Bevor es in den zweiten Ruhetag geht, müssen die Fahrer am Sonntag an ihr Limit. Im Finale muss der brutale Alto de L’Angliru gemeistert werden. Ein Monsterberg mit Passagen von mehr als 23% Steigung. Am Samstag blieb der ganz große Schlagabtausch der Favoriten auf den Gesamtsieg aus. Zum einen, weil am Schlussanstieg ein Gegenwind blies, zum anderen, weil alle genau wussten, was ihnen am Sonntag bevorsteht.
Diese nur 109,4 Kilometer lange Etappe von Pola de Laviana zum Alto de l’Angliru ist ein sehr schweres, aber auch sehr gefährliches Teilstück. Satte 3100 Höhenmeter gilt es in den rund drei Rennstunden zu bewältigen. In der Kürze lauert dabei zusätzlich eine Gefahr für die Favoriten. Denn lange abwarten und das Rennen mit den Helfern kontrollieren wird extrem schwer, greifen die Top-Fahrer bereits früh an. 
Für Jumbo-Visma vielleicht weniger problematisch als für die anderen verbliebenen Favoriten. Denn die Mannschaft um Primoz Roglic hat mit Sepp Kuss und George Bennett exzellente Helfer für schweres Terrain. Aber Fahrer wie Daniel Martin, Hugh Carthy und selbst Richard Carapaz könnten schnell auf sich allein gestellt sein, wenn das Rennen früh voll entbrennt. Dann dürfen sie keine Attacke verpassen, sonst sind sie schnell abgehängt und verlieren viel Boden. Aber alle Fahrer wissen um die Gefahr und auch um die Schwierigkeiten am Schlussanstieg, wo man extrem viel Zeit verlieren kann, wenn man eine Schwäche erleidet.
Das Movistar-Team hat am Samstag gezeigt, dass man gewillt ist, die Zahl der starken Fahrer auszunutzen. Marc Soler ging früh in die Offensive und holte rund eine Minute in der Gesamtwertung auf. Mit Enric Mas, Soler und Alejandro Valverde hat man drei Fahrer in den Top-10. Gut möglich, dass man heute versucht, mit Valverde in die Offensive zu gehen.
Oder Mas, der am Berg bislang nicht mit den Top-Leuten mithalten konnte, versucht es mit einer frühen Attacke. Vielleicht nach dem Vorbild seines Kindheits-Idols Alberto Contador. Denn im Jahr 2017 nutzte Alberto Contador am vorletzten Renntag seiner Karriere vor dem Anstieg seine Chance zur Attacke und holte am Angliru den letzten großen Sieg seiner Karriere. Mas hatte damals Contador geholfen, obwohl dieser in einer anderen Mannschaft fuhr. Ein Dank für die Unterstützung, die Contador dem heute 25-Jährigen in den Nachwuchsklassen bot.
Es ist die letzte superschwere Berg-Etappe dieser Vuelta und ganz sicher wird es einen spektakulären Kampf der Favoriten auf den Gesamtsieg geben. Spätestens in den steilen Schlussrampen wird der Großkampf entbrennen.



 

Die Strecke

Karte der 12. Etappe der Vuelta 2020

Es geht durch die Berge in Asturiens Süden. Nach dem Start geht es gen Westen und dann nimmt man im Schlängelkurs auf dem Weg zum Angliru an Anstiegen mit, was sich bietet. Die ersten 25 Kilometer sind flach, dann beginnt mit dem Alto del Padrun (3km/6,6%) der erste Anstieg. Vom Gipfel sind es nur noch 80 Kilometer bis ins Ziel, aber es stehen dann noch vier Berge auf dem Programm.
Der Alto de San Emiliano ist der zweite Anstieg und mit 5,8 km & 4,9% ebenfalls „nur“ dritte Kategorie. Doch dann beginnt das Finale der Etappe.
Die Steigung zum Alto de La Mozqueta beginnt etwa 55 Kilometer vor dem Ziel. Es geht 6,6 km mit 8,4% im Schnitt bergauf. Gerade der untere Teil ist steil. Wer eine frühe Attacke setzen will und vielleicht einen Helfer vorausschicken – hier ist dafür eine gute Gelegenheit.
Nach einer Abfahrt und einem Flachstück geht es zum Alto del Cordal. Ein fieser Berg mit 5,4 km Länge und rund neuneinhalb Prozent Steigung. Vom Fuße sind es noch rund 26 km bis ins Ziel – vielleicht wird hier bereits der Hammer ausgepackt, macht man bei der Konkurrenz eine Schwäche aus.
 
Profil Alto de La Mozqueta & Alto del Cordal

 

Das große Finale ist der inzwischen legendäre Monsterberg Alto de L’Angliru. Ein langer, supersteiler Anstieg mit abartigen Rampen. Der ehemalige Vieweg wurde in den 90ern asphaltiert und feierte 1999 Premiere bei der Vuelta. Ein absurd steiles Ding, was sich aber in den 20 Jahren einen Namen in der Radsportwelt gemacht hat. Obwohl man erst zum 8. Mal hinauffährt. 
Die ersten fünf Kilometer gehen noch, danach wird es absurd. Mit 23,5% sind die steilsten Passagen angegeben. Selbst Weltklasse-Profis sind hier fast in Schrittgeschwindigkeit unterwegs. Die Frage, ob man sowas braucht, stellt sich nicht – denn dieser Anstieg ist gemacht für ein Spektakel. Und bislang lieferte der Berg jedesmal herausragend ab.

Profil des Angliru

 

Die Favoriten

Es sind die Top-Fahrer, die hier um den Sieg kämpfen werden. Es geht am Angliru um eine Vorentscheidung im Kampf um Rot. Die Schlusswoche ist nicht extrem schwer, sodass abgesehen vom Zeitfahren nicht mehr viele Möglichkeiten kommen, bergauf den Mann in Rot abzuhängen. Wer diese Vuelta gewinnen will, muss jede Chance nutzen – der Angliru wird ganz sicher einen Großkampf der Top-Klassementfahrer bieten.
Primoz Roglic scheint aktuell der Stärkste zu sein. Richard Carapaz und Daniel Martin sind ebenfalls nicht zu unterschätzen, auch wenn Carapaz nun langsam die Anstrengungen der kurzen, aber intensiven Saison zu spüren scheint.
Hugh Carthy  ist wie gemacht für solch einen Ziegenpfad, vielleicht kann er sich in den Top-5 festsetzen oder gar das Podium angreifen. Enric Mas machte zuletzt nicht den Eindruck, als könne er die Top-3 angreifen. 
Sollte sich an einem der schweren Anstiege vor dem Angliru eine kleine Gruppe mit Top-Kletterern wie Michael Woods oder Wout Poels bilden, könnten sie am Ende den Tagessieg holen. Auch Alexandr Vlasov ist ein Mann, den man auf der Rechnung haben sollte. Denn mit fast sieben Minuten Rückstand in der Gesamtwertung wird er sicher Freiheiten bekommen.
Movistar wird es wohl erneut wie am Samstag versuchen und früh angreifen. Soler und Valverde könnten früh angreifen, Mas wäre eher die Option um eine gute GC-Platzierung abzusichern, oder am vorletzten Anstieg anzugreifen. Man wird sicher bereit sein, Risiko einzugehen, denn ohne wird ein Platz auf dem Podium für die spanische Vorzeigemannschaft nicht möglich sein. 
 
***** P. Roglic
**** D. Martin, H. Carthy
*** R. Carapz, M. Woods
** S. Kuss, A. Vlasov, M. Nieve
* W. Poels, D. Formolo, M. Soler, D. Gaudu
Start: 14:00 Uhr
Ziel: ~ 17:15 Uhr


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