Pascal Ackermann

Die Beziehung von Bora-hansgrohe und Pascal Ackermann steht vor dem Aus. Einst feierte man gemeinsam große Siege, nun geht man offenbar enttäuscht auseinander. Wie konnte das passieren? Musste das so kommen? Hier der Versuch, die Geschichte der Trennung aufzuzeigen.

Welch ein großartiger Radsportler Pascal Ackermann einmal werden würde, war in den Nachwuchsklassen nicht auf Anhieb zu erkennen. Viele Experten trauten es „Ackes“ einfach nicht zu, sich als Profi zu etablieren. Gar einen „Sprint-Rohdiamanten“ sah kaum jemand. „Das haben viele nicht geglaubt, dass ich mich so entwickeln werde. Und wenn ich ehrlich bin, ich auch nicht”, sagte Ackermann 2019 gegenüber CyclingMagazine. Das Team um Ralph Denk glaubte an ihn und nahm in unter Vertrag.

Das erste Profi-Jahr war ganz sicher nicht leicht. Es gibt die Geschichten, dass seine Teamkollegen ihm beim Auftakttrainingslager am Buffet erklärten, was denn bei Profi-Sportlern lieber nicht auf den Teller gehört. Bei den belgischen Rennen musste er richtig leiden. „Die Rennen waren zu schwer für ihn, aber er hat sich durchgebissen. Ich denke, für seine Entwicklung war das gut”, sagte sein Teamkollege Michael Schwarzmann. Ackermann zeigte, dass er sich durchbeißen will und Team und Trainer glaubten an sein Talent. Er bekam die Zeit sich zu entwicklen, als Sportler und auch als Mensch.

Ackermann ist ein „Racer“. Er liebt den Wettkampf, die Taktik, das Adrenalin. Hinter der Geschichte, dass er mal vor dem Spiegel stand und überlegte, ob ein Radfahrer so aussehen soll, steckt mehr. Er ließ nicht nur die Süßigkeiten weg, sondern arbeitete hart an sich. Seine offene Art und das freundliche Grinsen überdecken auf den ersten Blick die Zielstrebigkeit und den Ehrgeiz.

Durch die Decke

Seine erste Profi-Saison 2017 beendete Ackermann ordentlich. Das Training und die Anpassung an die Profi-Welt zeigten dann im zweiten Jahr Wirkung – es ging durch die Decke! Satte neun Siege, darunter die Deutsche Meisterschaft und sechs Erfolge bei World-Tour-Rennen. Doch was rückblickend logisch und folgerichtig erscheint, war harte Arbeit – nicht nur auf dem Rad. Denn Ackermann musste sich auch im Team durchsetzen. Es ist nie leicht für junge Fahrer die Sportliche Leitung davon zu überzeugen, dass man selbst der bessere Kapitän ist. Ackermann kämpfte damals teamintern gegen Matteo Pelucchi. Schon im Frühjahr 2018 war Ackermann in Gesprächen anzumerken, dass er auf seine Chance drängte. Er bekam sie und nutzte sie.

Ackermann ist kein Einzelgänger, er muss sich wohl fühlen um optimale Leistungen zu bringen. Es entstand im Jahr 2018 die von Journalisten gern „Ackes Gang“ genannte Sprint-Truppe im Team Bora-hansgrohe. Rüdiger Selig, Andreas Schillinger und vor allem auch zu Michael Schwarzmann entstand eine enge Bindung. Der spontane Mallorca-Trip nach dem Sieg bei der DM ist längst keine geheime Geschichte mehr.

Zu viel Trubel

Der Ackermann-Hype war riesig – Fans und Medien rissen sich um den smarten Siegertypen. Ackermann ist kein Typ, der gern „nein“ sagt oder die Leute vor den Kopf stößt. Vielleicht auch deswegen wurde der Trubel zu viel. Hier eine Veranstaltung, dort eine PK und wartende Fans. In seinem Heimatdorf war ohnehin die Hölle los. Für viele junge Sportler ist die Zeit kurz nach dem Durchbruch in die Weltspitze die schwierigste. Zunächst das große Glück, dann die Überforderung durch die Situation, das gefühlte Zerren an Armen und Beinen und die vielen Schulterklopfer. Die Frage, wer man ist und wo man hingehört, ist nicht mehr so leicht zu beantworten, oder wird im Rausch des Erfolges gar nicht mehr gestellt. Schnell heißt es, der Sportler sei „abgehoben“, wenn er in dieser Situation neue Mauern hochzieht um sich selbst zu schützen.

Für Ackermann lief es sportlich weiter exzellent, der Marktwert stieg von Sieg zu Sieg und er verlängerte seinen Vertrag bei Bora-hansgrohe. Doch für das Jahr 2019 stand zunächst eine große Herausforderung an – er musste sich gegen Sam Bennett im Kampf um die Sprinter-Rolle beim Giro durchsetzen. Bennett war im Jahr zuvor extrem erfolgreich beim Giro und Ackermann musste seine Karten gut ausspielen. Es gelang ihm und er wurde Sprint-Kapitän bei der Italien-Rundfahrt. Doch mit der Verdrängung von Bennett lastete ein enormer Druck auf ihm. Er musste liefern – das erste Mal in seiner Karriere hatte er es mit dieser Wucht des Druckes zu tun. Die Erlösung beim ersten Etappensieg war enorm und für alle spürbar. Es folgten weitere und dann der Gewinn des Ciclamino – Soll übererfüllt, hallo Weltspitze. Er wurde zum Sprintstar. Und Ralph Denk schwärmte von seinem Sprinter, den man als Rohdiamant holte und zum Weltklasse-Athleten schliff. Es war zu spüren, wie stolz er auf sein Team und auch auf Ackermann war.

Corona und die Tour

Nach dem Giro d’Italia 2019 war klar, dass ihn die Fans und vor allem die deutschen Medien schnellstmöglich bei der Tour de France sehen wollen. Damals schien es unvorstellbar, dass er 24 Monate später noch immer auf sein Tour-Debüt warten würde. Auch Ralph Denk war sich sicher, dass er Ackermann bald mit zur Tour nehmen würde. Er machte öffentlich ein Versprechen, dass er aufgrund der damaligen Situation geben konnte – dennoch wird er so etwas wohl nie wieder machen, auch wenn er hundertprozentig davon überzeugt ist. Ackermann war bei der Vertragsverlängerung ein Tour-Start während seines Vertrages bis 2021 in Aussicht gestellt worden. Auch sein Team und Trainer Dan Lorang arbeiteten akribisch daran, aus ihm einen Fahrer zu entwickeln, der bei der Tour Etappen gewinnen kann.

Doch dann kam Corona, der Druck und alle drei Grand Tours fielen in den Herbst. Die Erwartung, den Sponsoren Aufmerksamkeit zu bieten, nachdem so viele Rennen ausgefallen waren, war groß. Sagan war in einer normalen Saison für den Giro geplant und die Tür für Ackermann bei der Tour wäre offen gewesen. Doch nun war alles anders. Man musste die Tour für maximale Aufmerksamkeit nutzen – wie viele Rennen es danach überhaupt noch geben würde, war unklar. Mit Emu Buchmann hatte man die große Grand-Tour-Hoffnung Deutschlands, Peter Sagan sorgt allein durch seine Anwesenheit für Medienpräsenz. Für Ackermann war kein Platz– ihm blieb „nur“ die Vuelta, denn man hatte Sagan für den Giro versprochen, es gab Verträge in denen sein Start festgesetzt war.

Beginn der Problem-Kette

Ackermann musste auf die Tour verzichten, holte dann aber bei der Vuelta am letzten Tag den erhofften Sieg. Er beendete am 8. November seine lange Saison, die Ende Januar begonnen hatte. Da er, als einer der wenigen Sieg-Garanten im Team, schon auf Mallorca wieder einsteigen sollte, war die Pause kurz. Vielleicht zu kurz. Die Mallorca-Rennen wurden zwar verschoben, aber Ackermann startete dennoch Anfang Februar beim Etoile de Bessèges in die Saison. Es lief ok, aber die Defizite wurden offensichtlich. Dazu hatte er nicht seinen gewohnten Sprintzug.

Parallel liefen längst die Gespräche zwischen Ackermanns Management und dem Team Bora-hansgrohe. Was man sich erzählt, waren die Gehaltsforderungen den Leistungen der vergangenen Jahre und vor allem auch der Offerten der Bora-Konkurrenz angepasst. Eine schnelle Einigung gab es nicht.

Ackermann arbeitete gemeinsam mit der Performance-Abteilung hart daran, wieder in Top-From zu kommen. Bei den nächsten Rennen lief es dennoch nicht optimal. Bei der UAE-Tour holte er „nur“ einen dritten Platz. Diesmal war der Sprintzug erneut ein anderer – immerhin Schwarzmann und Laas waren dabei. Bei Paris-Nizza war dann bereits Druck im Spiel, zudem gingen die Auffassungen der Sportlichen Leitung und die von Ackermann für die taktische Ausrichtung auseinander.

Es lief nicht und die Gründe dafür sahen die beteiligten Parteien an ganz unterschiedlichen Punkten. Profiradsport ist Business, vor allem auch bei Vertragsverhandlungen. Mit jedem Sieg steigt der Marktwert, mit jeder verpassten Chancen sinkt er ein wenig.

Ackermann und das Team entwickelten Differenzen, die schnell die gemeinsam erreichten Erfolge vergessen ließen. In solchen Konflikten gelangt man nicht selten an den Punkt, wo eine Seite mangelnde Wertschätzung empfindet und die andere Seite das Gefühl hat, der Athlet stellt sich über das Team. Vermutlich ist weder die eine, noch die andere Seite vollends im Unrecht.

Ohne Saisonsieg hatte Ackermann kaum Argumente für eine Tour-Nominierung, zudem schien das Verhältnis zwischen Team und Fahrer schon vor dem Tourstart zu sehr gestört. Doch es folgte der zu erwartende mediale Knall, als die Nichtnominierung bekannt wurde. Ackermann war enttäuscht, erinnerte an das Versprechen und sparte nicht mit Kritik an der Teamleitung. Diese hielt sich zurück und nutzte die Chance mit dem Angebot für eine weitere Zusammenarbeit die Wogen zu glätten. So spielten beide Seiten eben ihre Karten in der Kommunikation aus.

Neustart ins Ungewisse

Die Zeichen stehen auf Abschied und vor allem für Ackermann wird es ein Neustart in eine ungewisse Zukunft. Am Rande der Rad-DM in Stuttgart betonte Ackermann, dass er sich auch in Zukunft nicht für das größte Gehalt, sondern für die beste Option entscheiden wird.

Er, dem das Teamgefüge und „seine Jungs“ stets so wichtig waren, wird nun wohl gehen. Er hatte sich in der Vergangenheit für die Vertragsverlängerungen seiner Anfahrer massiv eingesetzt, nun zieht er womöglich allein los.

Dass er nun sportlich wieder von Sieg zu Sieg eilt, wird ihm gut tun und Selbstvertrauen geben. Er wird es brauchen, denn im neuen Team wird er liefern müssen, sich schnell einfinden, ein neues Kapitel beginnen. Das kann befreiend sein, birgt aber immer auch Risiken. Bei Bora-hansgrohe ist er langsam gewachsen und zum Weltklasse-Fahrer gereift. Nun durchlebt er die erste echte Krise und muss sie meistern, wenn er zurück an die Weltspitze will, wo er 2019 bereits war.

Das Team hat wohl bereits Ersatz gefunden – so ist das im Radsport-Business. Für beide kann diese Trennung schmerzvoll sein, aber am Ende ohne Schaden bleiben. Doch in beiden Fällen wird zumindest in der Außenwahrnehmung nur sportlicher Erfolg dafür sorgen, dass sie am Ende keine langfristigen Folgen hat.