Der Tour de France Sieg und nun der Giro-Triumph von Egan Bernal hat den kolumbianische Radsportkosmos noch interessanter gemacht, als er ohnehin schon war. Wo kamen plötzlich diese Wunderkinder aus Südamerika her? Warum so geballt, als hätte man die Talente zurückgehalten um sie dann gemeinsam loszulassen? Oder trügt die subjektive Wahrnehmung durch die Erfolge von Nairo Quintana, Egan Bernal & Co? Das Buch Colombia Es Pasion wäre auch ohne Bernals Tour- & Giro-Triumph ein Lesetipp. Denn es gibt einen Einblick in eine Radsportwelt, die man aus Europa so nicht kennt.
Wer das Buch aus reinem Radsportinteresse liest, wird auf den ersten Seiten nicht vor Hochgenuss juchzen. Aber Autor Matt Rendell möchte erklären, warum diese Generation kolumbianischer Radsportler so besonders ist. Warum sie plötzlich in der Weltspitze einschlugen, große Siege feierten und in ihrem Heimatland eine enorme Begeisterung auslösten. Dafür braucht man die Hintergründe zu dieser Zeit, in der Nairo Quintana, Rigoberto Uran oder Esteban Chaves aufwuchsen.
Rendell gelingt es sehr gut, ein umfassendes Bild zu Zeichen und dabei den Hauptfokus auf die Sportler zu lenken. Vom etwas sperrigen Einstieg ins Buch sollte man sich dabei nicht aufhalten lassen. Denn hat man das Buch gelesen, sieht man die Begeisterung der Familie von Esteban Chaves mit anderen Augen. Kann die Sympathie eines Rigoberto Urans einordnen und bekommt eine Ahnung vom Charakter des oft unnahbar wirkenden Nairo Quintana. Man bekommt ein Gefühl für die Persönlichkeiten hinter den Sportlern.
Spannende Hintergründe, interessante Details
Natürlich werden auch im Buch die Geschichten erzählt, von denen man als Fan vielleicht schon einmal hörte. Wie „Superman“ Lopez zu seinem Spitznamen kam, als er von zwei Männern mit einem Messer bedroht wurde. Die wundersame Heilung des Esteban Chaves, aber auch die Ermordung von Rigoberto Urans Vater werden erzählt.
Aber auch die dunkle Seite des kolumbianischen Radsports wird in diesem Buch ebenfalls thematisiert: Massives Doping. Nicht umsonst gab es in den vergangenen Jahren immer wieder positive Dopingtests in Kolumbien und bei südamerikanischen Radrennen. Wie sich das Doping in die Kultur des kolumbianischen Radsports fressen konnte, beschreibt Rendell deutlich und schlüssig. Es beleuchtet die Rolle des „König des Dopings“, den Sportmediziners Alberto Beltran, die Rolle des Verbandes und der Politik. Wer in der Vergangenheit einige südamerikanische Rennen verfolgte und sich bei einigen Leistungen zunächst die Augen rieb, etwas später dann bei Bekanntgabe der positives Tests augenrollend mit dem Kopf schüttelte, versteht beim Lesen jedes Wort.
„Was ihnen fehlte war alles andere: Chancen im Leben, Freiheit von finanzieller Sorge, ein wenig Schutz vor dem Kampf ums Überleben und die Gelegenheit, das zu erleben, was in der postindustriellen Welt gern Kindheit genannt wird.“
Mehr als Sport
Dieses Buch zeigt auf eine wunderbare Weise, wo Radsport einfach nur Sport ist. Wettkampf. Sieg und Niederlage. Ein Ventil für den inneren Druck, sich messen zu müssen. Aber es zeigt auch, wo Radsport so viel mehr sein kann, als ein Wettstreit um den Besten zu ermitteln.
Es ist ein Buch über die aktuell besten kolumbianischen Radsportler und ihre Geschichte. Beim Lesen kann man ein Gefühl dafür entwickeln, woher diese Dankbarkeit und Heimatliebe vieler kolumbianischer Sportler kommt und warum sie die Qualen auf dem Rad als ein großes Privileg empfinden. Im Buch wird detailreich erzählt, woher dieser Radsport-Schatz Kolumbiens stammt und wie groß die Unterschiede der Kulturen sind, denen diese Profis in ihrem Leben bislang begegnet sind.
Rendell, dessen Interesse und Bewunderung für dieses Land anzumerken sind, zeigt auf, dass diese Athleten auch ohne Technologie und wissenschaftlich geleitete Förderinstitute alles hatten, was sie für ihre Entwicklung brauchten.
Und er beschreibt noch besser, was sie nicht hatten. „Was ihnen fehlte war alles andere: Chancen im Leben, Freiheit von finanzieller Sorge, ein wenig Schutz vor dem Kampf ums Überleben und die Gelegenheit, das zu erleben, was in der postindustriellen Welt gern Kindheit genannt wird.“
Es geht in diesem Buch um Sportler und ihre Geschichten, aber auch um die Kultur und Geschichte Kolumbiens. Er wird erzählt, wie dieses Land sich veränderte und welche Rolle dabei der Radsport und die Erfolge seiner Helden spielt.
Ein wundervoller Satz steckt in der Danksagung des Autors, ganz am Ende des Buches: „Das Gefühl kultureller Distanz habe ich stets als berauschend empfunden (…) bestärkt es mich nur in der Überzeugung, dass alle Menschen, in all ihren endlosen Unterschieden, gleich sind“.
Das Buch gibt es beim Covadonga Verlag.
Es kostet 19,80 € inkl. 7% MwSt.