Die Deutschland Tour 2020 sollte an der Gedenkstätte Buchenwald vorbeiführen*. Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers ist seit 1958 eine Mahn- und Gedenkstätte, die nach der Deutschen Einheit neugestaltet wurde. Die von Häftlingen ausgebaute „Blutstraße“ ist die Zufahrtsstraße zum Lager. Heute ist es eine öffentliche Straße (Anmerk.: die zum öffentlichen Teil der Gedenkstätte gehört*) die auch viele Besucher der Gedenkstätte nutzen. Diese sollte für den öffentlichen Verkehr kurzzeitig gesperrt werden und das Rennen dort langführen.

Die Organisatoren der Deutschland Tour hatten die Streckenführung bewusst gewählt und dies auch kommuniziert. Da es ein öffentliche Straße ist, liefen die behördlichen Genehmigungsvorgänge „ganz normal“ ab und es gab keine Probleme. Wegen der Pandemie musste das Rennen dann auf 2021 verschoben werden, die Strecke wurde beibehalten. 

Wenige Wochen vor der Deutschland Tour schlug diese Streckenführung nun hohe Wellen. Es gab heftige Kritik, „die Verantwortlichen hätten bei der Planung jegliches Gespür für die Geschichte vermissen lassen. Eine Radtour dort entlangzuführen sei pietätlos“, so Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden.

In der Planung der D-Tour-Organisatoren „war es unsere bewusste Entscheidung, die Strecke an der Gedenkstätte vorbeizuführen und aktiv zu erinnern. ‚Hingucken statt Weggucken‚ war unser Ansinnen – gerade an diesem wichtigen Ort und gerade bei weltweiter TV-Präsenz und jungen Athleten mit diversen persönlichen Hintergründen, die die Deutschland Tour zusammenbringt“, heißt es von der Orga. Der Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner sieht dies anders: „Es reiche der gesunde Menschenverstand, dass das nicht der richtige Ort dafür sei.“ 

Die Organisatoren der Deutschland Tour regierten und veränderten die Strecke. Nun wird die D-Tour nicht mehr an der Gedenkstätte Buchenwald vorbeiführen. Für die Deutschland Tour 2021 hat sich das Thema für 2021 zwar erledigt, dennoch sollte sich eine allgemeine Debatte anschließen, was Sportveranstaltungen in der Nähe von Gedenkstätten betrifft. Ist so etwas, auch im besten Ansinnen, absolut unpassend?

Update (8.August): Via Twitter äußerte Wagner am Samstag, dass ein Radrennen durch die Gedenkstätte seiner Ansicht nach durchaus denkbar wären. „Mit guter Vorbereitung unter Beteiligung d. Gedenkstätte + mit viel Fingerspitzengefühl + mit intensiver historisch-inhaltlicher Begleitung wäre auch eine Befahrung der Straße durch die Gedenkstätte denkbar. Entscheidend ist ein bewusster Umgang mit dem hist. Ort.“ schrieb Wagner. Siehe eingebundene Tweets unten.

Schon einige Radrennen entlang der Gedenkstätte Buchenwald

Der Aussage von politischen Vertretern des Landes, die Gedenkstätte gehöre zu Thüringen und man möchte auch diese gern präsentieren, erscheint nicht abwegig. So könnten vielleicht Menschen auf die Gedenkstätte aufmerksam werden, die davon bislang wenig gehört haben. Vielleicht könnten gerade durch die Deutschland Tour Menschen auf dieses Mahnmal der NS-Verbrechen aufmerksam gemacht werden, die es sonst nicht mitbekämen? 

In der Vergangenheit führten schon mehrere Radrennen an der Gedenkstätte Buchenwald vorbei. Zum Beispiel die Thüringen Rundfahrt der Frauen. Es wurde medial begleitet – nicht nur sportlich. Im Live-Ticker von Radsport-News.com hieß es: „… die zweite Runde führt dann einmal um das ehemalige KZ Buchenwald herum. Ein trauriger aber wichtiger Mahnort. Mehrmals schon führten Thüringenrundfahrten der Frauen und der U23 und auch die Friedensfahrt und die ehemalige DDR-Rundfahrt über den geschichtsträchtigen Berg. Eine Gelegenheit, an die Verbrechen und auch an die Verantwortung der Nachgeborenen zu erinnern„. So wurde im Renn-Ticker durchaus angemessen die Brücke vom Sport zum „Ort des Gedenkens“ geschlagen. 

War es bei der Thüringen Rundfahrt ok, aber bei der Deutschland Tour nicht? Es besteht offenbar Diskussionsbedarf, ob ein Radrennen grundsätzlich an einem solchen Ort (wenn auch auf öffentlicher Straße mit Busverkehr usw.) unpassend ist. In Belgien beispielsweise führt das Radrennen Gent-Wevelgem ganz bewusst an Massengräbern vorbei und man hat in Gedenken an die Opfer des 1. Weltkriegs sogar den Namen des Rennens um „In Flanders Fields“ erweitert.

Für einige ein Gänsehautmoment, wenn die TV-Hubschrauber das Peloton zeigen, das an den Massengräbern und der Gedenkstätte vorbeirauscht. Man kann dies als unpassend empfinden, aber auch als Moment der es schafft, vielen Menschen das Gedenken an die dunkelsten Momente unserer Geschichte nahezubringen, die dies sonst an diesem Tag wohl eher nicht getan hätten.

Muss man es individuell bewerten? Sind Gedenkstätten unterschiedlich und die Hintergründe individuell zu betrachten, für jede Veranstaltung separat? Vielleicht. Als die Deutschland Tour 2019 in Thüringen zu Gast war, fuhr nicht nur das Profi-Peloton durch das Jonastal, sondern auch tausende Hobbysportler*innen. Im Jonastal gab es das Außenlager „S III“ des Konzentrationslagers Buchenwald. Es spielte auch bei „Todesmärschen“ eine Rolle und bis heute gibt es eine „Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus im Jonastal“.

Dem Autor dieses Textes war die Bedeutung des Jonastals bewusst. Er sprach bei der Streckenbesichtigung per Rad mit seinen Begleitern darüber. Vielen Teilnehmern des Events bei der Deutschland Tour war es vielleicht weniger bewusst. War es deshalb ok, dass man dort lang fuhr, weil es weniger bekannt ist, als die Gedenkstätte Buchenwald? Oder war es falsch dort lang zu fahren? Hätte man gar die D-Tour nutzen sollen, darauf aufmerksam zu machen? 

Dialog statt Konflikt

Es ist ein komplexes Thema mit einigen Dimensionen. Ob nun tatsächlich eine echte Diskussion folgt, wie man mit Sportveranstaltungen in der Nähe von Gedenkstätten umgehen sollte, bleibt offen, wäre aber wünschenswert. Der Fall der D-Tour hat gezeigt, wie wichtig Austausch sein kann. Denn aus dem Ansinnen der Organisation „aktiv erinnern“ zu wollen, wurde ein Konflikt, bei dem an einigen Stellen Menschen beschimpft wurden, die mit der Streckenplanung gar nichts zu tun haben.

Die Deutschland Tour hat die Strecke verlegt, aber es bleibt zu hoffen, dass nach all der Aufregung auch während des Radrennens über die Gedenkstätte Buchenwald gesprochen wird. Denn sie ist eines der wichtigsten Mahnmahle Deutschlands. Wer noch nicht dort war, dem sei ein Besuch empfohlen. Wer es kennt, dem reicht vielleicht schon, daran erinnert zu werden, um das beklemmende Gefühl wieder auszulösen. 

Update: Via Twitter äußerte sich Jens-Christian Wagner, Stiftungsdirektor (Der Account ist nicht verifiziert, jedoch legen es unsere Informationen nahe, dass es sich tatsächlich um den Account von Jens-Christian Wagner handelt)

* es handelt sich um eine öffentliche Straße, die Teil der Gedenkstätte ist. Die Strecke sollte streng genommen am  Museums-Teil der Gedenkstätte vorbei führen, dabei die öffentliche Straße nutzen, die Teil der Gedenkstätte ist und in diesem Sinne „durch die Gedenkstätte“ fahren. (die Anmerkung wurde zur ursprünglichen Form des Texten hinzugefügt)