Die Bedingungen waren widrig, die geplante Etappe knüppelhart – es wird nicht wenige Fahrer im Peloton geben, die froh darüber sind, dass die Etappe verkürzt wurde. Es wäre ein brutaler Tag für die Rennfahrer geworden, auch bei besserem Wetter. Die Abstände zwischen den Top-Favoriten auf den Gesamtsieg wären bei voller Etappenlänge noch größer gewesen – für die Spannung des Giro in der Schlusswoche vielleicht eher kein Gewinn. Dennoch bleibt ein Geschmäckle – denn „fahrbar“ wäre der Parcours gewesen. Die Straßen und Bedingungen hätten es her gegeben. In der Vergangenheit wurde bei ähnlichen oder schlechteren Bedingungen Rennen gefahren.
An dieser Stelle soll keine Diskussion darüber geführt werden, ob die Verkürzung sinnvoll war, oder nicht. Sondern es geht um den Prozess der getroffenen Entscheidungen und was sie für die Zukunft bedeuten.
Rolle der CPA
Die Fahrervertretung CPA, in Person von Cristian Salvato, kommentierte die Verkürzung folgendermaßen: „Die Änderungen bedeuteten, dass zwei Abfahrten vermieden wurden, die mit dem Regen und der Kälte in der Höhe die Fahrer in die Gefahr einer Unterkühlung gebracht hätten und nicht in der Lage gewesen wären, sicher zu fahren.“ Die Argumentation ist klar, doch man fragt sich, warum dann die letzte Abfahrt vom Giau „sicher“ genug war.
Was bedeutet das für die Zukunft des Radsports? Ab welcher Temperatur und wie viel Regen kann man keine Abfahrten mehr bestreiten? Gilt das bei allen Rennen? Wie wird das in Zukunft beim Giro sein, der weiter im Mai ausgetragen wird? Was der CPA-Beauftragte auch klar stellt ist, dass die „Königsetappe auf dem Papier fantastisch war“.
Für den Veranstalter, der bei der Streckenplanung von Kommunen, Touristenregionen und Sponsoren abhängig ist, wird es künftig nicht leichter, muss er stets einplanen, dass die Strecke bei Regen ruckzuck verändert wird.
Angst vor Streiks
Aus dem Peloton war zu erfahren, dass nicht alle Teams für die Verkürzung der 16. Etappe stimmten. Es gab eine CPA-Umfrage via Messenger, in der sich die Mehrheit für die Verkürzung aussprach. Obwohl die Strecke befahrbar gewesen wäre, stimmte die Organisation der Verkürzung zu. Nicht kritiklos, was den Ablauf betrifft.
Giro-Chef Mauro Vegni kritisierte, dass die Fahrer alle fünf Minuten ihre Meinung ändern würden. Es war offenbar so, berichten Sportler, dass am Abend nach Diskussionen dem normalen Verlauf zugestimmt wurde und die Organisation sämtliche Vorkehrungen dafür traf. Aber am Morgen teilte man RCS dann mit, die Etappe doch verkürzen zu wollen.
Nach dem Debakel vom vergangenen Jahr, wo Fahrer vor einer 250-km-Etappe erfolgreich streikten, weil es regnete, konnte sich Vegni kaum erneut einen Fahrerstreik erlauben. Teils unreflektiert wurde im vergangenen Jahr auf ihn und die Giro-Organisation eingehauen. Medial brach ein Sturm los, der von einigen Fahrern via Social Media mächtig angeheizt wurde.
Dabei handelt es sich bei Streckenplanung & Durchführung eines solchen Rennens um ein sehr komplexes Thema, vor allen in Zeiten von Corona. Dazu sei unser Podcast mit Paul Martens empfohlen, der sehr klug und reflektiert die Zusammenhänge beleuchtet.
Reformbedürftig?
Der Radsport ist sehr traditionell und muss sich dennoch den veränderten Gegebenheiten der Welt anpassen. Ist es noch zeitgemäß, eine solche Monster-Etappe zu planen, der dann auch noch ein extrem langer Transfer folgt? Müssen Fahrer nicht VOR der Rundfahrt in den Plan gucken und eine 250 km Flachetappe kurz vor Ende ablehnen, und nicht erst am Morgen, unter dem Zelt neben der Startlinie?
Mauro Vegni, oft zu Recht kritisiert und meist durch seine polternde Art mit wenig Sympathien bedacht, wünscht sich Veränderungen und will daran mitarbeiten. „Lasst uns diesen Giro beenden und lasst uns dann eine Debatte darüber eröffnen, wohin sich der Radsport heutzutage entwickelt. Ich bin gerne bereit, daran teilzunehmen. Die UCI … die falschen Regeln … der Radsport muss neu gegründet werden“, sagte Vegni.
Dass der Radsport grundsätzlich mit großen Problemen kämpft, ist bekannt. Mit den neuen Sicherheits-Standards bei Sprintankünften hat die UCI einen Schritt auf die Fahrer zugemacht. Vegni ist nun seinerseits bereit, einen Schritt zu gehen, so signalisierte er es. Veranstalter und Teams sind stets in einem komplizierten Abhängigkeits-Verhältnis.
Eines der größten Probleme im Reformprozess des Radsports scheint die Uneinigkeit der Fahrer zu sein. Das zeigte die Debatte um die Verbote der Sitzpositionen – wo Fahrer sich lauthals via Social Media beschwerten, aber sich zuvor in den Prozess des Verbotes nicht einbrachten und nicht mal die betreffenden Mails lasen.
Nur weil jeder seine eigenen Interessen vertritt, muss man nicht reformunfähig sein. Es geht um Kompromisse, wie so oft. Verzettelt sich der Radsport in Grabenkämpfe und trifft für die Beobachter unverständliche Entscheidungen (oder kommuniziert sie nicht richtig), wird er einen enorm wichtigen Teil seiner Fans verlieren.
Manchmal ist die sinnvolle Verkürzung einer Etappe wegen schlechten Wetters nur die Verkürzung einer Etappe aufgrund der Wetterverhältnisse. Manchmal ist es aber deutlich komplexer, auch aufgrund von Ereignissen aus der Vergangenheit. Manchmal wirkt ein kurzfristiger Fahrerstreik eben länger nach, als gedacht – die Auswirkungen betreffen dann zum Teil ganz andere Fahrer. Nicht umsonst scheinen die Bemühungen um eine neue Organisation der Fahrervertreter auf große Zustimmung zu stoßen.
Man darf gespannt sein, ob der Wunsch von Vegni, nach einer grundsätzlichen Debatte um die Zukunft des Sports erfüllt wird. Und vor allem auch, wie diese dann geführt wird. Das Ergebnis der Debatte scheint unvorhersehbar.