aber, er ist erst 24 Jahre alt und das erste Mal in solch einer Situation – man sollte ihm keinen Vorwurf machen.
 

Rohan Dennis – Monster

Am Stelvio hat Rohan Dennis das Feld zerlegt und ein Rennen abgeliefert, dass ihn sogar selbst beeindruckte. Was er aber auf dieser 20. Etappe bot, war mindestens genauso beeindruckend. Er war der stärkste Fahrer im Rennen und lieferte ein Finale ab, das man so auf keinen Fall erwarten konnte. Sollte das Ineos Team am Ende mit dem Giro-Sieger nach Hause fahren, gehört Rohan Dennis mindestens die Hälfte dieses Jerseys. Warum Radsport ein Teamsport ist, konnte man in der Schlusswoche dieses Giro wunderbar nachvollziehen.
Dass Rohan Dennis die Chance auf den Etappensieg am Sonntag opferte, ist für Ineos kein Problem, denn dafür hat man im Ausnahmeteam ja noch eine Rakete.
 

Kelderman nicht in Panik

Wilco Kelderman hat das Rosa Trikot verloren und wohl auch den Kampf um den Giro-Sieg. Er ist der große Verlierer des Tages. Dennoch ist er ein gutes und kluges Rennen gefahren. Er ist nicht in Panik geraten, hat nicht im vorletzten Anstieg völlig überzogen und sich so komplett aus dem Rennen genommen. Er hat sich geschickt Gruppen gesucht, ist bergab stets clever in Position gefahren und hat im Schlussanstieg dann schließlich für sich selbst kämpfen müssen. Wenn alles normal läuft, wird er am Sonntag auf dem Podium des Giro stehen – zum ersten Mal in seiner Karriere unter den Top-3 einer Grand Tour. Er hat sich das voll verdient.