Gute Unterhaltung

Es war die längste Etappe dieser Tour und man durfte nicht unbedingt mit fünfeinhalb Stunden Top-Unterhaltung rechnen. Aber nachdem der Kampf um die Gruppe zu Beginn erwartungsgemäß heftig tobte, gingen dann auch Wout van Aert, Kasper Asgreen, Vincenzo Nibali und Mathieu van der Poel in die Offensive. Es löste sich eine große Gruppe mit starken Fahrern, sodass das Team UAE im Feld kräftig ackern musste. Bei fast 250 Kilometern Länge der Etappe musste Pogacars Team sehr viel Energie investieren, schließlich wollte man Fahrer wie Nibali nicht so einfach 10 Minuten schenken. So war das Tempo des Rennens den ganzen Tag hoch.

Im Finale gab es einen packenden Kampf um den Tagessieg, ein spannendes Duell von Asgreen, Van Aert und Van der Poel um Gelb und in der Favoritengruppe sorgte Richard Carapaz mit seiner Attacke für Entertainment. Dazu das Drama von Primoz Roglic – uff, was für eine Etappe!


Alle gegen UAE

Man konnte es nach dem überragenden Einzelzeitfahren von Tadej Pogacar fast vermuten – die Konkurrenz ist so von der Stärke des Titelverteidigers überzeugt, dass man ihn nun mit Raffinesse schlagen will. Pogacar ist der Mann, den es zu schlagen gilt. Wer auch immer Gelb in Paris tragen will, er muss erstmal Pogacar abhängen. Mann gegen Mann dürfte das bergauf schwer sein, und im Zeitfahren, hat man erneut gesehen, ist er kaum bezwingbar. Man muss ihn also anders packen. Die Mannschaft schwächen, ihn isolieren, dazu bringen, dass er seine Kräfte einsetzen muss, während die Konkurrenz sich schonen kann, oder zusammenarbeitet.

Der erste Schritt wurde an diesem denkwürdigen Freitag gemacht. Abgesehen von der Total Mannschaft gab es über weite Strecken keine Hilfe für UAE. Pogacars Helfer wurden nach und nach verschlissen. Kaum vorstellbar, dass sie diese Anstrengungen einfach so wegstecken und nun voller Tatendrang in die Alpen gehen. Vielleicht wird es nicht sofort am Samstag gelingen, Pogacar empfindlich zu treffen, aber selbst er wird ganz sicher bis zum Zeitfahren am vorletzten Tag eine starke Mannschaft brauchen, um diese Tour zu gewinnen. Nach dem vergangenen Jahr ist die Konkurrenz gewarnt und wird ihn nicht einfach so mitschleppen. Pogacar scheint der stärkste Fahrer im Rennen zu sein, doch die Stelle, wo er verwundbar scheint, ist sein Team. Man darf gespannt sein, ob die Konkurrenz auch in den nächsten Tagen vor allem „gegen UAE“ fährt, oder ob nach dem Rückschlag von Roglic nun Teams ihre Chance aufs Podium sehen und mit UAE und Pogacar koalieren. Es könnten sehr spannende Tage in den Alpen werden.


Roglic – abhaken, neu denken

Primoz Roglic war als der große Konkurrent von Tadej Pogacar in diese Tour gestartet. Doch nach seinem Sturzpech ist er körperlich nicht in der Lage mitzuhalten. Im Zeitfahren konnte er noch den Rückstand in Grenzen halten, aber auf der langen siebte Etappe musste er einsehen, dass sein Körper nach dem Sturz nicht in der Lage ist, die erforderlichen Leistungen abzurufen. Nach dieser siebten Etappe ist die Gesamtwertung wohl kein Thema mehr. Klar, Roglic wird diese Tour nicht gern verlassen wollen, aber man muss sich schon die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, weiterzufahren. Diese Frage können nur das Team, der Arzt und Roglic beantworten. Aber es gibt in diesem Jahr noch einige große Rennen, bei denen er glänzen könnte. Neben den Olympischen Spielen und der WM auch die Lombardei-Rundfahrt und die anderen italienischen Herbstklassiker beispielsweise. Ob er sich wieder für die Vuelta motivieren kann, bleibt abzuwarten.

Aber vielleicht fühlt sich Roglic schon schnell besser, wenn er nicht mehr um jede Sekunde kämpfen muss. Vielleicht kann er sich am Ruhetag erholen und dann einen Etappensieg herausfahren? Wir werden es sehen. In die Kapitänsrolle bei Jumbo-Visma kommt nun der junge Däne Jonas Vingegaard. Er fährt bislang sehr stark, doch man sollte ihn nicht zu früh mit großen Erwartungen belasten.


Van der Poel und Van Aert – Manndeckung & Kooperation

Seit den Nachwuchsklassen duellieren sich Wout van Aert und Mathieu van der Poel. Erst im Cross, dann bei den Klassikern, nun auch bei der Tour de France. Dabei hat es weniger mit der ewigen Rivalität zu tun, dass Van der Poel heute bei Van Aert mitgegangen ist, als viel mehr mit der Platzierung in der Gesamtwertung. Nur 30 Sekunden trennen die beiden und Van der Poel wollte Gelb unbedingt behalten. Als dann Kasper Asgreen entwischt war, arbeiteten die beiden Über-Crosser sogar zusammen, um nicht dem Dänen das Gelbe Trikot zu überlassen.

Doch die beiden sind bei dieser Tour de France mit ganz unterschiedlichen Plänen und Rollen dabei. Van der Poel wollte die Etappe und das Trikot für „Poupou“, wird aber wohl bald die Tour verlassen und sich auf das olympische MTB-Rennen vorbereiten. Van Aert war als wichtigster Helfer für Primoz Roglic gedacht. Nun muss er sich anderweitig orientieren. Aktuell zieht Van der Poel die Blicke auf sich, vielleicht wird das im zweiten Teil der Tour Wout van Aert sein. Mark Cavendish ist sicher froh, dass Van Aert bereits mehr als 100 Punkte im Kampf um Grün Rückstand hat. Sonst wäre vielleicht auch das ein neues Ziel des Belgiers geworden.

Movistar, oh, Movistar, oho

Das Team Movistar ist in den vergangenen Jahren durch ungewöhnliche Taktiken und interessante Interpretationen des Rennes aufgefallen. Vielen wird der Zwist der Kapitäne Valverde, Quintana & Landa in Erinnerung sein, einige werden sich an weitere „interessante“ Aktionen erinnern. Als heute Richard Carapaz im Finale angriff, war es das Movistar-Team, das nachsetzte. Ohne Frage hatten sie die mannschaftlichen Ressourcen und konnten die Lücke ja schließlich auch schließen. Doch mit Enric Mas auf Rang 14 in der Gesamtwertung trugen sie nicht zwangsläufig die Verantwortung für das Rennen. Fühlt sich Mas so stark, dass er in den kommenden Tagen in den Bergen Carapaz abhängt und so weiter nach oben in der Gesamtwertung klettert, haben sie eventuell alles richtig gemacht. Oder hätte das Team dann lieber selbst auf Angriff fahren sollen? So freute sich vor allem Tadej Pogacar, dass ihn die „blauen Jungs“ ins Ziel eskortieren und dabei Carapaz einholten.

Im Ziel gab es dann Diskussionsbedarf zwischen Michal Kwiatkowski (Ineos Grenadiers) und Enric Mas. Worum es ging ist unbekannt, aber vielleicht war das heute der Beginn einer kleinen Tour-Seifenoper – Ineos vs Movistar. Pogacar würde sich sicher darüber freuen, wenn die Konkurrenz sich lieber gegenseitig bekämpft, als ihn anzugreifen.


Die Highlight der Etappe