Merci Mathieu

Vor dem Start der Tour hatten wir geglaubt, es wäre die perfekte Geschichte, würde sich Mathieu van der Poel am ersten Tag das Gelbe Trikot sichern und damit das schaffen, was seinem vor eineinhalb Jahren verstorbenen Großvater Raymond „Poupou“ Poulidor trotz 8 Podestplätzen und mehreren Etappensiegen bei der Tour nie gelang. Da hatten wir uns geirrt. Die Geschichte, die der Radsportgott gemeinsam mit Mathieu van der Poel für uns vorgesehen hatte, ist noch besser. Dramatischer, emotionaler, sportlich beeindruckender.

Denn was Mathieu van der Poel an diesem Sonntag an der Mur de Bretagne abfackelte, kann auf diesem Planeten im Moment wohl nur ein Mensch – nämlich er. Am Samstag enttäuscht, chancenlos gegen den entfesselten Alaphilippe, war das Gelbe Trikot weit weg. Satte 18 Sekunden Rückstand hatte Van der Poel nach dem ersten Tag. Als großer Favorit hatte er nicht geschafft, was alle von ihm erwarteten. Was er aber nun 24 Stunden später machte, hatten sicher auch nur wenige erwartet.

Bei der ersten Überfahrt griff er an, dosiert. Er holte die 8 Bonussekunden und lag nun nur noch 10 Sekunden hinter Alaphilippe. In der zweiten Auffahrt legte er dann die Karten auf den Tisch. Er griff an und zog davon, als hätte ihm sein Opa aus dem Himmel zwei Extra-PS geliehen. Er zog durch und hatte am Ende noch ausreichend Zeit, den Zeigefinger gen Himmel zu richten. Ein Gänsehautmoment.

Was folgte, waren Erschöpfung und Tränen vor Glück. Wer selbst mal erlebt hat, wie Großväter ihre Enkel unterstützen, wenn sie eine Leidenschaft teilen, kann vielleicht ein wenig nachempfinden, was Mathieu van der Poel in diesem Moment erlebt haben mag. Egal was während dieser Tour noch kommt – dies ist eine der ganz großen Geschichten dieser 108. Tour de France. Denn sie steht für Leiden, Hingabe, Entschlossenheit, Liebe und Anerkennung – was passt besser zu diesem Sport? Eben.


Pogacar vs Roglic – Teil 2

Auch an der Mur de Bretagne wurde offensichtlich, wer die großen Favoriten auf den Toursieg sind – Pogi & Rogla. Titelverteidiger Tadej Pogacar und Primoz Roglic gönnten sich gegenseitig keinen Meter Luft. Sie waren in der Schlusssteigung die Stärksten der Klassementfahrer und das Duell wurde am Sonntag knapp von Pogacar gewonnen. Nun steht es 1:1, war doch zum Auftakt Roglic knapp vor seinem Landsmann im Ziel. Dieses Duell könnte den Fans noch viel Freude bereiten. Sie scheinen ähnlich stark, dabei aber auf einem anderen Niveau, als der Rest. Sie wollen zeigen, dass sie bereit sind und schenken sich gegenseitig nichts. Die üblichen Psycho-Spielchen zu Beginn des Rennens. Aus der Sicht der Fans darf es gern so weitergehen. Den nächsten großen Schlagabtausch der beiden Favoriten gibt es dann wohl beim Zeitfahren, am Mittwoch. Man darf gespannt sein, wer dann die Nase vorn hat.


GC-Erkenntnisse

Nach zwei Etappen sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen. Nach einer Ankunft, wie der an der Mur de Bretagne, zudem nach einer von Stürzen geprägten Auftaktetappe, sollte man das Ergebnis nicht überbewerten. Dennoch, gibt es kleine Hinweise auf die Kräfteverhältnisse zwischen den Favoriten auf die Top10.

Geraint Thomas, der bei seinem Toursieg 2018 an der Mur de Bretagne seinen Teamkollegen Chris Froome distanzierte und seinen Kapitänsansprüchen Rückenwind verlieh, musste am Sonntag Federn lassen. Er kassierte 17 Sekunden auf Roglic und Pogacar. War dabei auch deutlich langsamer als sein Teamkollege Richard Carapaz. „G“ wird ein sehr gutes Zeitfahren benötigen, um seine Position wieder zu verbessern.

Wilco Kelderman war die Überraschung des Tages. Scheinbar mühelos konnte er als einziger Klassementfahrer dem slowenischen Duo folgen. Er muss in überragender Form sein!

Auch Jakob Fuglsang und Miguel Angel Lopez mussten Rückstand hinnehmen und kamen gemeinsam mit Thomas ins Ziel. Lopez hat nun schon mehr als zwei Minuten Rückstand auf Pogacar. Vielleicht rückt spätestens nach dem Zeitfahren Enric Mas in die Rolle des Kapitäns bei Movistar.

Der Rest der Top-Klassementfahrer rollte gemeinsam mit Julian Alaphilippe nur zwei Sekunden nach Pogacar/Roglic/Kelderman ins Ziel. „Im Soll“ – kann man da wohl sagen.


Berg Ide

Schaut man in die Ergebnisliste und wirft einen Blick auf den Stand in der Bergwertung, steht Van der Poel ganz oben – mit vier Punkten. Auch Ide Schelling hat vier Zähler und wird das Gepunktete Trikot am Montag stellvertretend tragen. Mickrige vier Punkte, mag man denken, doch während der Etappe wurde wie schon am Sonntag hart um jeden Zähler gekämpft. Schelling und Anthony Perez (Cofidis) duellierten sich erneut an jeder Bergwertung. Beide waren in der Fluchtgruppe des Tages und sorgten mit ihren Sprint-Duellen für große Unterhaltung. Die Tour ist die Tour – auch in diesem Duell wurde die Bedeutung dieses Rennens sichtbar.


Die Renn-Highlights der Etappe:

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