Keine Ahnung wie es ist, dieses Buch zu lesen, wenn man nie zuvor bei einem der flämischen Frühjahrs-Radrennen war. Hat man einige von ihnen besucht, wechseln beim Lesen genussvolles Lächeln und zustimmendes Nicken ab.
Auch ohne verklärten Blick und jegliche Romantisierung ist dieses Buch eine Liebeserklärung an die flämische Radsportwelt, mit ihrem groben Antlitz und all den Merkwürdigkeiten, die einen entweder abstoßen, oder so in den Bann ziehen, dass man nie wieder davon loskommt.
Autor Harry Pearson nimmt den Leser mit auf eine Reise durch ein flämisches Radsportfrühjahr. Von den Cross-Rennen bei eisiger Kälte über die kleinen und großen Klassiker bis zu Paris-Roubaix. Er beschreibt kaum den sportlichen Teil der Rennen, sondern nutzt seine Erlebnisse und Begegnungen um dem Leser die Rennen, die Tradition und die großen belgischen Radsportler näherzubringen. Er schafft es mit kleinen, skurrilen Geschichten, viel Witz und jeder Menge Hintergrund, ein Bild des flämischen Radsports zu zeichnen.
Dafür nutzt er nicht nur schöne Erzählbilder, sondern auch tolle und sehr witzige Vergleiche. Um den Stellenwert eines Tom Boonen in Flandern begreiflich zu machen, schreibt er im Prolog: „Um in England etwas Vergleichbares zu erleben, müsste vermutlich ein hübscher Pop-Barde mit Castingshow-Fame das Siegtor im WM-Finale erzielen und es Prinzessin Diana widmen, während er gleichzeitig ein Kätzchen vor dem Ertrinken rettet.“
Klug aufgebaut und gut erzählt
Das Buch ist klug aufgebaut. Auf den ersten Seiten wird ein Bild vermittelt, was den Radsport in Flandern ausmacht, welchen Stellenwert er hat und welch beeindruckende Historie dahintersteckt. Darauf aufbauend wird der Leser an die Hand genommen und durch das flämische Frühjahr und die irre Geschichte des flämischen Radsports geführt.
Ohne sich all zu sehr in Details zu verlieren, beschreibt er während der 12 Kapitel entlang seiner Reise zu den Rennen die Hintergründe und erzählt die Geschichten der großen flämischen Rennfahrer. Geschickt wird mit Anekdoten und Hintergrundinfos ein Porträt der Sportler und Helden gezeichnet. Die rührende Geschichte eines Rik van Steenbergen, oder auch die kuriose Figur Eddy Planckaert, der nach seiner Karriere Teil einer Reality TV Show war. Museeuw, Maertens, Schotte, Van Looy, Boonen usw. all ihre Geschichten finden sich im Buch und werden mit viel Witz erzählt.
Hach, Flandern
Harry Pearson schafft es im Buch, das „Mysterium Radsport-Flandern“ greifbar zu machen. Warum trostlose Orte im Nirgendwo durch ein schnödes Radrennen für einen Moment aufblühen. Warum die Flamen nicht nur die Sieger lieben, warum sie kleine und große (Doping) Sünden verzeihen, manch Verhalten aber nicht tolerieren. Warum es auf der Welt keinen anderen Ort mit solch verrückter Radsportliebe gibt, wie Flandern.
All das wird im Buch angerissen, ohne den Leser dabei aufdringlich mit der Nase drauf zu stupsen, oder die Faszination Flandern verklärt mit dem Holzhammer ins Leser-Herz nageln zu wollen.
Vermutlich gibt es zwei mögliche Reaktionen auf dieses Buch: Entweder legt man es mit einem „Die-verrückten-Flamen-Kopfschütteln“ zur Seite, oder aber man spürt tief in sich eine Sehnsucht aufsteigen, nach einem zugigen Ort irgendwo zwischen Backsteinhäusern, wo es nach Frituur riecht, vormittags Bier gibt und sich die Menschen ohne Worte verstehen, weil sie es fühlen, dieses flämische Radsport-Gefühl.
Das Buch gibt es hier bei Covadonga zu kaufen
Preis: 16,80 € inkl. 7% MwSt.
Erscheinungsdatum: März 2021
Autor: Harry Pearson
Produktdetails: Broschur, 288 Seiten + 16-seitige Fotostrecke; aus dem Englischen von Olaf Bentkämper
ISBN: 978-3-95726.054-3