Richard Carapaz – Tour-Favorit?

Über die acht Etappen durch die Schweiz lieferte Richard Carapaz ein konzentriertes und souveränes Rennen ab. Am Ende ist er der verdiente Gesamtsieger. Bergauf extrem stark, nie in Panik und sehr souverän agierte der 28-Jährige. Nach dieser Vorstellung muss man ihn wohl in den Kreis der Top-Favoriten auf den Gesamtsieg bei der Tour aufnehmen.

Klar, die Tour-Zeitfahren sind nicht nach seinem Geschmack und teamintern hat er zudem Konkurrenz – aber Ineos Grenadiers wird Carapaz nicht einfach die Helfer-Rolle zuweisen, sondern ihn lieber als weitere taktische Option nutzen. Gegen Pogacar und Roglic ist man sicher mit mehreren Optionen im Vorteil. Oder wird Carapaz direkt Leader Nr.1 im Team? Auch das ist möglich.


Maximilian Schachmann – immer näher an die Weltspitze

Am Ende verpasste Maximilian Schachmann das Podium um schlappe vier Sekunden. Dennoch darf er mit seiner Leistung durchaus zufrieden sein. Er kam aus dem Trainingslager ohne spezifische Vorbereitung in die Schweiz und konnte bei den Allerbesten mithalten. Dass er sich am Schlusstag an die Verpflegungsregeln hielt und am letzten Anstieg 800m mit voller Flasche fahren musste, während andere Fahrer sich (verboten) erst kurz vor der Abfahrt verpflegten war sicher nicht zu seinem Vorteil. Sei’s drum.

Sein nächstes großes Ziel sind die Olympischen Spiele, während Carapaz und Co. sich auf die Tour vorbereiten – auch das sollte man bedenken. Schachmann bestätigte die Leistung von Paris-Nizza und unterstrich, dass er wieder einen Leistungssprung im Vergleich zum Vorjahr gemacht hat. Stück für Stück kommt er der absoluten Weltspitze immer näher, auch was die Rundfahrten anbetrifft.

Sein Wunsch ist es, irgendwann auch mal bei einer Grand Tour im Kampf um die Top5 mitzumischen. Bei seinen aktuellen Fähigkeiten und seiner Explosivität sind seine Erfolgschancen bei schweren Klassikern wohl derzeit größer. Sein Team setzt ihn dementsprechend ein. Und seine Fahrweise spricht auch dafür – Schachmann ist niemand, der sich versteckt, mitrollt und abwartet. Er ist da, wo es zur Sache geht, wenn er die Beine dazu hat. Gerade diese offensive Fahrweise macht ihn zu einem enorm wertvollen Fahrer seines Teams. Vielleicht wird man bei Bora-hangrohe noch einmal ins Grübeln kommen, ob man ihn nicht doch mit zur Tour de France nehmen sollte. Schaut man auf Olympia, die WM und die weiteren Rennen in diesem Jahr, wäre es vielleicht besser, die Tour in diesem Jahr auszulassen.


Rigo im Tour-Modus

Vor der Tour de Suisse ist Rigoberto Uran nur zwei Rennen gefahren – den Etoile de Bessèges und die Katalonien-Rundfahrt. Bei beiden war er eher unauffällig. Doch wie es bei Uran schon mehrfach zu beobachten war – er bereitet sich (meist in seiner Heimat) konzentriert auf den Jahreshöhepunkt vor. So auch in diesem Jahr. Bei der Tour de Suisse zeigte Uran, dass man wohl im Juli fest mit ihm rechnen muss. Bergauf sehr stark und vor allem im schweren Zeitfahren exzellent! Man darf gespannt sein, wie sich Uran im Kampf mit Carapaz, Pogacar, Roglic & Co. bei der Tour schlägt. Meist ist er zunächst unauffällig, nutzt aber seine Chance, wenn sie sich bietet. Vielleicht wird er eine der Überraschungen der Tour 2021. Oder schielt er doch eher auf Olympia?


Tom Dumoulin – starkes Comeback

Der Niederländer Tom Dumoulin hatte sich eine Auszeit vom Radsport genommen. Die Tour de Suisse war das erste Rennen in diesem Jahr. Sein fünfter Platz im Zeitfahren zeigt, dass er durchaus leistungsfähig ist. Er wird nach der Pause ein paar Rennen brauchen, um wieder in Rhythmus zu finden, aber nach diesem Comeback dürfen die Fans sich durchaus Hoffnungen machen, dass er zu alter Stärke zurückfindet. Es ist ihm zu wünschen.


Alpecin-Fenix – Wow & hä?

Mathieu van der Poel zog auf den ersten Etappen die übliche Show ab. Brutal stark, eiskalt und siegeshungrig. Er gewann zwei Etappen und schien mit der Konkurrenz zu spielen. Absolut wow! Aber zu Alpecin-Fenix und Mathieu van der Poel gehört meist auch ein „hä?“. So sprang Van der Poel laut Renn-Kollegen auf der vierten Etappe erst bei einer frühen Gruppe mit und machte deren Fluchtversuch damit zunichte, verschenkte später aber den nahezu sicheren Etappensieg, indem man die Gruppe um Stefan Bissegger einfach so fahren ließ und plötzlich keinerlei Interesse mehr am Rennen zeigte. Warum macht man das? Wäre ein Etappen-Hattrick bei der Tour de Suisse nicht attraktiv genug? Oder gab es andere Gründe? Es bleibt Spekulation, genau wie die Frage nach seinem vorzeitigen Ausstieg.

Van der Poel wird für seine Show geliebt! Er greift bei Kuurne-Brüssel-Kuurne extrem weit vor dem Ziel an, offenbar in vollem Bewusstsein, dass es andere Taktiken gäbe, die mehr Erfolg versprechen. Aber er macht es einfach & seine Fans feiern ihn dafür. Van der Poel ist einer der Über-Fahrer seiner Generation, bei den Klassikern fast in einer eigenen Welt. Er scheint klare Ziele zu haben, die er vehement verfolgt. Aber manchmal wirkt es fast so, als wäre seine Motivation schwer vorherzusehen. Oder: Macht er den Radsport eben, wie er ihm gefällt?