Max, du bist bei Tour de France 2021 als Sprinter eures Teams dabei, aber komplett ohne Leadout – wie läuft es bislang?

„Ich muss sagen, dass ich vor der Tour schon eine andere Erwartungshaltung hatte. Bei den Sprints war ich bislang nur einmal in den Top10, da hatte ich mir mehr vorgestellt. Aber es war auch enorm schwierig, das Finale allein zu fahren. Das habe ich vorher vielleicht sogar etwas unterschätzt. Ich will mich nicht darüber beschweren, aber es ist eben so, dass wir kein Leadout hier haben und der Standard für mich ist, dass ich die letzten 20 Kilometer allein bin. Das ist bei dem Level hier in der Tour einfach zu viel. Da macht es schon einen großen Unterschied, wenn man auch nur einen oder zwei Helfer hat. Das habe ich vor der Tour schon anders eingeschätzt. Aber man muss dazu sagen, dass es auch erst meine zweite Tour de France ist. Und es ist schon viel schwerer, als beim Giro oder bei der Vuelta. Hier ist die Zahl und die Qualität der Sprinter viel größer. Ich hab in diesem Jahr den direkten Vergleich mit dem Giro. Da gab es teilweise Etappen, wo ich mit Nizzolo bis 20 Kilometer vor dem Ziel an der letzten Position gefahren bin und wir haben dann konzentriert einen Move nach vorn gemacht – sowas ist hier bei der Tour einfach nicht möglich.“

Mit Deceuninck-QuickStep gibt es dazu eine Mannschaft, die in der Verbreitung der Sprints dominiert und der Rest dahinter um die Position hinter Cavendish kämpft – macht es das für dich als Einzelkämpfer schwerer?

„Ich denke, generell ist es inzwischen so, dass Cav pilotiert wird wie damals bei Highroad. Das Feld hat sich damit abgefunden das QuickStep den Sprint vorbereitet und es gibt niemanden der dagegen hält. Klar haben sie das mit Abstand stärkste Leadout, aber es ist jetzt nicht so, dass man die nicht mehr herausfordern könnte. Aber Cavendish muss gar nicht um das Hinterrad von Morkov kämpfen, da fährt keiner mehr in den Zug, sondern alle kämpfen nur um das Hinterrad von Cav. Das macht es für Cavendish natürlich einfacher, aber der Kampf hinter Cavendish ist dann um so größer.“

Du sagst, du hattest dir mehr erhofft und die Situation ohne Leadout etwas unterschätzt – hast du das Gefühl, dass du reinfindest und immer besser damit umgehen kannst?

„Ja. Ich denke, der letzte war mein bester Sprint (Anmerk. 13. Etappe in Carcassonne). Weil ich auch vom Mindset her ganz anders eingestellt war. Bislang war ich auch voll auf ’sparen, sparen, sparen‘ gefahren und kam dann nicht in den Sprint. Aber hier war ich voll drauf eingestellt, auch zu investieren, im Positionskampf. Ich denke, wenn mir da die Kette nicht 1,5 km vor dem Ziel runterfallen wäre, wäre mehr drin gewesen (Anmerk. Max wurde 14.).“

Das neue Mindset – kannst du das erklären?

„Objektiv war es mir natürlich vorher klar, dass ich keine große Unterstützung haben werde. Aber so recht internalisiert habe ich das erst beim letzten Sprint. Bis dahin habe ich immer versucht, so viel Energie wie möglich zu sparen und war dann einfach zu weit hinten. Ich hab dann auch immer mal noch gehofft, dass mich dann doch vielleicht noch mal einer nach vorn fahren kann. Aber nun habe ich das umgestellt und agiere komplett so, dass ich mein eigener Anfahrer bin. Ich werde also auch die entsprechenden Moves machen um in Position zu kommen. Wenn ich dann breit bin und nicht mitsprinten kann, dann ist das eben so, aber ich werde das auf jeden Fall probieren. Das hat schon in Carcassonne ganz gut geklappt, bis die Kette runter war. Aber mir ist natürlich klar, dass es so eigentlich nicht reichen kann, aufs Podium zu fahren, dafür ist das Level einfach zu hoch. Ich kann mich nicht selbst positionieren und dann auf den letzten 200 Metern den perfekten Sprint fahren. Aber es ist halt auch nicht auszuschließen, dass mal ne Lücke auf geht, man mal Glück hat. Aber jetzt muss ich erstmal durch die Pyrenäen kommen. Dann hoffe ich natürlich noch auf zwei Sprints – nach dem letzten habe ich schon Mut geschöpft.

Das es vielleicht doch allein gehen kann?

„Ja, weil ich gesehen habe, dass es extrem schwierig ist, aber vielleicht doch gehen kann – bis Carcassonne war das anders. Ich bin da schon fast ein wenig dran verzweifelt, weil ich den Eindruck hatte, dass ich es richtig verkackt hab. Aber jetzt hoffe ich natürlich, dass es mir gelingt, denn ein 10. Platz ist nicht das was ich mir erhofft hab.“

Ganz praktisch gesehen – was machst du da jetzt genau anders? Bist du ruhiger, oder aggressiver?

„Wir hatten nun 5 Chancen und 4 mal bin ich so gefahren, dass ich immer in der Sprint-Bubble gefahren bin. Ich hab da meine Position verteidigt und war auch immer in Position – aber es hat am Ende nicht ausgereicht um einen vernünftigen Sprint zu fahren, weil im Endeffekt hier maximal die ersten 10 Leute sprinten. Man muss also ganz, ganz vorn sein um überhaupt in den Sprint zu kommen. Ich muss halt einfach so viel investieren, dass ich ganz vorn dabei bin, um in den Sprint zu kommen. In der Bubble mitrollen und hoffen, dass die Lücke aufgeht, funktioniert nicht – die Lücke geht halt einfach nicht auf. Bei einer Belgien-Rundfahrt oder ZLM-Tour funktioniert das vielleicht, aber nicht bei einer Tour de France.“

Klingt nach hartem Kampf – macht das auch Spaß, dich der Herausforderung als Einzelkämpfer zu stellen?

„Das macht auf jeden Fall Spaß! Aber um ehrlich zu sein, bei der ersten Sprintetappe, mit dem Sturzfestival, hatte ich gar keinen Spaß. Da sind einfach um mich herum viele Leute gestürzt und ich war am Ende einfach froh auf dem Rad geblieben zu sein. Danach habe ich mir auch gedacht – der Traum als Sprinter zur Tour zu fahren, sieht in der Realität ziemlich übel aus.“

Das hat sich gebessert?

„Ja, ja, das hat sich normalisiert. Klar, Grand-Tour-Sprints sind immer noch etwas härter, aber die ersten beiden waren schon brutal. Ich fand das einfach nicht normal.“

Kannst du nachvollziehen, wie das die Fahrer machen, die auch ohne Helfer klarkommen – wie beispielsweise Peter Sagan?

„Ich hab mir die ersten vier Sprints noch mal intensiv angeschaut, um zu sehen, was ich falsch gemacht hab. Da sieht man gut, dass da kein Fahrer ist, der allein ist. Selbst jemand wie Bouhanni, der ein großes Talent und die nötige Fahrweise hat, die Hinterräder zu wechseln, selbst er hatte immer Fahrer, wie McLay oder Russo, die ihn in Position fahren. Oder guck auf Colbrelli, der Marco Haller und Fred Wright hat, und in der absoluten Überform seiner Karriere ist – er hat hier noch kein Top-Ergebnis eingefahren, außer bei der Bergetappe. Da sieht man dann natürlich auch, dass sich Haller am Anfang auch noch um Jack Haig kümmern musste.

Mann darf nicht nur auf die letzten 4-5 Kilometer schauen. Das Finale hat bei den ersten Sprints 80 Kilometer vor dem Ziel angefangen. Sprintetappen sind zugegebenermaßen meist langweilig. Aber bei der Tour kann man dann schon die letzten 50 km angucken, weil da die Teams bereits kompakt fahren. Wenn man da nicht weit vorn ist, hat man keine Chance. Klar, es gibt dann so Ausnahme-Fahrer wie Wout van Aert, der dann so viel Power hat, dass er einfach noch mal vorbei fahren kann, aber als normaler Fahrer muss man hier so früh anfangen alles richtig zu machen, weil man sonst keine Chance hat. Das kann man kaum glauben.“

Also wird das Leadout schon viel früher wichtig, als bei anderen Rennen?

„Ja, es sind es nicht nur die letzten fünf Kilometer, sondern das Team ist schon vorher wichtig. Zudem muss man bedenken, wir haben hier keinen Mann in der Gesamtwertung vorn, da lässt uns dann auch keiner einfach so vorn fahren. Ich will da keine Entschuldigung vorbringen, aber normal fährt man dann irgendwo ab Position 60.
Ich muss dazu aber schon sagen, dass ich auf der 13. Etappe eine echte Chance gesehen habe und dann auch bereit bin, mich durchzusetzen. Ist da eine Chance für mich, dann nehme ich die wahr und denke auch, dass jeder im Feld das gleiche Recht hat. Mein Teamkollege Giacomo Nizzolo hat das mal so ausgedrückt: Wer allein fahren will, muss nach Hause gehen trainieren. Das ist eben Radrennen – wenn du dir einen Platz erkämpft hast, ist es deiner. Aber über 3500 Kilometer gesehen, macht es die Sache nicht einfacher, wenn man ständig um die Position kämpfen muss.“

Danke für das Gespräch, Max.