Gent-Wevelgem

Teamwork für den Sieg – taktisch interessante Rennen

Über die großartige Mannschaftsleistung der Deceuninck-QuickStep-Equipe hatten wir uns schon am Samstag ausgelassen. Da nutzte die belgische Mannschaft ihre zahlenmäßige Überlegenheit und die Tiefe des Kaders perfekt aus.

Auch am Sonntag, bei Gent-Wevelgem wurde deutlich, wie wichtig Helfer sein können. Denn Wout van Aert hatte in der kleinen Spitzengruppe mit Nathan Van Hooydonck einen Teamkollegen dabei, der das Tempo hoch hielt, wenn es nötig war, und seinen Kapitän perfekt unterstützte. Der Rückenwind in Richtung Ziel hat mögliche Angriffe, wie etwa von Stefan Küng, ohnehin erschwert, aber Van Hooydonck war für Van Aert Gold wert. Denn ohne ihn hätte Van Aert selbst die Attacken abwehren müssen und hätte keinen Anfahrer im Sprint gehabt.

Kein Wunder, dass Van Aert voll des Lobes war: „Ich habe Nathan die ganze Zeit ermutigt, den letzten Kemmelberg zu überleben. Das hat er. Das war wirklich stark. Ich wusste, dass ich ihn danach noch oft brauchen würde. Auf dem letzten Kilometer übernahm er die Führung. Das ist wirklich eine große Klasse. Chapeau für ihn.“

Übrigens, der Auftritt von Nathan Van Hooydonck war keine Überraschung. In den Nachwuchskategorien Belgischer Meister und sowohl bei U23-Roubaix, als auch U23-Omloop in den Top5. Inzwischen 25 Jahre alt, zeigt er auch in der WorldTour seine Klasse.


Gent-Wevelgem – Ex-Sprinter-Kassiker?

Früher galt das Rennen mal als Sprinterklassiker, heute wohl eher nicht mehr. Gut, mit Nizzolo, Colbrelli, Trentin und Matthews waren endschnelle Männer vorn dabei, allerdings war es ein kleines Grüppchen, das um den Sieg fuhr. Auch vom Rennverlauf her, kein Vergleich zur Oxyclean Classic Brugge-De Panne oder früheren Austragungen, als das Rennen noch kürzer war und manchmal mehr als 50-Mann-Gruppen um den Sieg sprinteten.

Das Rennen wurde auch in der jüngeren Vergangenheit immer schwerer. Unterdessen rund 250 Kilometer lang und seit der Einführung der Naturstraßen („Plugstreets“) 2017 anspruchsvoller. Nun wurde seit dem vergangenen Jahr der Start von Deinze nach Iper verlegt und vor allem der Rennabschnitt mit den Naturstraßen und den zusammengerückten Anstiegen etwas schwerer gemacht.

Dennoch hat sich das Rennen den Kern des Charakters bewahrt, hat an Spannung gewonnen. In den vergangenen drei Jahren spielte jeweils der Wind eine große Rolle und man hätte sich locker noch eine Stunde mehr Übertragungszeit gewünscht.

Gent-Wevelgem ist in Sachen Unterhaltungswert aus dem Schatten anderer Rennen getreten, ohne den Sprintern gänzlich die Chance auf einen Erfolg zu nehmen. Denn kaum ein anderes Rennen hat solch Bandbreite an Fahrern auf der Favoritenliste. Spannend wäre es, mal eine Austragung auf dem neuen Parcours ohne Wind zu erleben – sprinten dann wieder 50-Mann?
Oder vielleicht besser doch nicht ohne Wind, denn so spannend, wie es zuletzt war, darf es gern immer sein.


Corona nervt, immerhin gibts Rennen

Man kann sich gut vorstellen, wie groß die Enttäuschung bei Bora-hansgrohe war, als sie nach dem verpassten Start bei E3-Harelbeke auch am Sonntag nicht mitfahren durften. Der positive Corona-Test von Mathew Walls vor E3-Harelbeke hatte für ein Starverbot gesorgt. Das Team Trek-Segafredo, mit Titelverteidiger Mads Pedersen eines der aussichtsreichen Top-Teams, musste bei Gent-Wevelgem auch zuschauen.

Bei allem Unmut, will der Radsport auch in Zeiten hoher Infektionszahlen weiter Rennen bestreiten, braucht es die Unterstützung der Behörden. In kaum einem anderen Land ist man auch in der Politik so sehr gewillt, die Rennen auszutragen, wie in Belgien. Doch jede Mannschaft, die sich dann den Entscheidungen der örtlichen Behörden beugen muss, trifft ein Startverbot hart.

Auch für die Veranstalter ganz sicher keine leichte Situation. Dass dann, wie am Sonntag bei Gent-Wevelgem, ein Brand wenige Kilometer vor dem Ziel die Veranstalter dazu zwingt, die Strecke kurzfristig zu verändern, passt irgendwie in die Zeit. Die Hoffnung bleibt, dass es 2022 wieder ganz normale Klassiker gibt – mit Fans, Party, Bier und allen Teams am Start.


Alles offen für die Ronde

Natürlich schaut man auf die Rennen in den Wochen vor der Flandern-Rundfahrt auch ein wenig mit der „Ronde“ im Hinterkopf. Die Flandern-Rundfahrt ist der größte belgische Klassiker und neben Paris-Roubaix das einzige Pflaster-Monument.

Bei der Analyse der Rennen versucht man die Favoriten für die Ronde abzuleiten, den Verlauf ein wenig vorherzusehen und für sich den großen Favoriten auszurechnen. Nach all den bisherigen Pflaster-Rennen, wird man allerdings nur wenig schlauer.

Ja, die Crosser sind extrem stark. QuickStep auch Ag2R sucht nach der taktischen Lösung gegen die Übermächtigen, Dylan van Baarle ist extrem stark, Trek-Segafredo bleibt eine Wundertüte, EF sucht nach der Form, DSM bleibt wechselhaft und Nils Politt fehlen die Rennen.

Soweit die Erkenntnisse. Doch was bedeutet das für die Ronde van Vlaanderen? Es bedeutet in erster Linie, dass es ein offenes Rennen bleibt, bei dem die beiden Crosser die Favoriten sind. Und QuickStep. Die Konkurrenz aber durchaus Möglichkeiten hat, wenn sie es schaffen, Druck zu erzeugen und die Rivalitäten auszunutzen.

Es bedeutet auch, … dass noch sechs Tage bleiben, über die Ronde zu philosophieren und sich zu darauf zu freuen. Nur die Angst vor einer Absage trübt die Vorfreude. Damit müssen wir aktuell leider leben.