Tadej Pogacar

Dass wir alle die Pandemie gern so schnell wie möglich hinter uns lassen würden – logisch. Dass diesem fiesen Virus neben einer Herdenimmunität durch Ansteckungen nur mit einer breiten Impfkampagne die Gefahr genommen werden kann, ist aktuell bei allen Experten die vorherrschende Meinung. Impfstoffe gibt es nun, leider noch nicht in der Masse, dass man innerhalb kurzer Zeit alle Menschen impfen könnte. Da es sich also um ein knappes Gut handelt, stellt sich die Frage nach der Verteilung.

Da die Krankheit Covid-19 vor allem für ältere und vorerkrankte Menschen eine große Bedrohung darstellt, in diesen Personengruppen die meisten Todesfälle auftreten und eine Infektion zu schweren Krankheitsverläufen führt, liegt es nahe, diese zuerst zu impfen. So geht man das Thema beispielsweise in Deutschland, bzw. der EU an.

Nun gehören Radprofis nicht zu diesen Risikogruppen. Dennoch hat das Team UAE große Teile seines Kaders und auch Teile des Personals geimpft. Dies stieß auf Kritik, da man natürlich die Frage stellen kann, ob man wirklich die knappen Impfdosen gesunden Profisportlern zur Verfügung stellt, bevor etwa Krankenhauspersonal, Pflegekräfte und gefährdete Personen geschützt sind.

Patrick Lefevere, Teamchef der Deceuninck-QuickStep-Mannschaft, erklärte, seine Sportler werden genauso behandelt, wie alle anderen Menschen auch. Man hält sich bei Deceuninck-QuickStep an die Impf-Reihenfolge der Regierung, bei anderen Teams ist dies ebenso.

Mit Blick auf das UAE-Team gilt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass es sich bei dem Team um eine von der Regierung finanzierte Mannschaft handelt, bei der das Staatsoberhaupt hinter der WorldTour-Equipe steht. Somit dürfte auszuschließen sein, dass die Profi-Mannschaft gegen Auflagen oder Verteilungsvorgaben des Staates verstößt. Dass dabei große Teile der Fahrer nicht aus den Emiraten stammen, könnte bei der Bevölkerung des Emirates natürlich kritisch gesehen werden. Die Heimatländer der Profis müssen nun ein paar Menschen weniger impfen.

Vorbildwirkung

Dem Vorwurf, hier werden Sportler bevorteilt, während Risikogruppen warten müssen, kann man durchaus Argumente entgegen setzen. So dürften die Bilder des Tour-de-France-Siegers, der sich bereitwillig impfen lässt, anderen Menschen vielleicht etwas die Skepsis nehmen. Nach dem Motto: Wenn ein Sportler, dessen Kapital sein Körper ist, sich impfen lässt, kann es so schlimm nicht sein. Ob dies eines der Argumente und Ziele der Teamverantwortlichen war, lässt sich nur vermuten.

Das Argument, dass man mit der Impfung des Team-Personals nicht nur diese schützt, sondern eben insgesamt etwas zum Schutz aller Menschen beiträgt, darf man zumindest mit einem kleinen Fragezeichen versehen. Denn noch ist nicht klar, ob die Impfung tatsächlich davor schützt, dass die geimpften Personen Viren weiterverbreiten. Sollte dem jedoch so sein, wäre natürlich grundsätzlich jeder Geimpfte von Vorteil.

Der Fall Gaviria

Die UAE-Mannschaft war in diesem Jahr nicht nur extrem erfolgreich, sondern auch vom Coronavirus gebeutelt. Top-Sprinter Fernando Gaviria erwischte es gleich zwei Mal in der Saison. Auch aus dem Personal waren Menschen betroffen. So kann man sicher nachvollziehen, dass die Mannschaft gern jede Möglichkeit nutzen möchte, ihren Staff zu schützen. So wie natürlich jedes andere Team auch.

Ökonomisches Risiko

Betrachtet man das Thema Impfen nicht aus der sportlichen oder moralischen Perspektive, sondern einer ökonomischen, ist es natürlich höchst sinnvoll für die Mannschaft, ihre Fahrer zu impfen. Denn sollte einer der Stars, der einige Millionen im Jahr verdient, krankheitsbedingt ausfallen, ist dies auch ein ökonomischer Schaden.

Zudem ist nachvollziehbar, dass eine Mannschaft, die extrem viel investiert (Technik, Trainingslager, Ernährung, ….), um einen Fahrer wie Tadej Pogacar in Top-Form zur Tour de France schicken, auch das Risiko einer Covid-Erkrankung minimieren möchte.

Die entscheidenden Fragen

Man kann sich dem Thema auf mehreren Ebenen und Wegen nähern. Hätten es nicht 59 Pflegekräfte oder Intensivmediziner mehr verdient gehabt, ihren Beruf ein wenig sorgenfreier ausüben zu können? Wie will man hier, betrachtet man ihren Wert für die Gesellschaft, mit nein antworten?

Diese Gruppen „haben hohe Risiken, sich anzustecken. Hinzu kommen solidarische Überlegungen – diejenigen, die sich für uns alle höheren Risiken aussetzen, sollten vorrangig geimpft werden“, formuliert es die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats Alena Buyx in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bezogen auf Pflegekräfte oder Intensivmediziner.

Will man hier die Bedeutung des Sports für die Gesellschaft tatsächlich als Argument dagegenhalten? Vermutlich nicht.

Doch selbst wenn man den Kopf in der Radsportblase lässt, stellt sich die Frage: War es unbedingt nötig? Hat die Saison 2020 nicht gezeigt, dass Profi-Radsport während der Pandemie möglich ist, wenn auch mit vielen Einschränkungen? Ganz anders als im Nachwuchsbereich oder Breitensport.

Ist es nicht vielmehr das falsche Signal, dass man da aussendet – nämlich, dass eben doch das Geld darüber entscheidet, wer zuerst geimpft wird? Ist es nicht genau das, was man mit der Idee hinter dem Sport nicht möchte – da, wo sonst von der Verantwortung und der Bedeutung des Sports für die Gesellschaft gesprochen wird? Es mag komisch klingen, aber wer hätte erwartet, dass eine Radsport-Mannschaft diesen Schritt noch vor den durchökonomisierten Fußball-Clubs geht?

Tritt das Beispiel UAE-Team nun eine Welle im Sport los, wo Mannschaften und Clubs versuchen schnellstmöglich nachzuziehen, setzt der Profi-Sport vielleicht den Rückhalt in der breiten Bevölkerung gänzlich aufs Spiel. Dann wären die negativen Folgen wohl weitaus nachhaltiger, als zwölf, vielleicht 15 weitere Monate mit eingeschränktem Corona-Betrieb.